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Jan Stöß kandidiert um das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.
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Die drei SPD-Kandidaten und ihr Programm (2): Jan Stöß: Wieder stolz sein auf diese Stadt

Jan Stöß will Regierender Bürgermeister von Berlin werden. Er meint: Wer sich in die historische Mitte Berlins verläuft, ist verloren. Verwaltung und Polizei brauchen mehr Personal. Wir brauchen Wachstum, bezahlbare Wohnungen und eine gute Verkehrsinfrastruktur. Und nicht zu vergessen – der BER! Ein Gastbeitrag.

So sehe ich Berlin in zwanzig Jahren: als Weltstadt mit Flair, mit hinreißender Kultur und bahnbrechender Wissenschaft, mit wertschöpfender Industrie und guter Arbeit sowie mit einer intakten Infrastruktur – und einem Wachstum, das bei allen Berlinern ankommt. Das ist die Vision, für die ich streite. Sie hat meinen Entscheidungen als SPD-Landesvorsitzender Ziel und Richtung gegeben. Sie wird mich als Regierender Bürgermeister leiten.

Bei genauerer Betrachtung jedoch zerfällt ein jedes großes Bild in winzige Pixel, hier: in so viele Interessen wie Interessenten, in Wünsche, in berechtigte Anliegen oder zornige Beschwerden über kaputte Straßen beispielsweise oder lange Wartezeiten in Bürgerämtern und stinkende Schultoiletten. Und so ist beides richtig: Berlin hat in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt, ein prächtiges Wachstum erwirtschaftet und sich in eine Reihe gestellt mit Paris, London und New York. Die Kulturszene ist einmalig, die Kreativen sind Motor einer dynamischen Wirtschaft. Die Start-ups sind Innovationstreiber der Digitalisierung, und das weit über unsere Grenzen hinaus.

Im Alltag aber macht Berlin es seinen Bewohnern oft nicht leicht: Es fehlen bezahlbare Wohnungen, an der Verwaltung wurde so rigide gespart, dass es nun wirklich quietscht, die Löhne dümpeln am unteren Ende der bundesdeutschen Vergleichsskala, es fehlen gut bezahlte Arbeitsplätze – und nirgends sind so viele Menschen auf staatliche Unterstützung angewiesen wie in Berlin. Gerade Frauen, vor allem Alleinerziehende, sind zu oft trotz Arbeit arm. Ich bleibe dabei: Armut ist nicht sexy.

Es geht darum, beides in Einklang zu bringen: weltoffene Internationalität und ein gutes Leben

Und deshalb kann es nicht einfach ein „Weiter so“ geben. Wir müssen mit neuem Mut und frischem Elan daran gehen, die aufgestauten Probleme in den Kiezen, in den Bezirken und im Land, im Kleinen wie im Großen zu lösen – damit Berlin auch künftig als Weltstadt glänzen kann. Es geht darum, beides in Einklang zu bringen: weltoffene Internationalität und ein gutes Leben in der Stadt. Deshalb wird eine meiner ersten Entscheidungen als Regierender Bürgermeister sein, wieder zu investieren. Ich lege ein Zukunftsinvestitionsprogramm für Berlin vor, damit wir mehr bezahlbaren Wohnraum und eine besser funktionierende Infrastruktur bekommen. Mit höchster Priorität sollen statt bisher nur 1000 künftig mindestens 5000 neue, preisgünstige Wohnungen im Jahr gefördert werden. Außerdem wollen wir mithilfe von Bundesmitteln Wohnungen günstig barrierefrei umbauen. Hiervon wiederum werden die Berliner auf vielfältige Weise profitieren, auch am Arbeitsmarkt.

Um tatsächlich mehr Wohnungen in der Stadt bauen zu können, werden wir die neue Liegenschaftspolitik endlich konsequent umsetzen: Öffentliche, dem Land Berlin gehörende Grundstücke müssen so schnell wie möglich den städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder auch den Wohnungsbaugenossenschaften zur Verfügung gestellt werden. Damit diese zügig loslegen können. Das ist mir in der Vergangenheit nicht schnell genug gegangen. Investieren werden und müssen wir auch in die Substanz. Die Berliner Schulen beispielsweise haben es bitter nötig, auch die Universitäten und Fachhochschulen. „Bildung ist Zukunft“ ist keine leere Floskel, sondern ganz eindeutig Teil der Vision für diese Stadt. Außerdem sind wir es unserem Nachwuchs schuldig, dass er nicht länger in teils maroden, baufälligen Schulen lernen muss, in denen es zieht, muffelt oder gar schimmelt. Genauso dringend ist die Sanierung unserer Sportstätten – unabhängig von internationalen Großereignissen.

