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Jung, links, kämpferisch - so kennt man Andreas Nahles als ehemalige Vorsitzende der Jusos, hier ein Bild aus dem Jahr 1996. Die heutige Bundesarbeitsministerin war wohl die Juso-Chefin mit dem größten und nachhaltigsten Einfluss in der SPD. Und vielleicht wird sie irgendwann einmal auch mit Hilfe der Jusos und der SPD-Linken Kanzlerkandidatin.
© picture-alliance / dpa

Die Jusos und die SPD: Jung, sozialistisch, bedeutungslos?

Sinkende Mitgliederzahlen, weniger Einfluss: Warum es die Jungsozialisten mit der SPD so schwer haben – und umgekehrt.

Kevin Kühnert hat kein Relevanzproblem, er stellt sich auch nicht die Sinnfrage – aber er hat ja auch gut reden als Vorsitzender der Berliner Jungsozialisten (Jusos). Entgegen dem Bundestrend steigen die Mitgliederzahlen der Berliner Jusos. Allerdings gibt es da doch noch einen kleinen Haken: „Viele jüngere Leute kommen zu uns und sagen, wäret ihr eine eigene Partei, würden wir eintreten, aber nicht mit der SPD.“
Die Jusos und die SPD – das ist immer auch eine Leidensgeschichte, die nicht nur etwas erzählt über Jung und Alt, sondern vor allem über politische Kämpfe innerhalb einer niemals homogenen Gruppe: der Sozialdemokratie. Eine nicht unerhebliche Frage, das sieht auch Kevin Kühnert nicht anders, müssen sich die Jusos deshalb dann doch immer mal wieder gefallen lassen: Haben sie Einfluss?

Wollte man den Einfluss in nackten Zahlen messen, funktioniert das Beispiel in Berlin noch ganz gut, weil die Jusos hier tatsächlich mehr als ein Viertel der 17000 SPD-Mitglieder stellen, deutschlandweit aber sind sie von einst 380 000 Mitgliedern in den Achtzigerjahren auf unter 60 000 gefallen.

Fragt man erfahrene Politikwissenschaftler und Parteienforscher nach der Bedeutung der Jungsozialisten, fällt die Antwort wenig schmeichelhaft aus. In der wissenschaftlichen Literatur spielen die Jusos im Hinblick auf die Machtfrage mittlerweile gar keine Rolle mehr. Außerdem, findet der Politikwissenschaftler Richard Stöss, seien die großen ideologischen Schlachten sowieso geschlagen. Das wiederum sei eine eher schlechte Ausgangslage für die Jusos. Denn die kämpfen nach wie vor für den demokratischen Sozialismus und eine neue, antikapitalistische Gesellschaft.

Die Faust in der Tasche haben viele Jusos oft geballt, oft kritisieren sie ihre Mutterpartei auch öffentlich - aber sind sie deshalb schon einflussreich?
Die Faust in der Tasche haben viele Jusos oft geballt, oft kritisieren sie ihre Mutterpartei auch öffentlich - aber sind sie deshalb schon einflussreich?
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Jürgen W. Falter, Parteienforscher und emeritierter Professor, sieht es ähnlich: „Die mit der ideologischen Brechstange der Jusos geführten Kämpfe bewegen die Partei nicht mehr, sie wirken seltsam lebensfremd.“ Falter spricht aus, was auch Kevin Kühnert Sorgen bereitet: „Die Jusos werden heute als Sprengel der SPD wahrgenommen, nicht als selbstständige Organisation.“

Linkswende 1969 in München

1914 fällt der Name „Jungsozialisten“ zum ersten Mal, die Jusos gehen aus der „Jugend-Sektion“ des „Sozialdemokratischen Vereins München“ hervor, nach der Neugründung 1946 blieb man stets loyal zur SPD. 1959 wurde mit Hans-Jürgen Wischnewski erstmals ein Vorsitzender frei gewählt, zuvor bestimmte ihn der Parteichef. Aber erst seit der sogenannten Linkswende der Jusos auf ihrem Bundeskongress 1969 in München sind die Jusos ihren links-ideologischen Grundsätzen treu – egal, wer Vorsitzender ist. Wer allerdings nach der Juso-Zeit in der Politik bleibt, rückt automatisch von links näher in die Mitte, wird realpolitischer, unideologischer. Man könnte es auch karrierepragmatisch nennen. Trotzdem wäre es ein großer Fehler, finden selbst die konservativen „Seeheimer“ in der Partei, würde man die Jusos als „reine Folklore“ abtun. „Die Jusos“, sagt ein Seeheimer, „sind mit den Ü60-Leuten diejenigen, die am meisten Power in der Partei haben und etwas bewegen wollen. Das tut uns allen gut.“

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, M.) folgte einst dem SPD-Politiker und späteren SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter auf den Posten des Jusochefs. Denn Benneter wurde zwischenzeitlich Mitte der 70er Jahre, damals von Egon Bahr, aus der Partei ausgeschlossen. Hier ein Foto aus dem Wahlkampf 2009.
Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, M.) folgte einst dem SPD-Politiker und späteren SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter auf den Posten des Jusochefs. Denn Benneter wurde zwischenzeitlich Mitte der 70er Jahre, damals von Egon Bahr, aus der Partei ausgeschlossen. Hier ein Foto aus dem Wahlkampf 2009.
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Wenn man sich die Juso-Vorsitzenden von einst anschaut, muss man sagen: Wenige haben es bis in die ersten Reihen der Politik geschafft. Einer immerhin, Gerhard Schröder, ist Bundeskanzler geworden. Heidemarie Wieczorek-Zeul, die „Rote Heide“, war langjährige Bundesministerin. Andere sitzen an strategisch wichtigen Positionen, wie Ex-Jusochef Björn Böhning, Chef der Berliner Senatskanzlei. Auch Benjamin Mikfeld gehört noch immer zu den Vordenkern und ist einer der Männer im Hintergrund der Bundesarbeitsministerin, zuständig für Grundsatzfragen des Sozialstaats. In jenem Ministerium wirkt wiederum diejenige, die als Jusochefin wohl den größten und nachhaltigsten Einfluss hatte: Andrea Nahles.

