Polen: Jaroslaw Kaczynski setzt auf die Parole Hass
Zwischenzeitlich versuchte er, sich in die politische Mitte zu bewegen. Doch inzwischen ist der polnische Oppositionspolitiker Jaroslaw Kaczynski wieder fest in der ultra-katholischen und rechtsnationalen Ecke verortet.
So bleich war Jaroslaw Kaczynski schon lange nicht mehr. Mit gläsernen Augen steht der Oppositionsführer unter dem Pilsudski-Denkmal unweit des Ministerrats und spricht von der Freiheit. „Wir kämpfen weiter bis zum Endsieg!“, ruft er in die Menge, doch der Applaus ist verhalten. Es mag an den tiefen Minusgraden liegen oder am Gähnen seines älteren Kampfgenossen mit dicker Brille zur Linken. Laut unterschiedlichen Angaben 5000 bis 15.000 Kaczynski-Anhänger sind zu einem „Marsch für Freiheit, Solidarität und Unabhängigkeit“ am 31. Jahrestag der Kriegsrechtsausrufung durch General Jaruzelski erschienen. „Konzentrationslager Europa“ und „Verbrechen von Smolensk“ steht auf ihren Transparenten. Sprechchöre skandieren „Gott, Ehre, Vaterland!“ und immer wieder „Jaroslaw! Jaroslaw!“. Ein gespenstischer Zug durch das verschneite, nächtliche Warschau, der verzweifelt versucht, die Kampfstimmung unter der kommunistischen Diktatur wieder heraufzubeschwören.
Jaroslaw Kaczynski lässt in zwei Reden keinen Zweifel daran, dass sich seit dem 13. Dezember 1981 nicht viel geändert habe. „Der heute realisierte Regierungsplan bedeutet immer weniger Freiheit, überhaupt keine Solidarität und die Unabhängigkeit im Ausverkaufsangebot“, warnt Kaczynski. Es fehlen einzig die gefürchteten Zomo-Einsatztruppen, die Schlagstöcke und der Abtransport in klapprigen Polizeibussen zur U-Haft an der Rakowiecki-Straße.
Noch im Herbst hat die von Jaroslaw Kaczynski mit eiserner Hand geführte Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) versucht, sich aus der ultra-katholischen Ecke auf die Mitte hin zu bewegen und sich als Partei von Wirtschaftsexperten zu profilieren. Das Image Kaczynskis sollte wieder einmal aufgeheitert werden. Der Oppositionsführer kürte gar einen unabhängigen einstigen Öko-Aktivisten zum Schattenpremier. Es war dies erneut ein Element im ewigen Schwanken der PiS zwischen rechtsnationalem, ultrakatholischem Sektierertum und einer Öffnung auf die Mitte hin. Inzwischen jedoch hat der „alte Jaroslaw Kaczynski“ wieder die Oberhand gewonnen. Mit Protestmärschen und Kaczynski-Brandreden versucht die PiS die Rückkehr zur Macht, die sie bei der Parlamentswahl 2007 abgeben musste.
Kaczynski reist wieder durch Polen und sät Hass. In Zielona Gora (Grünberg) forderte er kürzlich die Wiederverstaatlichung der Banken und Medien, im schlesischen Opole (Oppeln) griff er frontal die dort wirtschaftlich und politisch starke deutsche Minderheit an. Sie habe „zu viel Rechte“, schimpfte er und forderte eine Abschaffung der Befreiung von der Fünfprozentklausel. Auch die polnische Minderheit in Deutschland habe dieses Privileg nicht, argumentierte er. Die deutsche Minderheit hat heute in Polen noch einen von 450 Abgeordneten. Einer zu viel nach Ansicht Kaczynskis, denn mit anti-deutscher Propaganda lassen sich seine Wähler – vor allem ältere Wendeverlierer – bei der Stange halten.
Zurück in Warschau bezichtigte er den liberalen Regierungschef erneut in gut verständlichen Andeutungen des Mordes. Tusk sei es, der mit Wladimir Putin zusammen im April 2010 einen Anschlag auf die Präsidentenmaschine seines Bruders Lech Kaczynski geplant habe, führen PiS-Anhänger in Gesprächen am Rande solcher „Freiheitsmärsche“ immer wieder aus. Manche Kaczynski-Anhänger gehen noch weiter. Beim PiS-Umzug zum Tag der Unabhängigkeit Mitte Oktober marschierten Neonazis und Fussballhooligans auf und verletzten Dutzende von Polizisten. Ein bekannter rechtsgerichteter Filmemacher, Grzegorz Braun, forderte die Erschießung von Journalisten der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, zog diese Aussage später nur halbherzig zurück. Er sei falsch verstanden worden. Unklar ist bisher der Hintergrund eines angeblich geplanten Sprengstoffanschlags auf den Sejm, das polnische Parlament. Ein Akademiker aus Krakau sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Scharfmacher, die eher dem angegriffenen Regierungslager nahe stehen, vergleichen die aufgeheizte politische Stimmung mit dem Jahr 1922, als der erste polnische Staatspräsident Garbriel Natrutowicz, kaum vereidigt, einem Attentat eines Antisemiten zum Opfer fiel.
„Es ist schwierig, mit einer Person, die solche unerträglichen Vorstellungen äußert, im gleichen Land zu leben“, sagt Tusk über Jaroslaw Kaczynski, mit dem er einst zusammen in der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc war. Tusk bleibt ruhig und besonnen. Und je lauter Kaczynski zetert, desto weniger wollen seine Umfragewerte steigen. Denn statt aus dem abrupten Wechsel des Vize- und Wirtschaftsministers von Pawlak zu Piechocinski (beide Bauernpartei) politisch Kapital zu schlagen, marschiert Kaczynski nachts durch Warschau und redet zu mäßigem Beifall von der Wiedergeburt der totalen Zensur und einem „Endsieg“.
Paul Flückiger