Als passionierter Radfahrer bin ich Überzeugungstäter

Unnötig zu sagen, dass eine wachsende Metropole auch eine gute Verkehrsinfrastruktur braucht. Deshalb ist selbstverständlich, dass das Straßen- und Radwegenetz vom neuen Senat instand gehalten und ausgebaut wird. Als passionierter Radfahrer bin ich Überzeugungstäter, dass wir mehr und sicherere Radwege brauchen. Und dass zur ganz alltäglichen Daseinsvorsorge des Staates der öffentliche Nahverkehr gehört, ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

In der Vergangenheit habe ich mich immer wieder klar gegen weitere Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen ausgesprochen. Unter meiner Führung als SPD-Landesvorsitzender haben wir die Rekommunalisierung von Wasser, Strom- und Gasnetz vorangebracht. An dieser Linie werde ich als Regierender Bürgermeister festhalten. Genauso erteile ich allen sogenannten Public-Private-Partnership-Modellen über die private Beteiligung an öffentlichen Projekten eine klare Absage. Denn die Vergangenheit hat gezeigt: Bei diesem Modell zahlen die Steuerzahler drauf. Die Leistungen aber werden nicht besser und auch nicht billiger. Und bei einer Pleite der Privaten muss der Staat dann doch wieder einspringen.

Die Verwaltung in Berlin braucht gut ausgebildeten Nachwuchs

Ich werde als Regierender Bürgermeister in den BER-Aufsichtsrat gehen, mir ein genaues Bild der Probleme machen und alles daransetzen, dass dieses Vorhaben ein Erfolg wird. Und dass dort so bald wie möglich Flugzeuge starten und landen. Die politische Aufgabe besteht darin, dass die Abläufe in der Flughafengesellschaft wieder funktionieren und dass gesellschaftsrechtlich klar ist, wer was macht. Dafür müssen die Gesellschafter, vor allem Berlin und Brandenburg wieder kräftiger an einem Strang ziehen. Die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn in Brandenburg zu stärken, wird einer der Schwerpunkte meiner Arbeit sein. Grundvoraussetzung dafür, dass Berlin sich weiter positiv entwickelt, ist eine gut funktionierende Verwaltung. Auch dies ist nicht neu: Fortschritt lahmt, wenn Genehmigungen zu lange dauern, wenn nicht rasch und genau geprüft werden kann, wenn es nicht genug Personal gibt, das fachlich auf dem neusten Stand ist und all jenen zur Seite steht, die in dieser Stadt etwas bewegen wollen.

Die SPD hat schon vor einiger Zeit beschlossen, dass die pauschalen Stellenstreichungen in der Berliner Verwaltung ein Ende haben müssen. Wir haben laut gesagt, dass die Verwaltung in Berlin gut ausgebildeten Nachwuchs braucht, dass die Bezirke ihre Aufgaben kaum noch erledigen können, dass es so nicht weitergehen kann. Viel Beifall haben wir dafür anfangs nicht bekommen. Aber manchmal muss man auch unbequeme Wahrheiten aussprechen. Und die Wahrheit ist: Wenn 50 000 Menschen Jahr für Jahr nach Berlin ziehen, muss die Verwaltung dafür gerüstet sein. Der Sparkurs der vergangenen Jahre war sicher richtig. Aber die Zeiten haben sich geändert.

Und weil neue Zeiten eben auch neue Antworten brauchen, bin ich froh, dass der Senat sich dieser Einsicht in Sachen Personal inzwischen angeschlossen hat. Die im Koalitionsvertrag festgelegte, willkürlich gegriffene Obergrenze von 100 000 Vollzeitstellen ist Geschichte. Ich werde als Regierender Bürgermeister die Personalentwicklung zur Chefsache machen, denn für eine gute Politik braucht es eine gute Verwaltung.

Unerträglich, dass immer wieder Menschen in der U- oder S-Bahn zusammengeschlagen werden

Nun müssen wir die Verwaltung in den zwölf Bezirken und im Land personell wieder in die Lage versetzen, einerseits den eigentlich selbstverständlichen Service für die Bürger zu bieten und andererseits Innovationen und Investitionen zu ermöglichen. Damit Investoren aus dem In- und Ausland klare Regeln an die Hand bekommen und mit Vergnügen Arbeit und Geld in die Stadt bringen.

Ein von mir geführter Senat wird den – durch das Wachstum geschaffenen – neuen Spielraum also behutsam ausloten und dort neu einstellen, wo dies nötig ist. Zum Beispiel bei der Polizei. Da halte ich es für nötig. Denn zur Vision einer weltoffenen Metropole gehört ganz selbstverständlich die Sicherheit der Bürger und der Besucher gleichermaßen. Es ist unerträglich, dass immer wieder Menschen in der U- oder S-Bahn zusammengeschlagen werden. Weil sie darum bitten, doch nicht zu rauchen. Oder weil sie anders aussehen. Oder einfach nur so.

