Wahl in Großbritannien mit klarer Mehrheit für Konservative: Johnsons Tories stehen vor historischem Sieg
Triumph für den Premier: Die Wähler haben Boris Johnson wohl den Sieg beschert – und damit freie Bahn für seinen Brexit. Die schottische Nationalpartei räumt ab.
Der gemeinsamen Prognose der großen TV-Sender nach Schließung der Wahllokale zufolge erhielt die konservative Partei des Regierungschefs 368 Sitze, 50 mehr als vor zwei Jahren, eine komfortable Mehrheit. Damit ist der mehrfach verschobene Austritt Großbritanniens aus der EU am 31. Januar Gewissheit. Ein belastbares Ergebnis wurde allerdings erst am frühen Freitagmorgen erwartet. Die 650 Wahlkreise können vom Landestrend abweichen.
Die Labour-Opposition musste unter ihrem dezidiert linke Positionen vertretenden Vorsitzenden Jeremy Corbyn erheblich Federn lassen; im neuen Unterhaus dürfte sie nur noch mit 191 Abgeordneten vertreten sein. Dies wäre das schlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg. Hinter den Erwartungen zurück blieb das Abschneiden der Liberaldemokraten: Die dezidiert pro-europäische auftretende Partei konnte unter ihrer neuen Vorsitzenden Joanne Swinson den bisher zwölf Mandaten offenbar höchstens einige wenige hinzufügen.
Erste Ergebnisse wurden in der Nacht bekannt: Im traditionellen Labour-Wahlkreis Blyth Valley, nördlich von Sunderland, konnten die Konservativen triumphieren und den Sitz gewinnen. New Castle und Sunderland selbst gingen an Labour.
Johnson forderte seine Anhänger zum Feiern auf. „Ich hoffe, ihr habt heute Abend Spaß auf einer Party“, schreibt er in einer E-mail an die Parteimitglieder. „Ihr habt die Kampagne getragen. Ohne euch hätten wir das nicht schaffen können.“ Am späten Donnerstagabend schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter: „Wir leben in der großartigsten Demokratie der Welt.“
Der Labour-Politiker John McDonnell erklärte, wenn die Nachwahlbefragung dem tatsächlichen Wahlergebnis nahekomme, sei das sehr enttäuschend. Sollte das der Fall sein, müssten er und Labour-Chef Jeremy Corbyn Entscheidungen über einen möglichen Rücktritt fällen.
Dem Brexit-Austrittsabkommen zufolge soll das Land bis Ende 2020 in einer Übergangsphase bleiben. Bis dahin will Johnson einen Vertrag über die künftigen Beziehungen mit der Staatengemeinschaft aushandeln. Die Zeit dafür gilt jedoch als denkbar knapp. Eine Verlängerungsoption um bis zu zwei Jahre, die noch bis Juli 2020 möglich ist, hat der Premier ausgeschlossen. Sollte kein Anschlussabkommen zustande kommen, droht Ende kommenden Jahres wieder ein No-Deal-Szenario.
- Johnson will sein Land am 31. Januar 2020 aus der EU führen und braucht eine stabile Mehrheit für seinen Brexit-Plan.
- Der Ausgang der Wahl hängt an wackeligen Wahlkreisen. Johnson muss für einen Sieg in Labout-Gebieten punkten.
- Würde Labour-Chef Jeremy Corbyn Premierminister, will er binnen drei Monaten einen neuen Brexit-Deal mit enger Anbindung an die EU aushandeln
Die Briten hatten 2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Nach zähen Verhandlungen konnte Johnsons Vorgängerin Theresa May im November 2018 ein Austrittsabkommen vorlegen. Doch die anschließende Ratifizierung im britischen Parlament scheiterte. Nicht zuletzt, weil ihre Regierung seit der vergangenen Wahl 2017 keine eigene Mehrheit mehr hatte. Der Brexit wurde mehrmals verschoben, May musste schließlich zurücktreten.
Johnson handelte nach seinem Amtsantritt im Sommer 2019 Änderungen am Austrittsabkommen aus. Der umstrittenste Teil, die sogenannte Backstop-Regelung für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland, wurde durch eine alternative Regelung ersetzt. Nordirland soll sich demnach künftig weiterhin an EU-Regeln zu Zöllen und Produktstandards halten.
Deutliche Mehrheit für Tories nach Drängen auf Neuwahl
Das stieß jedoch auf Widerstand in der nordirisch-protestantischen DUP, von deren Stimmen die konservative Minderheitsregierung abhängig war. Nach einem erfolglosen Versuch, sein Abkommen mit Stimmen aus der Opposition durch das Parlament zu bringen, drang Johnson schließlich auf eine Neuwahl.
Schottische Nationalpartei SNP hat abgeräumt
Sollte sich die Prognose bestätigen, hat die schottische Nationalpartei SNP im britischen Norden abgeräumt: 59 Mandate werden dort vergeben, die Demoskopen ermittelten ein Ergebnis von 55 Sitzen. Das kommt dem Traumergebnis von 2015 (56) sehr nahe.
SNP-Chefin Nicola Sturgeon hatte auf Abstimmungen im Edinburgher Parlament verwiesen und fürs kommende Jahr eine neue Volksabstimmung über die schottische Unabhängigkeit verlangt. Premierminister Boris Johnson lehnt dies rundweg ab. Dem Vereinigten Königreich droht damit ein Verfassungskonflikt à la Katalonien.
Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley dämpfte die Hoffnung auf ein rasches Ende des Brexit-Streits. Johnson habe mit „der leeren Versprechung“ gepunktet, den Brexit schnell abhandeln zu können, erklärte die Vizepräsidentin des Europaparlaments am späten Donnerstagabend der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.
Zunächst müsse der Austrittsvertrag durch das britische und das Europäische Parlament. „Und danach geht es erst richtig los: Die zukünftige Beziehung des Vereinigten Königreiches mit der EU muss verhandelt werden“, erklärte Barley. „Johnson will das in wenigen Monaten schaffen - das wird nicht funktionieren.“
Britische Konservative gewinnen - große Parteien werden bevorzugt
Großbritannien hat ein relatives Mehrheitswahlrecht. Ins Parlament zieht nur der Kandidat mit den meisten Stimmen in seinem Wahlkreis ein. Alle Stimmen für unterlegene Kandidaten verfallen. Das führt dazu, dass die beiden großen Parteien - Konservative und Labour - bevorzugt werden und bringt in der Regel klare Mehrheitsverhältnisse.
Für Johnson hat sich damit die erste Dezemberwahl seit 1923 bezahlt gemacht. Er hatte die Wähler mit der Begründung vorzeitig an die Urnen gerufen, das Parlament blockiere den geplanten EU-Austritt. Die Torys haben ihr gutes Ergebnis offenbar vor allem Wählern in England zu verdanken. Die schottische Nationalpartei gewann wie erwartet erheblich Mandate hinzu und könnte ihren Höchststand von 2015 (56) erreichen. (Tsp/dpa/Reuters)