Soldaten nach dem Einsatz: Kampf um Anerkennung
Was macht ein Krieg im 21.Jahrhundert aus den Soldaten? Und wie gehen sie mit dem Erlebten um? Ulrike Scheffer und Sabine Würich haben 74 von ihnen gefragt. Ihr Buch „Operation Heimkehr“ haben sie am Dienstag im Tagesspiegel-Salon vorgestellt.
Selbsthilfegruppe? „Das ist doch nur etwas für Leute mit langen Haaren, die Matetee trinken“, dachte Holger Roßmeier. Inzwischen hat er selbst eine gegründet.
Inzwischen ist aber auch viel passiert. Seine Söhne bekommen in der Schule gesagt: „Dein Vater ist ein Mörder“, denn er ist einer jener Soldaten, die von der Bundesregierung entsandt wurden um „unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen“, wie der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck einmal gesagt hat. Roßmeier, der dort mit Tausenden seiner Kameraden diesen Auftrag unter Lebensgefahr ausführen musste, leidet seit seiner Rückkehr aus Afghanistan unter Panikattacken, Albträumen, Selbstmordgedanken.
Wer kommt da aus Afghanistan zurück?
Seit 13 Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan. Nach den Anschlägen vom 11. September beschloss die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder (SPD), sich an der Mission zu beteiligen. Für Sicherheit und Stabilität sollten die Soldaten sorgen: Brunnen bohren und Schulen bauen. Von einem Krieg war keine Rede. Spätestens das wurde aber 2007 aus dem Einsatz, schreibt Ulrike Scheffer im Vorwort zum Buch „Operation Heimkehr“, das sie gemeinsam mit Sabine Würich am Dienstagabend im Tagesspiegel vorgestellt hat. Ein Krieg, in dem deutsche Soldaten umkamen und selbst töteten. Im Dezember 2014 sollen nun die letzten Nato-Soldaten abgezogen werden.
Aber: Wer kommt da aus Afghanistan zurück? Wer sind diese Menschen und wie sollen wir mit ihnen umgehen – mit ihren Erlebnissen, ihren Verletzungen, ihrer Schuld?
Krieg passt nicht in unser Leben
Die deutsche Friedens- und Wohlstandsgesellschaft tut sich schwer mit dieser Frage. Die meisten wollen sich mit den Kriegsheimkehrern nicht weiter beschäftigen. Weil die Deutschen nie wieder Täter sein wollten. Weil Krieg nicht in unser Leben passt. Oder einfach, weil er so weit weg ist, so abstrakt.
Für die Soldaten ist der Krieg aber allgegenwärtig. Er endet nicht mit dem Einsatz. Die Wunden bleiben, die Traumata kommen oft erst später – die Probleme der Reintegration in die Gesellschaft auch.
Fotografin Sabine Würich und Politikredakteurin Ulrike Scheffer, die für den Tagesspiegel aus Afghanistan und anderen Krisenregionen berichtet, wollten wissen, wie es den Soldaten nach ihrem Einsatz, zurück in Deutschland, geht. „Wir wollen weder ein Plädoyer für noch gegen Auslandseinsätze halten. Uns interessieren die persönlichen Geschichten der Soldaten“, sagte Autorin Scheffer am Dienstagabend im Tagesspiegel-Salon.
"Operation Heimkehr" erzählt die Geschichten der Soldaten
Die beiden Frauen sind zwei Jahre durch Deutschland gereist, haben Kasernen besucht, ehemalige Soldaten und Reservisten getroffen. Insgesamt 74 Soldaten haben sie interviewt. Fotografin Würich hat die Soldaten unmittelbar nach dem Gespräch auf der Kamera festgehalten. Die Porträts wurden gemeinsam mit Zwischenrufen verschiedener Wissenschaftler und Experten, wie Alfred Grosser und Berthold Graf von Stauffenberg, im Band „Operation Heimkehr. Bundeswehrsoldaten über ihr Leben nach dem Auslandseinsatz“ (Ch. Links Verlag, 24,90€) veröffentlicht.