Das ist nicht nur kriminell und furchtbar für die Opfer, sondern ruiniert ganz nebenbei auch den Ruf Berlins in der Welt. Den Ruf einer Stadt der Freiheit, der Toleranz und der Weltoffenheit. Deshalb brauchen wir mehr Sicherheit und auch mehr Sicherheitspersonal auf den U- und S-Bahnhöfen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Menschen in Berlin verfolgt, zusammengeschlagen oder diskriminiert werden wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer politischen Überzeugungen. Und ich weiß die überwältigende Mehrheit der Berliner an meiner Seite.

Gemeinsam leben wir in einer Stadt des ständigen Wandels, der Erfindungen, der Tatkraft und des Mutes. Da kann es auch in der Politik kein einfaches „Weiter so“ geben. Da müssen wir etwas wagen, wir müssen die wirtschaftliche Dynamik fördern, aber zugleich den sozialen Ausgleich stärken. Denn der Wohlstand muss bei allen ankommen. Auch deshalb habe ich mich vor 24 Jahren dafür entschieden, Politik in und für die SPD zu machen: Ich will soziale Gerechtigkeit mehren. Sie ist Motivation und Grund all meiner Entscheidungen. Ob es darum geht, die berühmte Berliner Mischung im Wohnungsbau beizubehalten – damit auch die weniger Verdienenden in den angesagten Innenstadtbezirken leben können. Oder ob es darum geht, Schulabbrechern eine zweite Chance zu geben, Arbeitslosen den Weg zurück auf den ersten Arbeitsmarkt zu öffnen oder die Integration zu fördern und Flüchtlingen zu helfen.

Die jungen Start-ups brauchen Raum zur Entfaltung

Übrigens – das alles ist kein Politiker-Sprech. Das meine ich sehr ernst. Es wird nicht einfach werden, die Schere zwischen Arm und Reich wieder ein wenig zu schließen. Aber genau das ist mein Ziel. Deshalb will ich hart dafür arbeiten, dass es in Berlin mehr und gut bezahlte Arbeitsplätze gibt – vor allem in der Industrie, aber auch beispielsweise im Gesundheitswesen, im Handwerk, im Handel, im Mittelstand, in der Forschung, den neuen Technologien und der Kultur.

Ich bin auf der Seite der vielen couragierten Unternehmensgründer in der Stadt und werde sie nach Kräften unterstützen, weil ich zuversichtlich bin, dass auch sie nach der anfänglichen Durststrecke und ersten wirtschaftlichen Erfolgen gute Arbeitsplätze schaffen werden. Die jungen Start-ups brauchen Raum zur Entfaltung, es ist das Wesen des kreativen Prozesses. Wir sollten alles tun, um Hürden bei der Visumserteilung für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten abzubauen. Für sie muss es auch mehr englischsprachige Ansprechpartner in der Verwaltung geben. Und auch Kunst und Kultur erwarten zu Recht vom Staat, dass er unterstützt und ermöglicht, aber in den Schaffensprozess selbst nicht eingreift. Kunst braucht Freiheit. So wird es in Berlin bleiben.

Dass ich, vor allem in der Stadtentwicklung, eigene Ideen habe, ist gleichwohl zu erwarten. Ein Regierender Bürgermeister ohne gelegentliche Kreativität wäre schrecklich langweilig. Außerdem mache ich Politik, weil ich mitgestalten möchte und weil ich überzeugt davon bin, dass diese Stadt ihren Schwung, ihre Kraft und ihr internationales Flair verlieren würde, wenn sie den Fortschrittsängsten nachgäbe. Stillstand ist keine Antwort. Und so muss sich meines Erachtens auch und gerade dort etwas tun, wo Berlins Wiege steht: in der historischen Mitte zwischen Spree, Marienkirche, dem dort abgestellten Neptunbrunnen, dem Roten Rathaus und dem Fernsehturm. Hier müsste eigentlich der Gründungsort Berlins erkennbar sein. Hier wäre ein geeigneter Identifikationsort für die Stadt.

Wer sich aber dorthin verläuft, der ist verloren. Es fehlt sogar ein passender Name, einer, der nicht so belanglos ist wie „Rathausforum“. Der Platz ist so trostlos, dass sich nicht einmal die Berliner Schnauze die Mühe gemacht hat, darüber zu lästern. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer ist es an der Zeit, dort neue Urbanität entstehen zu lassen. Dafür braucht es nach meiner Überzeugung eine ausgewogene Mischung aus städtischer Nutzung, Wohnen und Handel, Ateliers, Cafés und Restaurants, vor allem aber braucht es guten Städtebau und qualitätsvolle öffentliche Räume. Für mich ist dieser Ort ein bedeutungsvoller Entwicklungsort der Metropole, der offen ist für die Mitgestaltung der Stadtgesellschaft.

Ich habe die Vision einer Mitte, in der sich die Berliner wohlfühlen, wo sie gern hingehen und die sie ihren Gästen zeigen. Weil sie wieder stolz sind auf ihre Stadt. Auf unser Berlin.

Den Gastbeitrag von Raed Saleh lesen Sie hier.

Jan Stöß

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