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Ein Mädchen steht zwischen ungarischen Grenzbeamten, die es wegen illegalen Grenzübertritts festhalten.
© REUTERS

Verzweifelte Flüchtlinge vor Ungarns Grenze: „Kann die Angela die Tore nicht öffnen?“

Verzweifelt verharren Flüchtlinge vor dem ungarischen Zaun. Sie wollen nicht wahrhaben, dass sie nicht weiterziehen dürfen und hoffen auf die deutsche Bundeskanzlerin.

Auf der einen Seite des Zauns stehen Männer mit verschränkten Armen, breitbeinig, den Blick in den Himmel gerichtet, über die hunderte Menschen hinwegblickend, die hier auf dem Asphalt liegen, sitzen, reden, schlafen, träumen und zweifeln. Die ungarischen Grenzbeamten haben rote Kappen. Vor ihnen stehen der neue undurchlässige Zaun und die Stacheldrahtrollen.

Der Zaun trennt sie von einer anderen Welt. Es ist Tag Eins, nachdem der ungarische Staat die Flüchtlinge nicht mehr ins Land lässt, die Grenze dichtgemacht wurde. Es ist der Tag Eins des neuen Gesetzes, wonach Leute, die illegal nach Ungarn einreisen, für ein paar Jahre ins Gefängnis kommen können.

Auf der anderen Seite des Stacheldrahts hat man von diesem Gesetz gehört und davon, dass niemand mehr durchkommt. Bloß glauben tut das hier niemand. „Wir warten so lange, bis die hier die Tore wieder aufmachen. Und wenn wir hier bis zu unserem Tod warten müssen. Wir warten“, sagt Mohammed Ibraheem, ein 26-jähriger Journalist aus Bagdad, der mit dreien seiner Freunde vor 25 Tagen aus dem Irak aufgebrochen ist. Er hat alle seine Lebensunterlagen auf einem USBStick mit auf die Reise genommen. „Auf diesem Stick sind alle meine Dokumente und die Zertifikate, die mich als Journalist ausweisen“, erzählt er. Den USB-Stick trägt er am Bauch, in Plastik eingewickelt, damit der Regen ihn nicht zerstören kann. Er ist mit seinen Freunden am Dienstag hierher nach Horgoš gekommen, jenes Dorf in Serbien, aus dem seit Monaten Zehntausende in die EU einreisten.

Angela Merkel gilt hier als allmächtige Heilige

Herr Ibraheem erzählt, dass sie auf dem Weg im Taxi von einer Polizeistreife aufgehalten worden seien. „Die Polizei hat jedem von uns 500 Euro abgeknöpft. Die haben gesagt, wenn wir ihnen das Geld nicht geben, kommen wir ins Gefängnis.“ Nun hat Ibraheem kein Geld mehr, um nach Kroatien zu fahren. Etwa 150 Flüchtlinge kamen am Mittwoch bereits über die serbisch-kroatische Grenze bei Šid in die EU, weil sie gehört haben, dass Ungarn die Grenzen dichtgemacht hatte. Kroatien und Slowenien wollen nun einen Korridor für die Flüchtlinge einrichten. Österreichs Kanzler Werner Faymann trifft sich heute mit seinem slowenischen und kroatischen Amtskollegen, um die Politik zu koordinieren.

Der von Horgoš aus nächstgelegene Grenzübergang Richtung Kroatien bei Bezdan ist von den Flüchtlingen noch nicht entdeckt worden. Sie können ohnehin noch nicht fassen, dass der Weg über Ungarn wirklich verschlossen bleiben soll. „Die werden das hier in ein paar Tagen schon öffnen“, glaubt Ibraheem. „Und am Ende wird uns Angela Merkel helfen, weil sie so eine liebenswürdige Frau ist.“ Die Meinung, dass die deutsche Kanzlerin so etwas wie eine allmächtige Heilige ist, ist unter den Flüchtlingen, die hier an der Grenze festsitzen, weit verbreitet.

„Auch die Angela kann die ungarischen Tore nicht öffnen?“, fragt Mirna Sheh aus Aleppo mit großen Augen. Sie hat heute Geburtstag, ist 25 Jahre alt geworden. Die letzten zwei Wochen auf der Flucht war sie „immer optimistisch“ – bis heute. Wie die anderen will sie nun einfach mal warten. „Ich will nach Deutschland, ich will Frieden und ich will mein Studium fertigbringen“, sagt die Frau, die Zahnmedizin studiert und auch Deutsch spricht, weil drei ihrer Brüder in Ludwigshafen leben.

Flüchtlingshelfer verteilen Wasser, Essen und Kleidung. Es ist noch immer unerträglich heiß. Kinder schlafen auf dem blanken Asphalt. Einige Kinder rütteln am Zaun und klopfen auf die Pfähle. Die ungarischen Beamten haben Schichtwechsel. Jetzt kommen Männer mit blauen Kappen, auch ihr Blick ist in den Himmel gerichtet.

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