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Jeder Tote war einer zu viel.
© Jan-Peter Kasper/dpa
Update

Tote an der DDR-Grenze: Jeder Mauertote war einer zu viel

Die Zahl der DDR-Grenzopfer muss womöglich korrigiert werden. Aber ist das für die Bewertung der DDR überhaupt wichtig? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Für die Statistiken in den Geschichtsbüchern ist es ein kleines Desaster, für den Forschungsverbund SED der FU möglicherweise ein großes. Vor gut einem Jahr haben die Wissenschaftler nach jahrelangen Recherchen eine offizielle Zahl der an der innerdeutschen Grenze getöteten Menschen vorgelegt: 327. Nun gibt es Zweifel an der Studie, berechtigte. Ist ein Major, der laut Bekannten offen damit hausieren ging, alle Westler abschießen zu wollen, ein Opfer des Grenzregimes, wenn er sich wegen Alkoholproblemen selbst tötete? Zumindest Nachfragen sind angebracht. Insgesamt 50 Fälle, vor allem Suizide, hat der RBB nachrecherchiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die doch noch zu klären seien.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) will die Fälle nun prüfen. Richtig so. Immerhin geht es nicht nur um eine offizielle Zahl, sondern auch um starke Kritik an einer mit Steuergeldern finanzierten Studie. Für die Geschichtsschreibung ist der Umstand aber einerlei. Denn die DDR war ein Unrechtsregime.

Es hat Menschen willkürlich eingesperrt, sie drangsaliert, überwacht und gegeneinander ausgespielt. Für die historische und politische Bewertung ist nicht entscheidend, ob es 50 Tote mehr oder weniger sind. Ohnehin sind es auch nicht allein die Grenztoten, die etwas über die DDR-Diktatur aussagen. Es sind die Toten in den Gefängnissen; die zerbrochenen Familien; die vielen tausend Einzelschicksale, die eine Geschichte über diesen untergegangenen Staat erzählen.

Die DDR war im wahrsten Sinne immer ein Grenzfall. Wer will schon genau beziffern, wie viele Tote, vor allem wie viele Selbstmorde es in der DDR gab, die zwar nicht unmittelbar mit der Mauer zu tun hatten, aber mittelbar sehr wohl?

Trotzdem ist die Debatte um die Zahlen wissenschaftlich wichtig. Sie ist auch gegenüber den eindeutigen Regime-Opfern wichtig, weil die es nicht verdient haben, auch noch im selben Atemzug genannt zu werden wie die Täter des Regimes. Aber die Debatte muss eingeordnet werden. Damit Revisionisten sie nicht nutzen können nach dem Motto: Schaut her, so schlimm war es doch gar nicht.

Es war schlimm, sehr schlimm – und jeder einzelne Tote war einer zu viel.

Korrektur: In einer früheren Version des Textes war im ersten Absatz von 327 Mauertoten die Rede. Es handelt sich aber um die vom Forschungsverbund SED an der TU Berlin genannten Zahl der an der innerdeutschen Grenze getöteten Menschen. Wir haben dies korrigiert.

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