Terror-Zuflucht: Jemen: In die Lücke
Die Spur des Beinahe-Anschlags auf ein Flugzeug führt in den Jemen. Ist das Land ein neuer Hort des Terrors?
Der Jemen ist aus amerikanischer Sicht zur Zuflucht für eine neue, besonders aktive Zelle des Terrornetzwerks Al Qaida geworden. Die politischen Verhältnisse bieten dafür einen ähnlich günstigen Nährboden wie in Afghanistan in den 90er Jahren. Dort gab es nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg keine zentrale Regierung mehr, die ihre Autorität landesweit durchsetzen konnte. Osama bin Laden baute damals seine Trainingscamps am Hindukusch auf. Als das islamistische Talibanregime die Macht im paschtunischen Süden und der Hauptstadt Kabul übernahm, stand er unter dessen Schutz. Die weltweiten Anschläge von Al Qaida gipfelten 2001 schließlich im Angriff auf das World Trade Center in New York mit gekaperten Flugzeugen.
Der Jemen blickt auf eine ebenso destruktive jüngere Vergangenheit zurück. Auch er ist aus US-Sicht ein „Failed State“, ein gescheiterter Staat. Seit den 60er Jahren hat das Land mehrere Wellen eines Bürgerkriegs erlebt. Die Macht der Regierung ist erodiert. Die Kämpfe haben die Spannungen zwischen dem Norden und dem Süden gesteigert. Es gibt keine zentrale Ordnungsmacht, die das Land zu kontrollieren vermag. In vielen Regionen führen die Stämme ihr Eigenleben und handeln danach, was in ihrem jeweiligen Interesse liegt.
Seit Jahren bekommen das auch Deutsche zu spüren. Immer wieder sind Touristen im Jemen entführt worden. Meist geht es um die Erpressung eines Lösegelds, da diese Stämme in den bergigen Landesteilen nur begrenzte Einkommensmöglichkeiten haben. Ein spektakulärer Fall war in den Weihnachtstagen 2005 die Familie des vormaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog. Auch jetzt sind Deutsche in der Hand von Geiselnehmern im Jemen. Meistens gibt es keine Verbindung zu Terrorgruppen. Experten befürchten aber, dass auch sie Entführungen als Einnahmequelle zur Finanzierung von Anschlägen nutzen können.
Seit Januar 2009 macht eine neu gegründete Gruppe „Al Qaida der Arabischen Halbinsel“ von sich reden. Das Netzwerk umfasst nach Einschätzung von US-Experten etwa 100 bis 200 Kämpfer und hat seinen Sitz im schwer zugänglichen Bergland. Die USA und die jemenitische Regierung kooperieren bei ihrer Bekämpfung. Die Al-Qaida-Aktivitäten im Jemen sind aus Sicht des jemenitischen Terror-Experten Saeed Obaid eine „Rückkehr zu den Anfängen“. Osama bin Ladens Vater stammt aus dem Jemen und machte sein Vermögen als Bauunternehmer in Saudi-Arabien. „Das Netzwerk Al Qaida wurde im Jemen und auf der Arabischen Halbinsel geboren“, sagte Obaid der „Washington Post“. „Es wurde in Afghanistan, Pakistan und im Irak groß. Jetzt kehrt es zu seinen Wurzeln zurück.“
Die Gruppierung füllt nach Darstellung von US-Experten eine Lücke aus, die sich aus der Schwächung von Al Qaida in Afghanistan ergab. Durch den Sturz des Taliban-Regimes im Herbst 2001 und den Verfolgungsdruck durch US- und Nato-Truppen sei Osama bin Ladens Gruppe in Afghanistan und dem Grenzgebiet zu Pakistan kaum noch fähig, Anschläge im Westen zu planen. Diese Rolle versuche nun eine jüngere Generation im Jemen zu übernehmen. Ihr Anführer sei Nasir al Wuhayshi. Er stamme wie bin Laden aus einer reichen Familie, war dessen persönlicher Assistent, operiere heute aber unabhängig. Freilich gab es schon früher Anschläge gegen US-Ziele im Jemen. 2000 starben 17 Menschen, als ein mit Sprengstoff beladenes Boot das US-Kriegsschiff „Cole“ im Hafen Aden rammte.
Ähnlich wie in Afghanistan und Pakistan übt Barack Obamas Regierung auch im Jemen Druck aus. Die USA empfinden es als unakzeptabel, wenn die Führung solcher Länder Stillhalteabkommen mit den Extremisten treffen und sie gewähren lassen, um nicht selbst ins Visier der militanten Kämpfer zu geraten. Das Ziel Al Qaidas sei es, gleichermaßen den Westen zu bekämpfen und die bürgerlichen Regierungen der arabischen Staaten und anderer muslimischer Länder zu stürzen.
In Obamas erstem Amtsjahr haben die USA die Zusammenarbeit mit dem Jemen verstärkt, von der Geheimdienstkooperation bis zur Militärhilfe. Allein in den vergangenen zehn Tagen gab es nach Angaben der „Washington Post“ mehrere Luftangriffe auf Al-Qaida-Lager im Jemen; dabei wurden angeblich 50 Kämpfer getötet. 24 Stunden vor dem vereitelten Anschlag auf den Flug Amsterdam–Detroit hatte Jemens Luftwaffe einen Angriff auf ein mutmaßliches Al-Qaida-Treffen im Südjemen geflogen. Darunter seien zwei prominente Anführer gewesen. Erstens der Vizechef von Al Qaida der Arabischen Halbinsel, Said al Shihri: ein Saudi, der 2001 in Pakistan aufgegriffen wurde, in Guantanamo gesessen hatte und 2007 an Saudi-Arabien zur weiteren Haft übergeben wurde. Zweitens Anwar al Aulaqi, der jemenitische Prediger, mit dem der Attentäter auf der US-Militärbasis Fort Hood, Nidal Malik Hasan, angeblich im Kontakt gestanden hatte. Hasan, ein Militärpsychiater muslimischen Glaubens, hatte am 5. November in Fort Hood 13 Soldaten erschossen und 30 verletzt.