EFSF-Abstimmung: Kanzlermehrheit für Angela Merkel
Mit breiter Mehrheit stimmt der Bundestag für eine Verstärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF. Wider Erwarten wurde sogar die Kanzlermehrheit erreicht. Kompliziert aber bleibt die Gemengelage und Angela Merkel warnt vor einem Auseinanderbrechen Europas.
Die schwarz-gelbe Koalition hat bei der Abstimmung über die Stärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF unerwartet die eigene Kanzlermehrheit erreicht. Von insgesamt 596 abgegebenen Stimmen kamen am Mittwoch im Bundestag 311 aus den Reihen von CDU, CSU und FDP, erfuhr die Nachrichtenagentur dpa aus Kreisen der Koalition in Berlin. Das ist genau die für eine absolute Mehrheit notwendige Stimmenzahl der insgesamt 620 Abgeordneten. Die 311 Stimmen wurden trotz Abweichlern in den eigenen Reihen und abwesenden Parlamentariern erreicht.
Angela Merkel kann sich also mit Rückendeckung des Bundestages auf den Weg nach Brüssel zum EU-Gipfel machen, denn auch viele Mitglieder der Opposition sprachen sich für eine Verstärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF aus. Für den gemeinsam von CDU, CSU,FDP und SPD und Grünen eingebrachten Entschließungsantrag stimmten 503 Abgeordnete, 89 Parlamentarier votierten dagegen, vier enthielten sich, wie Bundestagsvize-Präsidentin Katrin Göring-Eckardt mitteilte.
Zu Beginn der Aussprache tritt Angela Merkel in europablau vor den Deutschen Bundestag. Aber es ist kein ganz strahlendes Blau, eher ein mattes. Und Merkel versucht das Parlament auf die anstehenden Entscheidungen einzustimmen. Sie verweist auf die erfolgreiche Krisenpolitik im Zuge der Finanzkrise. "Deutschland ist stärker aus der Krise herausgekommen als es reingekommen ist, und auch Europa muss stärker daraus hervorgehen", sagte sie.
Die Kanzlerin verlangt: „Europa muss eine Stabilitätsunion werden.“ Dafür müssten zwei Wege gegangenen werden. Zuerst Lösungen für die akuten Probleme finden, wie sie beispielsweise Griechenland derzeit habe und anschließend Vorsorge für die Zukunft treffen, um die Ursachen der aktuellen Probleme bei der Wurzel zu packen. "Wir müssen die Fundamente unserer Wirtschafts- und Währungsunion maximal verstärken", sagte Merkel. Denn diese Union befindet sich laut Merkel in ihrer "größten Belastungsprobe, die es je gab". Merkel verspricht "tragfähige Lösungen" vom Euro-Gipfel am Mittwochabend.
Die Kanzlerin verweist darauf, dass man derzeit mit einem "jahrelangen Reformstau" zu kämpfen habe, weil sowohl die Märkte als auch die Politik über Jahre weggesehen hätten, als die Staaten immer höhere Schulden angehäuften. Weder habe es hohe Zinsen gegeben noch hätten die Mechanismen des Stabilitätspaktes gegriffen.
Merkel verlangt von Griechenland weiter harte Reformen, aber sie sagte auch: "Die Menschen in Griechenland verdienen unseren Respekt." Merkel schwor den Privatsektor auf eine stärkere Belastung ein. Der auf einem EU-Gipfel im Juni vereinbarte Schnitt und die Beteiligung der privaten Banken von 21 Prozent reichten "bei weitem" nicht aus. Damit nicht genug: "Ein Schuldenerlass für Griechenland allein wird nicht ausreichen", betonte Merkel. Sie fordert weitere Reformen und Eigenanstrengung der Krisenländer.
Um dauerhaft krisenfester zu werden, verweist Merkel auf die Notwendigkeit einer Finanzmarkttransaktionssteuer, für die sich Deutschland einsetzen werde. Außerdem erläuterte sie den Mechanismus des EFSF. Demnach werden in Brüssel beim Gipfel am Abend zwei Modelle diskutiert. Zum einen eine Art Versicherung zum anderen eine Fonds-Lösung. "Vom Tisch sind aber Pläne, die Europäische Zentralbank direkt zu beteiligen", sagte Merkel und verwies damit indirekt auf ihren Verhandlungserfolg gegenüber Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der eine Banklizenz für den Euro-Rettungsfonds gefordert hatte. Merkel fordert eine stärkere Kapitalisierung der Banken, die in drei Schritten erfolgen solle. Erst aus eigenen Bankmitteln, dann eventuell aus Mitteln der Nationalstaaten und erst, wenn all das nicht möglich sei oder ausreiche, könnte der EFSF einspringen.
