Von der Leyens Berateraffäre: Justiz prüft Anzeige gegen Verteidigungsministerium
Externer Sachverstand kann nützlich sein. Aber Rechnungsprüfer bemängelten bereits gravierende Verstöße bei der Vergabe von Aufträgen.
Im Bendlerblock legt man Wert auf feine Unterschiede. Bei der Berliner Justiz ist eine Anzeige eingegangen, die Staatsanwaltschaft prüft. Es handele sich um eine Anzeige „gegen das Ministerium“, betont ein Sprecher, nicht gegen die Ministerin persönlich. Der feine Unterschied ändert freilich nichts daran, dass es an Ursula von der Leyen als Ministerin und CDU-Politikerin ganz persönlich hängen bliebe, sollte sich der Vorwurf bewahrheiten, dem die Justiz nachgeht: Unter ihrer Ägide seien Berater als Scheinselbständige beschäftigt worden. Das könnte eine Straftat sein.
Peinlich ist die Sache in jedem Fall für das Ministerium und seine Chefin. Denn mit Missständen im Beraterwesen beschäftigen sich Rechnungshof und Parlament jetzt schon seit geraumer Zeit. Auslöser waren mehrere Berichte des Bundesrechnungshofs von Anfang August. Darin wird nicht nur vorgerechnet, dass das Verteidigungsministerium jährlich eine Rekordsumme von bis zu 150 Millionen Euro für externe Berater zahlt – weitaus mehr als in den Haushaltsplänen unter diesem Stichwort jeweils ausdrücklich ausgewiesen.
Ohne Ausschreibung
Die Rechnungsprüfer bemängelten auch gravierende Verstöße gegen Vergaberichtlinien. Aufträge wurden freihändig ohne Ausschreibung vergeben; überdies habe man sich in vielen Fällen gar nicht erst die vorgeschriebene Mühe gemacht zu begründen, ob die Einschaltung dieser Experten wirtschaftlich überhaupt vertretbar und also notwendig war.
In einem konkreten Fall wiesen die Prüfer sogar detailliert nach, dass Berater aus einem Topf bezahlt worden waren, der dafür überhaupt nicht vorgesehen war. Für diesen einen Verstoß leistete Leyen im August Abbitte und versprach Aufklärung und Besserung. Am Donnerstag bekräftigte ihr Sprecher Jens Flossdorf, eine interne Ermittlungsgruppe gehe weiter „Hinweisen auf grobes persönliches Fehlverhalten von Einzelpersonen“ nach.
Die Frage ist, ob „Fehlverhalten von Einzelpersonen“ die Dimension richtig fasst. Denn politisch steht der Vorwurf im Raum, dass Leyen, angetreten, vor allem im Beschaffungswesen grundlegend aufzuräumen, die Kumpanei der Beschaffer durch eine Kumpanei der Berater ersetzt habe.
Eigene Büros
An sich kann externer Sachverstand ja ausgesprochen nützlich sein. Als Leyen sich bei Amtsantritt vor fünf Jahren mit der McKinsey-Beraterin Katrin Suder eine moderne Management-Frau als Staatssekretärin zur Seite holte, sorgte das zwar für allerlei Gegrummel bei den Alteingesessenen, brachte aber tatsächlich frischen Wind in den unübersichtlichen Apparat. Ein Gutachten der Unternehmensberater von KPMG deckte Defizite auf, um die sich bis dahin niemand gekümmert hatte. Bei Themen wie IT und Digitalisierung bleibt der Rückgriff auf Fachleute von außerhalb wohl auch künftig unvermeidlich. Selbst in der Großbehörde Bundeswehr sind ausgewiesene Cyber-Experten rar. Doch schon in den Rechungshof-Berichten wird kritisiert, dass sich die Bundeswehr gerade auf manchen dieser zukunftsträchtigen Gebiete von immer den gleichen Beratern regelrecht abhängig gemacht habe. Aufgrund des „Spiegel online“-Berichts, der die Anzeige am Donnerstag öffentlich machte, stellt sich nun obendrein heraus, dass man im Ministerium mit dem feinen Unterschied zwischen Beratern und Mitarbeitern ziemlich großzügig umging.
Externe hatten eigene Zimmer im Haus mit einem Namensschild wie alle anderen auch. Sie konnten sich – mit dienstlicher Telefonnummer, Mailadresse und amtlichem Briefpapier bewaffnet – nach außen hin wie Amtspersonen aufführen. Das sei abgestellt, versichert Flossdorf jetzt. Das wurde dann aber auch Zeit.
Vorsatz weist das Ministerium zurück
Denn spätestens an dieser Stelle kommt das Thema Scheinselbständigkeit ins Spiel. Eigenes Büro mit Namensschild, eigenes Telefon, Zugang zum internen IT-System und Briefkopf mit Bundesadler – solche Dinge gelten als starke Indizien dafür, dass jemand nicht als selbständiger Unternehmer arbeitet, sondern wie ein Mitarbeiter angestellt ist, nur dass sich der Arbeitgeber die Abgaben an die Sozialkasse spart. In sechs Fällen, erklärt jetzt das Ministerium, habe man aus eigenem Antrieb nachträglich die Rentenversicherung um Statusfeststellung gebeten. Eine Clearingstelle prüft weiter. Den Vorwurf vorsätzlichen Unterschleifs weise man aber zurück.
Das Problem ist nur, dass die Sozialkassen an dem Punkt wenig Spaß verstehen und die Rechtsprechung auch nicht. Aus Sicht der Justiz reicht „bedingter Vorsatz“ zur Strafbarkeit aus. Der kann aber schon vorliegen, wenn ein Arbeitgeber es versäumt hat zu prüfen, ob er womöglich aufs Glatteis Scheinselbständigkeit gerät. Die Ausrede, man habe ja die Gefahr gar nicht erkennen können, zieht vor Gericht in diesem Fall nicht mehr.
Unter Beobachtung
Noch liegt aus Sicht der Berliner Justiz nur ein Anfangsverdacht vor. Die Anzeige stammt laut dem „Spiegel online“-Bericht vom 30. September – wer sie erstattet hat, ist nicht bekannt, aber es scheint sich um einen Insider gehandelt zu haben. Das wäre nicht wirklich erstaunlich. Leyens gut bezahlte Beraterarmee stand von Anfang an unter scharfer Beobachtung der Alteingesessenen. Als die Rechnungshof-Vorwürfe in Sachen getarnter Beraterfinanzierung publik wurden, konnten Interessierte im Militär-Fachblog „Augen geradeaus“ nachlesen, dass in der September-Ausgabe eines internen Mitteilungsblatts im Beschaffungsamt BAAINBw die „Gelddruckmaschine“ schon detailliert beschrieben worden war.
Für die Opposition sind die Ermittlungen ein gefundenes Fressen. Der Grünen- Haushälter Tobias Lindner forderte von der Ministerin zügige Aufklärung und transparente Information des Parlaments statt „Vertuschung und Abwiegeln“. Auch Linke und AfD sprachen von unhaltbaren Zuständen.
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