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Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit. Im April 2018 gab er die Weisung, Anträge auf Sterbehilfe-Medikamente abzulehnen.
© Gregor Fischer/dpa

Sterbehilfe: Jens Spahn macht einen Kniefall vor der Kirche

Was zählt in der Demokratie mehr: ethisch-religiöse Überzeugung oder ein Gerichtsurteil? Der Gesundheitsminister gibt ein schlechtes Beispiel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Jens Spahn, der sonst auch gerne mal etwas anders macht, hat die Ansage seines Vorgängers Hermann Gröhe exekutiert: Niemals dürfe der Staat einem Todkranken helfen, sein Leben auszulöschen, selbst wenn dieser sein Leid als unerträglich empfinde. Entsprechend folgt das ihm unterstellte Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte und lehnt systematisch alle Anträge ab, die auf den Erwerb tödlicher Betäubungsmittel zielen.

Ethik und Moral sind ein wichtiger Kompass - aber nicht allein

Ein christlich-konservatives Bekenntnis, das Spahn unverhandelbar erscheint. Seine Bereitschaft, vergleichbare Überzeugungen auf anderen Feldern wie bei der Organspende einzutauschen, lässt aber eine gewisse Beliebigkeit erkennen. Ein Staat darf Todkranken nicht zum Tod verhelfen – aber Lebende zu potenziell Toten erklären, die sich verpflichten müssen, ihren Körper als Ersatzteillager vorzuhalten? Hier zeigt sich, dass dem notorischen Aufsteiger die Ethik so lange als Argument dient, wie sie seiner Politik nicht im Wege steht. Dafür ist er kaum zu tadeln. Ethik und Moral sind ein wichtiger Kompass in der Ordnung eines Gemeinwesens. Doch es gibt auch Richtungen und Perspektiven, die ebenfalls beachtet werden müssen. Dazu zählen insbesondere Recht und Gesetz.

Dem Staat kann nicht egal sein, wie gestorben wird

Der damalige Gesundheitsminister Gröhe hatte ein für ihn und seine Union unbequemes Urteil kassiert, das Behörden verpflichtet, ausnahmsweise tödliche Medikamente an Sterbewillige auszureichen – weil die Grundrechte es so verlangen. Es war ein sorgfältiges, abgewogenes Urteil, das offenlegt, was eigentlich alle längst wissen: Dem Staat kann nicht egal sein, wie gestorben wird. Er dient den Lebenden, aber seine Verantwortung reicht bis in den Tod. Und eine Medikamentenfreigabe in Extremsituationen bedeutet nicht, aktive Sterbehilfe als Teil der Gesundheitsversorgung zu etablieren. Ein Suizid war, ist und bleibt ein privater Notausgang.

Das Handeln der Behörden - peinlich und unsouverän

Dennoch wird allerlei unternommen, um den Richterspruch zu unterlaufen. Damit die rechtsstaatliche Zumutung, die darin liegt, nicht als solche kenntlich wird, bestellten die Verantwortlichen für hunderttausend Euro ein Professorengutachten, das die eigenen roten Linien als Recht verkleiden soll. Letztlich ist das Handeln der Behörden hier peinlich und unsouverän. Ein Kniefall des Staats vor der Kirche. Es wird nicht der letzte sein.

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