Friedensnobelpreis für Greta Thunberg?: Ja, denn ihr Kampf ist ein Beitrag zum Weltfrieden
Am Freitag wird der Friedensnobelpreis verliehen. Greta Thunberg gilt als Favoritin. Verdient hätte sie die Auszeichnung – gegen alle Kritik. Ein Kommentar.
Die 16-jährige Klima-Aktivistin Greta Thunberg könnte am Freitag den Friedensnobelpreis erhalten. Sollte sie die Auszeichnung bekommen? Lesen Sie hier, was dafür spricht. Unter diesem Link finden Sie das „Contra“.
Seit 24 Jahren finden jährlich Klimakonferenzen statt. Trotzdem steigt die Emission von Treibhausgasen. Unablässig erwärmt sich die Erde, der Meeresspiegel steigt. Das Gros der Wissenschaftler ist überzeugt davon, dass Menschen durch die Art, wie sie leben, zur Erderwärmung beitragen. Die Folgen dieser Entwicklung sind seit langer Zeit bekannt.
Doch zwischen Wissen und Begreifen liegt ein tiefer Graben. Denn Einsicht ist nur der erste Weg zur Besserung. Eine Erkenntnis, die sich nicht in Handeln übersetzt, deutet auf kollektive Bequemlichkeit und Willensschwäche hin. Das ist, bezogen auf die Erderwärmung, fatal. Die Bedrohung ist ernst und existenziell.
Darauf weist Greta Thunberg hin, immer und immer wieder. Sie tut es auf ihre Art, leidenschaftlich, nachdrücklich, kompromisslos. Was alle bereits wussten, hat sie, wie durch ein Wunder, begreifbar gemacht. Das hat eine Bewegung entstehen lassen, „Fridays for Future“, der sich Millionen von überwiegend jungen Menschen weltweit angeschlossen haben. Deren Engagement hat den Handlungsdruck auf die Herrschenden erhöht.
Ob das reicht, ist ungewiss. Der Mensch ist faul. Er hängt an seinen Gewohnheiten. Er will Wachstum, weil er meint, dann besser leben zu können. Er verdrängt Prognosen. Er hofft auf wissenschaftlichen Fortschritt. Sein Reichtum im Erfinden von Argumenten, die den Status quo legitimieren sollen, ist groß. Dabei gibt es keinen Status quo mehr. Die Erde erwärmt sich stetig weiter.
Es ist leicht, Greta Thunberg zu verspotten
Soll Greta Thunberg für ihr Wirken den Friedensnobelpreis bekommen? Was für eine Frage! Natürlich soll sie. Ihr ist es gelungen, die Folgen des Klimawandels sowie die Notwendigkeit, diesen sehr schnell sehr stark verlangsamen zu müssen, auf die globale Agenda zu bringen. Seit Wochen und Monaten entlarvt sie trotzige Beharrungsmentalitäten als gefährliche Ignoranz. Dass ihr auf diesem Weg nicht nur viele folgen, sondern auch Felsbrocken vor die Füße legen, spricht eher für als gegen sie.
Ja, es ist leicht, Greta Thunberg zu verspotten. Ihr Alter, ihr Geschlecht, das Asperger Syndrom, ihre zum Teil dramatischen Auftritte, der religiös wirkende Duktus, die Endzeit- und Erlösungsrhetorik. Und braucht sie wirklich noch einen Preis, um gehört zu werden? Das amerikanische Magazin „Time“ zählt sie zu den hundert einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2019. Für die Gestaltung einer besseren Welt erhält sie den Alternativen Nobelpreis, den „Right Livelihood Award“. Sie trifft Papst Franziskus, Barack Obama, spricht vor den Vereinten Nationen und dem britischen Parlament. Jede Tür steht ihr offen, alle Medien multiplizieren ihre Botschaft.
Außerdem: Hat nicht das Beispiel Obama gelehrt, dass die Verleihung des Friedensnobelpreises keine Wette auf eine Zukunft sein sollte? Lebensleistungen gehören gewürdigt, Vorschusslorbeeren sind unangebracht. Womöglich belastet ein solcher Preis das 16-jährige Mädchen auch, weil er in ihm die Erwartung erzeugt, den Ansprüchen dringend gerecht werden zu müssen.
Sie redet über die Folgen des Klimawandels und fühlt diese Folgen
Man hört die Bedenken und lächelt sie weg. Wie klein und kleckernd klingen sie. Nur mühsam kaschieren sie die Aversionen gegen Greta Thunberg.
Vor zwölf Jahren erhielt der frühere US-Vizepräsident Al Gore den Friedensnobelpreis aufgrund seiner Bemühungen um eine Bewusstmachung der Klimakrise „und der Verbreitung von mehr Wissen über den von Menschen verursachten Klimawandel“. Spätestens seitdem ist klar, dass der Kampf gegen die Erderwärmung ein Beitrag zum Weltfrieden ist.
Greta Thunberg sagt nichts Neues. Aber wie sie es sagt, ist neu. Sie redet über die Folgen des Klimawandels und fühlt diese Folgen. Sie will Panik hervorrufen, weil sie selbst in Panik ist. Sie wirft einer ganzen Generation klimapolitisches Versagen vor, weil ihre eigene Generation mit den Konsequenzen leben muss – oder überleben, das steht noch nicht fest.