zum Hauptinhalt
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg.
© AFP

Flüchtlingskrise: Juncker: EU ist in keiner guten Verfassung

Vor dem Europaparlament beklagt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die mangelnde Zusammenarbeit der Nationalstaaten in der Flüchtlingskrise - und stellt eine flexible Auslegung des Euro-Stabilitätspakts in Aussicht.

Wegen des nahenden Winters hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein schnelles Handeln der Europäer in der Flüchtlingskrise gefordert. „Jeder Tag zählt“, sagte Juncker am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg angesichts der Bilder von frierenden und durchnässten Flüchtlingen auf der Balkanroute. Der EU-Kommissionspräsident äußerte die Erwartung, dass die europäischen Mitgliedstaaten den EU-Zivilschutzmechanismus unterstützten. Zuvor hatte Kroatien am Montag diesen Mechanismus ausgelöst und unter anderem Winterzelte und sanitäre Anlagen angefordert. Juncker erläuterte vor den Europaabgeordneten die Ergebnisse des Balkan-Flüchtlingsgipfels vom vergangenen Wochenende. Dass es überhaupt des Treffens der Staats- und Regierungschefs zur Abstimmung der Länder entlang der Balkanroute bedurft habe, zeige, „dass die Europäische Union in keinem guten Zustand ist“, sagte der Kommissionschef, der zu dem Treffen eingeladen hatte.

Juncker dankt Tsipras

Bei dem Mini-Gipfel am vergangenen Sonntag habe er die Teilnehmer zunächst gebeten, die Probleme bei der Bewältigung des Zustroms der Flüchtlinge in der Balkanregion ehrlich anzusprechen, erläuterte der Kommissionschef. „Diesem Wunsch wurde in fast übertriebener Weise Genüge getan“, sagte Juncker. Der Chef der Brüsseler Behörde meinte damit den Streit um die Flüchtlinge, den einige Staats- und Regierungschefs am vergangenen Sonntag offen ausgetragen hatten. So hatten etwa Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und der slowenische Regierungschef Miro Cerar vor dem Treffen erklärt, dass die Flüchtlingskrise nur an der türkisch-griechischen Grenze gelöst werden könne. Juncker dankte vor dem Europaparlament dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras ausdrücklich für die Ankündigung, dass Hellas bis Jahresende 30.000 zusätzliche Aufnahmeplätze für die Schutzsuchenden schaffen will. Darüber hinaus soll Griechenland zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR 20.000 weitere Aufnahmeplätze schaffen. Die Balkanländer sollen laut dem Beschluss des Mini-Gipfels ebenfalls 50.000 Aufnahmeplätze bereitstellen. Allerdings sollen Details dazu erst in den kommenden Wochen ausgearbeitet werden. Juncker stellte den von der Flüchtlingskrise betroffenen Euro-Mitgliedstaaten eine flexible Auslegung des Stabilitätspaktes in Aussicht. Allerdings müssten die betroffenen Länder nachweisen, dass ihnen durch die Flüchtlingskrise tatsächlich zusätzliche Kosten entstünden, so Juncker.

Spitze gegen Seehofer

Eine Spitze richtete der Kommissionschef gegen den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Es brauche „keine feierliche Appelle von Bayern und sonstwo, dass der EU-Kommissionspräsident jetzt endlich die Dinge in die Hand nehmen soll“, sagte Juncker. „Ich tue sonst nichts. Wenn andere so aktiv wären bei der Bekämpfung der Flüchtlingskrise, wie die Kommission dies in täglichem und nächtlichem Einsatz ist, dann wären wir sehr viel weiter.“

EVP-Fraktionschef Weber fordert Quotenregelung

In der anschließenden Debatte sprach sich der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, dafür aus, die humanitäre Notlage der Flüchtlinge auf der Balkanroute zu beenden und gleichzeitig die EU-Außengrenzen besser zu schützen. Die EVP-Fraktion sei bereit, die von der Kommission geplante Einführung eines dauerhaften Mechanismus zur Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten mit einem beschleunigten Verfahren im Europaparlament zu unterstützen, sagte der CSU-Politiker. Gleichzeitig appellierte er an die Sozialdemokraten im EU-Parlament, in der umstrittenen Frage der Umverteilung nicht länger „den Schwarzen Peter hin- und herzuschieben“. Weber wies darauf hin, dass nicht nur der zur EVP-Parteienfamilie gehörende ungarische Regierungschef Orban, sondern auch die Ministerpräsidenten der Slowakei, Tschechiens und Rumäniens eine Umverteilung ablehnten. Sie gehören zum Lager der europäischen Sozialdemokraten.
Die Fraktionschefin der Grünen, Rebecca Harms, warnte derweil davor, die Augen vor der Einschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei zu verschließen. Zuvor hatte Juncker gefordert, gemeinsam mit der Türkei konkrete Schritte „in gemeinsamer Solidarität“ zur Lösung der Flüchtlingskrise zu unternehmen.

Zur Startseite