Merkel versicherte, dass es bei der beschlossenen deutschen Garantiesumme von 211 Milliarden Euro bleibe. Man überlege nur, wie damit eine maximale Wirkung erzielt werden könne.
Merkel setzte sich auch dafür ein, langfristig die europäischen Verträge zu ändern, um die Stabilitätskultur darin zu verankern. "Wenn es möglich war, die deutsche Einheit in sechs Monaten bei 2+4-Gesprächen zu bewerkstelligen, muss es auch beim Euro möglich sein, Verträge zu ändern."
Die Bundeskanzlerin warnte davor zu glauben, dass mit einem Paukenschlag alle Probleme zu lösen seien. "Diese Themen werden uns noch Jahre beschäftigen." Am Ende ihrer Regierungserklärung machte sie die Dimension, die die Krise in ihren Augen hat, noch einmal deutlich: "Scheitert der Euro, scheitert Europa."
Es ist ein wichtiger, ein vielleicht sogar wegweisender Tag für sie persönlich und für Europa insgesamt. So wegweisend, dass sogar die BBC die Debatte im Deutschen Bundestag live überträgt. Auch wenn vor allem die Koalitionsfraktionen versucht haben, die Bedeutung des Tages herunterzuspielen. Aber das deutsche Parlament muss heute über etwas abstimmen, das die Abgeordneten selbst nur rudimentär kennen und kennen können, weil die Details des Hebels für den Euro-Rettungsschirm EFSF erst noch genau ausgearbeitet werden - frühestens am Abend beim Euro-Gipfel in Brüssel.
Angela Merkel geht vor ihrer Rede noch einmal durch die Reihen. Sie redet viel. Überhaupt wird viel gesprochen - über Fraktionsgrenzen hinaus. So stehen beispielsweise Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) und SPD-Chef Sigmar Gabriel und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier beisammen und diskutieren. Merkel geht auch auf die Ministerpräsidenten zu, die auf der Bundesratsbank sitzen. Es ist eben ein Tag, der für ganz Deutschland und die Zukunft der gesamten Währung nicht unbedeutend ist. Merkel betont in ihrer Regierungserklärung immer wieder, dass die ganze Welt derzeit auf Europa blicke. Und dass die BBC die Rede Merkels live überträgt, scheint das zu bestätigen.
Auch weite Teile der Opposition sahen bei dieser Abstimmung nicht die Notwendigkeit, dass die Regierungsfraktionen mit Kanzlermehrheit hinter Merkel stehen. Die Unionsfraktion geht aber von einer breiten Mehrheit im Bundestag für einen gemeinsamen Entschließungsantrag von Union, FDP, SPD und Grünen aus.
Steinmeier hielt der Regierung in seiner Replik auf Merkels Erklärung vor, neuerdings Positionen der SPD zu vertreten, die sie selbst noch abgelehnt hatte. Die Regierung vertrete inzwischen Dinge, die sie zuvor ausgeschlossen habe. „Alles haben sie dementiert, und nach einigen Tagen kommen sie doch noch auf unseren Kurs.“ Als Beispiel nannte er die jetzt geplante Ausgestaltung des Rettungsschirmes, die dessen Wirksamkeit verstärken soll. Die Regierung brauche die gemeinsame Entschließung auch, „um sich von den eigenen Irrtümern zu verabschieden“.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle wies die Vorwürfe der SPD zurück. Die Sozialdemokraten hätten keinen Grund, „kraftvoll herumzuschimpfen“. Schließlich habe sich die SPD bei der Abstimmung über die erste Griechenland-Hilfe der Stimme enthalten. „Vom heutigen Gipfel wird ein Signal der Entschlossenheit ausgehen“, sagte er. Der gemeinsamer Antrag sei ein „gutes Signal für Europa.“
Die Koalitionsfraktionen hatten sich am Dienstag mit SPD und Grünen bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen auf diesen Antrag geeinigt. In dem Entwurf ziehen die Fraktionen auch Grenzen ein für die Verhandlungen der Kanzlerin in Brüssel. So soll etwa der vereinbarte Garantierahmen des Rettungsfonds von 211 Milliarden Euro strikt eingehalten werden.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Altmaier (CDU), schloss im Gespräch mit dem Deutschlandfunk nicht aus, dass Deutschland bei einer Hebelung des EFSF mit einer höheren Wahrscheinlichkeit mit seiner gesamten Haftungssumme von 211 Milliarden Euro einstehen muss. In dem gemeinsamen Entschließungsantrag stehe, dass sich das Haftungsrisiko verändern könne. Das gelte aber in beide Richtungen - das Risiko könne also größer, aber auch kleiner werden. (mit dpa)