US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump: Kann ein schlechter Mensch ein guter Politiker sein?
Donald Trump hat Amerikas Evangelikale in eine Wertekrise gestürzt. Sie könnte zu einem Zerfall der einst so mächtigen Bewegung führen. Ein Kommentar.
Es gibt einen konservativen Bundesstaat in Amerika, wo viel Wert gelegt wird auf Anstand, Familie und Gottesfürchtigkeit. Dort hat Donald Trump einen Rivalen, der ihm gefährlicher werden könnte als Hillary Clinton. Der Bundesstaat heißt Utah, und Trumps Rivale ist der ehemalige CIA-Agent Evan McMullin. McMullin ist Mormone, eine Zeit lang war er Missionar in Brasilien. Mormonen beurteilen Menschen und deren Eignung für höhere Ämter nach ihrem Charakter.
Trump ist zum dritten Mal verheiratet, äußert sich offen sexistisch, prahlt mit Übergriffen auf Frauen, geht selten in die Kirche. Das stößt viele Mormonen ab. Weil sie aber konservativ sind, wollen sie nicht für eine Demokratin stimmen. Denn die steht für Abtreibungsrecht, Homo-Ehe, Feminismus. McMullin wird nie Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Aber er bietet konservativen Gläubigen einen Ausweg aus ihrer Gewissensnot. Zumindest in Utah.
Landesweit hat Trumps Präsidentschaftskandidatur Amerikas fromme Christen in ein Dilemma gestürzt. Seit 1979, als der Pastor und Fernsehprediger Jerry Falwell Sr. eine Gruppe mit dem ambitionierten Namen „Moral Majority“ ins Leben rief, bilden weiße Evangelikale den stärksten Rückhalt für republikanische Präsidentschaftskandidaten. Ohne sie wären Ronald Reagan und George W. Bush nicht möglich gewesen. Aus der „Moral Majority“ wurde Anfang der 1990er Jahre die „Christian Coalition“. Rund 25 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich selbst als evangelikal.
"Wir wählen einen Oberkommandierenden, keinen Ober-Theologen“
Prominent wurden viele von ihnen – Pat Robertson, James Dobson oder Ralph Reed – durch ihren Kampf gegen Bill Clinton. Der wurde als Ehebrecher (Monica Lewinsky), Lügner („Ich hatte keinen Sex mit dieser Frau“) und Hallodri gegeißelt. „Charakter ist wichtig“, verkündete Dobson damals. „Es ist dumm zu glauben, dass ein Mensch, dem Anstand und moralische Integrität fehlen, eine Nation und die Welt führen kann.“ Das war im Jahre 1998. Heute klingt das anders. Dobson sprach sich, wie viele andere Evangelikale, früh für Trump aus. „Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass er ein gutes moralisches Vorbild ist“, sagte er in diesem Jahr, „aber wir wählen einen Oberkommandierenden, keinen Ober-Theologen.“
Mit den Zeiten ändern sich offenbar die Einstellungen. Kann ein Mensch, der in seinem Privatleben amoralisch handelt, ein fähiger Politiker sein? Das bejahen heute 61 Prozent der Amerikaner und 72 Prozent der Evangelikalen. Vor fünf Jahren waren es 44 Prozent aller Amerikaner und 30 Prozent der Evangelikalen. Eine Minderheit verwandelte sich in kurzer Zeit in eine Mehrheit. Das ist eine dramatische Veränderung, die sich kaum allein mit größerer Toleranz gegenüber privaten Verfehlungen erklären lässt. Die Daten wurden vom „Public Religion Research Institute“ erhoben.
Der Riss, der durchs ganze Land geht, zieht sich ebenfalls durch die Evangelikalen. Weiße Evangelikale unterstützen mehrheitlich Trump (65 Prozent für ihn, zehn Prozent für Clinton). Aber bei nichtweißen Evangelikalen – Schwarze, Latinos, Asiaten –, die etwa zwei Fünftel aller Evangelikalen ausmachen, sieht es genau umgekehrt aus: 62 Prozent sind für Clinton, 15 Prozent für Trump. Aus dem Glauben selbst und seiner Intensität leitet sich durch Multikulti keine politische Präferenz mehr ab.
Den Protestbrief haben bereits mehr als 2000 Studenten unterzeichnet
Ja, und auch weiße Evangelikale streiten heftig um den richtigen Kurs, die richtige Haltung. Jerry Falwell Jr., der Sohn von Jerry Falwell, hat einst die Liberty University gegründet und fungiert heute als deren Präsident. Er war einer der ersten prominenten Evangelikalen, die Trump unterstützten. Doch nun rebellieren die Studenten dort. „Trump vertritt das Gegenteil von christlichen Werten“, schreiben sie in einem Protestbrief, den bereits mehr als 2000 Studenten unterzeichnet haben.
Argumentativ befinden sich die weißen evangelikalen Trump-Unterstützer in der Defensive. Im „Wall Street Journal“ schreibt einer von ihnen, Eric Metaxas, mit haarspalterischer Logik: „Eine Stimme für Trump ist nicht unbedingt eine Stimme für ihn selbst. Es ist eher eine Stimme für die, die vom Ergebnis dieser Wahl betroffen sind.“
Ganz oben steht die Angst um die Machtverhältnisse im Supreme Court, Amerikas Oberstem Gericht. Der nächste US-Präsident könnte immerhin bis zu vier neue Verfassungsrichter benennen. Eine linksliberale Mehrheit würde das Land verändern.
Trumps Kandidatur hat Amerikas Evangelikale in eine Wertekrise gestürzt. Sie könnte zu einem Zerfall dieser einst so mächtigen Bewegung führen. Wer die christliche Botschaft derart radikal abkoppelt von Charakterfragen, riskiert mehr als eine Wahlniederlage.