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Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt am 08.06.2015 vor Schloss Elmau in Elmau (Bayern) die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, zur Outreach Konferenz. Im Rahmen der G7 Konferenz treffen die G7 Staatschefs mit Staats- und Regierungschefs afrikanischer und arabischer Staaten zusammen.
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Update

Griechenland-Krise: IWF-Rückzug war eine Warnung an Athen

Die Euro-Partner verlangen von Athen Zugeständnisse. Der vorübergehende Rückzug des IWF aus den Verhandlungen sei eine Warnung an die griechische Regierung. Kanzlerin Angela Merkel will trotzdem weiter mit Athen reden. Dennoch berät die Bundesregierung laut "Bild" auch mit der EZB über einen möglichen Grexit.

Nach dem vorläufigen Rückzug des IWF-Teams aus den Verhandlungen mit Griechenland fordern die Euro-Partner Zugeständnisse der Athener Regierung zur Lösung des Schuldenstreits. Der Ball liege im Feld Griechenlands, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Freitag. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem erwartete nun "ernsthafte Vorschläge". Ein Sprecher der griechischen Regierung sagte, die Verhandlungen würden mit dem Ziel fortgesetzt, dass eine Einigung nicht die von Athen aufgestellten roten Linien überschreite. Die Regierung sei bereit, die Gespräche auf politischer Ebene zu intensivieren.

Die Bundesregierung arbeitet nach eigener Aussage trotz der immer knapper werdenden Zeit an einem Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone. Sowohl Berlin als auch Juncker wiesen darauf hin, dass die Abreise des IWF-Teams nicht als Abbruch der Gespräche vonseiten des Fonds interpretiert werden dürfe. Vielmehr sei das als Warnung an die griechische Regierung zu verstehen, sagte der Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Am Donnerstag war das Verhandlungsteam des Internationalen Währungsfonds (IWF) überraschend aus Brüssel abgereist und hatte dies mit "großen Differenzen" in den Gesprächen begründet. Der Schritt hatte für Nervosität an den Finanzmärkten gesorgt und die Befürchtung aufkommen lassen, dass die Hellas-Verhandlungen gescheitert sind. Auch Junckers Sprecher räumte ein, dass es weiterhin Differenzen gebe. Der EU-Kommissionspräsident hatte mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras am Donnerstag zwei Stunden lang gesprochen. Zuvor hatte Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande mit ihm eine Annäherung in den Verhandlungen gesucht.

Angela Merkel sucht trotzdem weiter das Gespräch mit Athen

Im Schuldenstreit der Euro-Zone mit Griechenland sucht Bundeskanzlerin Angela Merkel trotz der Verwerfungen am Donnerstag, als der IWF die Verhandlungen verlassen hatte, weiter das Gespräch mit der Regierung in Athen. "Es ist nicht das erste Mal, dass in einem Euro-Land Strukturreformen durchgeführt werden müssen", sagte Merkel am Freitag beim Tag des Familienunternehmens in Berlin. Sie betonte aber: "Eigene Anstrengung und Solidarität in Europa gehören zusammen - das muss für alle gelten." Mit Blick auf die stockenden Verhandlungen sagte Merkel: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, aber der Wille muss von allen Seiten kommen." Deshalb sei es richtig, "wenn wir immer wieder miteinander sprechen".

Die griechische Regierung setzt nach Aussage zweier Minister auf eine Einigung mit den internationalen Gläubigern bis zum Eurogruppen-Treffen am kommenden Donnerstag. "Ich hoffe, dass es bald eine Einigung gibt - am 18. Juni, wenn die Eurogruppe tagt", sagte Staatsminister Alekos Flambouraris am Freitag dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ERT. "Es wird eine Einigung geben, weil eine Pleite weder in unserem Interesse noch in dem der Gläubiger ist." Verteidigungsminister Panos Kammenos sagte dem Sender Mega, es werde "am 18. Juni eine Einigung geben - oder nie."

Bundesregierung bereitet sich auf Staatspleite Griechenlands vor

Die Bundesregierung bereitet sich laut einem Zeitungsbericht auf die Möglichkeit einer Staatspleite Griechenlands vor. Es gebe konkrete Beratungen, was im Falle einer Pleite Athens zu tun sei, berichtete die "Bild"-Zeitung am Freitag unter Berufung auf mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen. Demnach sei unter anderem im Gespräch, bei einer Staatspleite Kapitalverkehrskontrollen in Griechenland einzuführen. Außerdem werde ein Schuldenschnitt für das Euro-Land diskutiert.

Christine Lagarde, Chefin des IWF.
Christine Lagarde, Chefin des IWF.
© AFP

Regierungsbeamte stünden darüber in einem engen Austausch auch mit Mitarbeitern der Europäischen Zentralbank (EZB), schrieb die Zeitung. Einen konkreten Plan, wie im Falle einer griechischen Staatspleite zu reagieren sei, habe die Bundesregierung allerdings nicht, hieß es demnach. Vieles müsse ad-hoc entschieden werden. "Auch die Kanzlerin weiß jetzt, dass die Zeit nicht mehr reichen wird", um Griechenland bis zum 30. Juni zu retten, sagte laut "Bild" ein hochrangiger Diplomat.