Am Dienstag lasen die Frauen aus den Porträts vor. Mitgebracht haben sie den Sanitätsoffizier und Leiter des Sportmedizinischen Instituts der Bundeswehr Andreas Lison, der ebenfalls in dem Buch porträtiert wird. Moderator Michael Schmidt, stellvertretender Politikchef des Tagesspiegels, der auch schon aus Afghanistan berichtet hat, gab zu Beginn das Stichwort: „Veteranen – das mutet altmodisch an, und ist doch hochaktuell. Wie passen diese Veteranen mit ihren Erfahrungen in unsere Gesellschaft?“
Die Heimkehr ist das Schwierigste am Einsatz
Die Wehrpflicht ist abgeschafft, Militär interessiert die wenigsten, „die Leute gucken zunehmend weg“, sagt Lison, der als Oberstarzt in Kambodscha und Afghanistan war. Nun arbeitet er therapeutisch mit körperlich und seelisch verwundeten Soldaten. Aus eigener Erfahrung weiß er: „Die Heimkehr ist das Schwierigste. Im Einsatz ist alles durchstrukturiert, alles geregelt. Heimkommen hingegen ist überhaupt nicht organisiert.“
Damit müssen die Soldaten plötzlich ganz alleine klarkommen. Von diesem Leben danach erzählen sie im Buch „Operation Heimkehr“. Was es heißt, sich wieder sein altes Leben zurück zu erkämpfen – und warum es so oft nicht klappt. Aber auch, was junge Menschen aus diesen Erfahrungen mitnehmen und lernen – ein kritisches Auge auf die Konsumgesellschaft und Dankbarkeit für den Frieden.
"Füße dran, Arme dran, was hat er denn?"
74 Soldaten, 74 Geschichten – Frauen, Männer, jung, alt mit und ohne Migrationshintergrund. Doch eines eint sie alle: Der Kampf um Anerkennung. Mit dem Erlebten zurecht zu kommen, das ist eine Herausforderung. Doch sich dafür noch ständig rechtfertigen zu müssen, ist für die meisten nicht einfach. Auch wenn sie die Skepsis vieler Deutscher gegenüber militärischen Einsätzen verstehen, würden sie sich eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema wünschen. Die bleibt aus ihrer Sicht aber aus. Stattdessen Anfeindungen, Unverständnis, Desinteresse.
Dass Soldaten äußerlich unversehrt, aber mit Verletzungen der Seele, vom Krieg heimkommen, ist vielen heute fremd. Ebenso wie die Diagnose PTBS – „posttraumatische Belastungsstörungen“. Gerade solche unsichtbaren Verwundungen werden oft nicht ernst genommen, sagt David Hallbauer im Buch, als Hauptfeldwebel in Mazedonien und im Kosovo eingesetzt. Niemand in seinem Freundes- und Bekanntenkreis habe mit der Diagnose PTBS etwas anfangen können, „man sieht mich und denkt: Füße dran, Arme dran, was hat er denn?“
Wenn die Aggressionen nicht mehr kontrollierbar sind
Diese psychischen Erkrankungen, beklagt der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus in „Operation Heimkehr“, würden selbst von der Bundeswehr oft nicht anerkannt: „Hier brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Politik und Bundeswehr müssen ihrer Fürsorgepflicht besser nachkommen.“
Thorsten Gehrk hätte diese Hilfe dringend benötigt. Nach seinen Einsätzen im Kosovo und in Afghanistan, hatte er seine Aggressionen nicht mehr unter Kontrolle: „Mehr als einmal hätte ich fast jemanden getötet. Auch in der Familie bin ich gewalttätig geworden. Meine damalige Frau und mein Sohn wollen heute nicht mehr mit mir zu tun haben.“
Doch es ist nicht alles negativ, was die Soldaten erzählen. Die 27-jährige Melanie Baum hat als Marine-Soldatin am Horn von Afrika keine lebensbedrohlichen Situationen erlebt, aber die Erfahrungen von Elend und Armut haben sie sehr verändert, wie sie im Porträt erzählt: „Man wird sich bewusst, dass man unglaubliches Glück hat, in Deutschland geboren und so privilegiert zu sein.“ Aus Konsum und Statussymbolen mache sie sich nun nichts mehr: „Meine Mutter war total glücklich über diese Veränderung. Die hat gesagt, endlich verstehst du den Sinn von Geld.“
Die Bindung nach Hause ist wichtig
So verschieden die Soldaten und ihre Erfahrungen sind, so verschieden läuft auch ihr Leben danach. Oberstarzt Lison stellt immer wieder fest, dass die Bindung nach Hause das Wichtigste für eine gelingende Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist. Von der Leyens Reform, die die Bundeswehr familienfreundlicher machen will, hält er deshalb für einen Fortschritt: „Es ist sehr wichtig, dass die Bundeswehr Partner und Familie der Soldaten unterstützt.“
Viele Soldaten sind an diesem Abend in den Tagesspiegel gekommen – in voller Uniform haben sie sich nach ganz vorn gesetzt. Damit wollten sie wohl zeigen: Hier sind wir. Und auch wenn es euch nicht lieb ist, müsst ihr euch doch mit uns auseinandersetzen. Ihr wart es schließlich, die uns in den Einsatz geschickt haben – als Wähler eines Bundestags, der solche Einsätze beschließt.
Livia Gerster