Doch sind Karrieren allein der falsche Gradmesser, um den Wert der Jusos innerhalb der SPD zu bestimmen. Die Jungsozialisten sind nicht nur Talenteschmiede, sondern auch eine Art identitätsstiftender Stammtisch. Ohne die Schlagkraft und das Netzwerk der Jusos wäre ein Wahlkampf an der Basis ohnehin kaum denkbar. Sigmar Gabriel wird von vielen Linken in der Partei auch deshalb etwas geringschätzig beäugt, weil er vor allem ein Falke war und nur qua automatischer Mitgliedschaft Juso. Die Falken waren immer schon pragmatischer – sagen die Falken.

Manche, wie Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, haben auf dem ganz linken Flügel bei den „staatsmonopolistischen Kapitalisten“ (Stamokap) begonnen. Auch Ex-Jusochef Klaus-Uwe Benneter gehörte zum Stamokap-Flügel, wurde sogar mal aus der Partei ausgeschlossen – aber später Generalsekretär. Anderen, wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, waren die „stundenlangen Ideologiedebatten“ immer schon ein Gräuel, wie sein Freund und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann mal verriet. „Stephan ging dann schlafen.“ Spätestens seit Schröders Agenda 2010 hatten die Jusos wieder eine Funktion als Gralshüter sozialer Verteilungspolitik. Franziska Drohsel, die die Jusos von 2007 bis 2010 führte, diktierte den eigenen Leuten 63 Thesen zur jungsozialistischen Politik ins Stammbuch, eine lautet: „Das Scheitern von Rot-Grün ist(...) auch das Scheitern derjenigen, die linke Theorie- und Strategiebildung bloß als unnützen Ballast herabgewürdigt haben und sich stattdessen in postmoderner Beliebigkeit ergingen.“ Die Jusos wollen den Kulturkampf mit einem Bündnis aus Rot-Rot-Grün unbedingt wagen. Die amtierende Vorsitzende Johanna Uekermann, die auf dem kommenden Bundeskongress im November wohl wiedergewählt wird, hat sich mehrfach gegen Schwarz-Rot ausgesprochen. Und Kevin Kühnert, der Berliner Juso-Mann, findet: „Die Jusos sind eine Generation, die nur ein parlamentarisches System mit der Linkspartei kennen. Das ist unsere Lebenswirklichkeit. Ich habe aber das Gefühl, dass noch immer viele in der SPD glauben, die Linke sei ein historischer Irrtum und würde von selbst verschwinden.“

ohanna Uekermann protestiert 2013 mit den Jusos vor dem Kanzleramt gegen die Einführung des Betreuungsgelds.
Johanna Uekermann protestiert 2013 mit den Jusos vor dem Kanzleramt gegen die Einführung des Betreuungsgelds.
© Thilo Rückeis

Aktuell betrachtet, ist der Einfluss der Jusos klein, aber vorhanden. Gemeinsam mit der Parlamentarischen Linken (PL), die den größten Flügel der Bundestagsfraktion stellt, versucht man sich am Vorsitzenden Sigmar Gabriel abzuarbeiten, weil der die Sozialdemokratie stärker in der politischen Mitte verorten wolle. Das Streben „nach sozialer Gerechtigkeit“ müsse in den Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik gerückt werden. Wörtlich schreibt Uekermann: „Potentielle Gewinne aus dem konservativen Lager durch Anpassung an deren Programmatik brächten im Saldo große Verluste mit sich.“
Aus der PL ist zu hören, man werde als „stärkster Flügel“ den „innerparteilichen Kampf“ auch gegen Gabriel führen und arbeite „eng mit den Jusos zusammen“. Kevin Kühnert dagegen findet: „Die Parlamentarische Linke ist als Flügel sehr groß, aber leider spiegelt das überhaupt nicht ihren Einfluss wider.“ Parteienforscher Jürgen W. Falter sagt zu diesen Scharmützeln: „Natürlich müssen die Jusos links sein, radikaler denken, es hilft ihnen als Organisation auch – nur der SPD schadet es derzeit. Mit Blick auf die nächste Bundestagswahl wäre ein Linksruck der Sozialdemokratie bestimmt nicht hilfreich.“
Andrea Nahles, die die meisten Jusos bis heute sehr verehren, sagte in ihrer Abschiedsrede als Vorsitzende 1999, es sei Aufgabe der Jusos, die SPD nicht zum Kanzlerwahlverein verkommen zu lassen. Wer weiß, ob sie nicht irgendwann die Jusos genau als solchen Verein gut gebrauchen kann.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 29. September 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Folgen Sie ihm auch auf Twitter.

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