Ägypten: Journalistin recherchiert in "Schwulensauna" und ruft dann die Polizei
In Ägypten drohen dutzenden Homosexuellen hohe Haftstrafen. Eine Fernsehjournalistin recherchierte zum Thema "Schwule und Aids", rief die Polizei an und ließ die Männer festnehmen. Sie begründet ihren Schritt mit der "Moral". Nun wurde sie ein bisschen gefeuert.
Dramatische Musik, unkenntlich gemachte Gesichter, verzerrte Stimmen, eine ernst blickende Reporterin: Investigativer Journalismus, wie wir ihn auch aus anderen Ländern kennen. Doch bei dieser Ausgabe der ägyptischen Dokumentationsserie "Das Versteckte" der Journalistin Mona Iraqi gibt es einen entscheidenden Unterschied: Am Ende kommt die Polizei, um vor laufender Kamera dutzende vermeintlich homosexuelle Männer festzunehmen. Die Notrufnummer hatte die Journalistin selbst gewählt.
In ihrem Dreiteiler "Schwule und Aids in Ägypten" ist die im Land berühmte Mona Iraqi "abartigen Schwulen" und "kriminellen Prostituierten" im Herzen Kairos auf der Spur. In ihrer Dokumentation spricht Iraqi von "Menschenhandel" und einer "für die Familienmoral gefährlichen Sexindustrie". Dafür engagierte sie einen Schauspieler, um undercover in einem Hamam zu filmen. Der Ort im Stadtteil Ramses gilt auch als Schwulentreff, wo es durchaus auch zum Sex kommen kann. Die Dokumentation löste in Ägypten eine große Diskussion über Moral und journalistische Ethik aus.
Die Hauptszene der arabischen Originalfassung der Dokumentation zeigt, wie Mona Iraqi eine Polizeirazzia mit ihrem Handy filmt. In ihrer Sendung gibt sie zu, dass sie die Polizei verständigt habe: "Diese Praktiken sind gefährlich für unsere Gesellschaft und ich habe die Aufgabe, Ägypten vor der Ausbreitung von Aids zu schützen", erklärt sich Iraqi in ihrer Sendung. Daraufhin werden Bilder gezeigt, auf denen dutzende Männer, die sich im Hamam "Tor zum Meer" aufhielten und "auf frischer Tat ertappt" worden sind. Unbekleidet und mit den Händen vor ihren Gesichtern wurden die Männer von Polizisten abgeführt. Dieser Fall reiht sich in mehrere Razzien gegen Homosexuelle in Ägypten seit einem Jahr.
Vor allem der erste von drei Teilen der Dokumentation hat eine Botschaft: Homosexualität ist abartig, gefährlich und kriminell. In der arabischen Version (ohne Untertitel) steht oben im Bild über die ganze Dokumentation über ein Satz eingeblendet: "Sex zwischen Männern führt zu Aids". In Ägypten, einem Land gänzlich ohne Sexualunterricht, erreicht diese Information Millionen von Menschen, die sie dann für bare Münze nehmen.
Ein Hamam wie jeder andere
Munir* aus Kairo war selbst mehrfach im Hamam "Tor zum Meer". Über Ecken kennt er einige von den festgenommenen Männern, die nun auf ihre Verurteilung wegen "unnatürlicher Sexualpraktiken, Prostitution und Menschenhandel" warten. "Niemand hat etwas Illegales in diesem Hamam getan", sagt Munir. Der Ort sei kein Bordell, wie in der Dokumentation dargestellt. Die meisten Kunden würden sich tatsächlich zum Saunieren und Waschen dorthin begeben. Vor allem arme Menschen frequentierten das Bad, unter ihnen auch Schwule aus armen Verhältnissen. Solche Bäder gibt es sehr oft in Kairo.
Munir ist homosexuell und sagt, dass der Hamam unter Schwulen in der Stadt bekannt sei. Es gebe private Ecken, in denen man durchaus Sex haben könne. Der Hamam sei aber kein Bordell gewesen, beteuert der Student. Wer sich dort zum Sex verabredete, habe selbst in den dunklen Ecken auf Diskretion geachtet. Die Polizei nahm dennoch alle Männer im denkmalgeschützten Gebäude fest. Der Hauptbeweis: Alle im Hamam waren nackt oder hatten nur ein Handtuch um.
Im Internet diskutieren viele Ägypter leidenschaftlich über den Vorfall. Während sich eine Mehrheit in Foren und auf Sozialen Medien mit der Festnahme einverstanden zeigen, versuchen Menschenrechtsaktivisten so laut wie möglich auf die Verletzung der Privatsphäre durch die Recherchen von Iraqi hinzuweisen. Auch in Ägypten sei diese immerhin von der Verfassung garantiert, schreibt die ägyptische Menschenrechtsorganisation EIPR.
Es drohen bis zu 12 Jahre Haft
Scott Long ist US-amerikanischer Blogger und Menschenrechtsaktivist. Er hat sich auf LGBTQ-Rechte im Nahen Osten spezialisiert. Scott Long lebt in Kairo und war am Sonntag beim ersten Prozesstag gegen die festgenommenen Männer dabei. "Sie wurden in einen Käfig im Gerichtssaal gedrängt und geschlagen", berichtet Long. Die Sitzung wurde auf Anfang Januar 2015 vertagt. Obwohl die Anklageschrift noch nicht feststehe, seien die Aussichten für die Angeklagten sehr schlecht. Den 21 Besuchern des Bades drohen bis zu drei Jahren, den fünf Mitarbeitern des Hamams sogar bis zu 12 Jahren Haft.
Munir sorgt sich vor allem über die Angestellten des Hamams. Ihnen wird "systematischer Menschenhandel" vorgeworfen. Dabei seien sie "am unschuldigsten". Obwohl ihn das Vorgehen der Journalistin, so wie die ganze schwule Community im Nahen Osten, schockiert. Mona Iraqi würde nicht zum ersten Mal über journalistische Recherchen hinaus gehen. Im Internet berichten einige Kommentatoren, dass sie vor Kurzem eine Dokumentation über Drogenabhängige in Ägypten drehte. Auch danach sei sie zur Polizei gegangen.
Iraqi ist einen lukrativen Job nun los
Mona Iraqi arbeitet neben ihrer Tätigkeit als Reporterin für den Fernsehsender "Al-Qahira wa Nas" für das internationale Kurzfilmfestival "Shnit", das regelmäßig Filmvorführungen zum interkulturellen Austausch auch in Kairo organisiert. Das Festival ist international für seine Diversität bekannt. Es bemüht sich auch Filme und Filmemacher zu zeigen. Zunächst hatten sich einige Mitarbeiter des Festivals, zum Beispiel aus Russland, solidarisch mit Mona Iraqi gezeigt. In einer Pressemitteilung ließ das Management in Bern aber wissen, dass es die Geschehnisse rund um die Dokumentation ihrer Mitarbeiterin Mona Iraqi "aufmerksam verfolgen" würde. Auf einer dringlichen Sitzung beschloss das Festival Iraqi nicht mehr zu beschäftigen. Ihr Sender in Ägypten hält aber weiterhin zu ihr.
Auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlichte Iraqi eine Fassung ihrer Dokumentation mit englischen Untertiteln, dort hat sie die Szene, wie sie die Polizei bei der Festnahme filmt und ihre moralischen Kommentare ausgespart. Für eine Stellungnahme war die Journalistin nicht verfügbar.
* Name von der Redaktion geändert.