Die meisten Deutschen befürworten Austritt Athens aus der Eurozone

Die meisten Deutschen befürworten inzwischen ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone. Im am Freitag veröffentlichten ZDF-"Politbarometer" sprachen sich nur noch 41 Prozent dafür aus, dass das Land den Euro behält, 51 Prozent befürworteten dagegen den sogenannten "Grexit". Zu Jahresbeginn waren noch 55 Prozent für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone gewesen. Eine deutliche Mehrheit von 70 Prozent der Befragten lehnte in der Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen auch weitere Zugeständnisse der EU-Partner an Griechenland ab. Nur 24 Prozent sprachen sich dafür aus. Selbst von den Anhängern der Linkspartei befürworteten nur noch 48 Prozent weitere Zugeständnisse, von den Grünen-Anhängern 39 Prozent. Falls es zu einer Staatspleite in Griechenland kommen sollte, erwarten 28 Prozent der Deutschen einen starken oder sehr starken ökonomischen Schaden für Deutschland. Im März waren es noch 33 Prozent gewesen. 65 Prozent gehen jetzt von einem nicht so starken oder überhaupt keinem wirtschaftlichen Schaden für Deutschland aus.

Sorgen um Griechenland schwächen Aktienmärkte

Der Dax hat am Freitag wieder den Rückwärtsgang eingelegt. Nachdem die jüngste Erholung bereits am Donnerstag ins Stocken geraten war, fiel der deutsche Leitindex im frühen Handel nun um 0,27 Prozent auf 11 301,93 Punkte. Börsianern zufolge haben sich die Sorgen um Griechenland wieder verstärkt. Auf Wochensicht ist das bisherige Plus damit auf rund 1 Prozent zusammengeschmolzen.

Die Frage ist, in welchem Maße eine drohende Pleite Griechenlands die Aktienmärkte beeinflussen kann. Dabei ist entscheidend, ob eine solche Pleite als Überraschung gesehen würde. Je größer die Überraschung, desto größer sind die Ausschläge. Überlagert werden die Aktienmärkte derzeit aber von der Tatsache, dass angesichts zu erwartender Leitzinserhöhungen in den USA Anleger sich aus den Anleihemärkten zurückziehen und ein Sinken der Anleihepreise sich negativ auch auf andere Anlageklassen wie Aktien auswirken kann. Dieser mittelfristige Prozess der Zinswende könnte sich sehr viel stärker auf die Märkte auswirken, als die Griechenlandkrise.

IWF hat sich aus den Verhandlungen vorerst zurückgezogen

In der griechischen Schuldenkrise scheint eine Einigung Athens mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in weite Ferne gerückt. Es gebe noch „bedeutende Differenzen“, sagte IWF-Sprecher Gerry Rice am Donnerstag. Das IWF-Team habe die Verhandlungen in Brüssel verlassen und sei zurück nach Washington gereist. Einen Zeitplan für weitere Gespräche gebe es nicht. Zugleich bleibe der IWF der Krise aber verpflichtet: „Der IWF verlässt den Verhandlungstisch nie.“

In ungewöhnlich scharfen Tönen kritisierte Rice den Mangel an Kompromissbereitschaft des kurz vor der Staatspleite stehenden Landes. Es habe zuletzt keinerlei Fortschritte gegeben, um Differenzen beizulegen. „Der Ball liegt nun weit im Feld der Griechen“, sagte Rice. Große Hürden gebe es weiterhin bei Renten, Steuern und der Schuldenfinanzierung. „Es hat hier zuletzt keine Annäherung gegeben“, sagte Rice. Die IWF-Chefin Christine Lagarde werde wie geplant am Treffen der Finanzminister der Eurozone am 18. Juni in Luxemburg teilnehmen, sagte Rice. Den Stand der Gespräche auf politischer Ebene kommentierte der IWF-Sprecher nicht.

Die Gespräche zwischen der EU und Griechenland stocken.
Die Gespräche zwischen der EU und Griechenland stocken.
© AFP

Der Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuss, Hans Michelbach (CSU), wertete die Abreise als "deutliches Signal", dass eine "tragfähige Lösung" der Griechenlandkrise offenbar nicht mehr möglich sei. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann warnte: "Das Bankrott-Risiko steigt jeden Tag."

Noch immer kein Durchbruch in Griechenland-Krise

Ohne ein greifbares Ergebnis ist in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag auch ein rund zweistündiges Gespräch zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatschef François Hollande zu Ende gegangen. Die Situation bei den Verhandlungen zwischen den Geldgebern und der Regierung in Athen erscheint nach wie vor verfahren, auch wenn beide Seiten den Gesprächsfaden nicht abreißen wollen. Mit der Sache vertraute Personen sagten der Nachrichtenagentur Reuters, die Treffen zwischen Vertretern der griechischen Regierung und der drei Institutionen – der Internationale Währungsfonds (IWF), die Europäischen Zentralbank (EZB) und die EU-Kommission – würden an diesem Donnerstag fortgesetzt. Zudem wollten sich EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Tsipras in Brüssel am Donnerstag erneut treffen.
Zuvor hatten Diplomaten berichtet, dass Athen möglicherweise nun doch einen Primärüberschuss im Haushalt – also ohne Zins- und Tilgungszahlungen – von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) akzeptieren wolle. Zuletzt hatte die griechische Regierung angeboten, dass dieser Überschuss im laufenden Jahr bei 0,75 Prozent des BIP liegen könne. Weiter ungelöst sind aber andere Streitpunkte – die Höhe der Mehrwertsteuer, die von den Gläubigern geforderte Privatisierung der Häfen in Piräus und Thessaloniki und die Rentenreform. Wie weit die Positionen der beiden Seiten auseinanderliegen, wurde deutlich, als Tsipras nach dem Treffen mit Merkel und Hollande erklärte, seine EU-Partner hätten erkannt, dass Griechenland eine Lösung benötige, welche „tragfähige Schulden“ beinhalten müsse. Über einen Schuldenschnitt wollen Merkel und Co. aber nicht mit sich reden lassen.

Dass die Geduld der EU-Partner mit Griechenland zu Ende geht, machte EU-Ratschef Donald Tusk am Donnerstag zum Abschluss des EU-Lateinamerika-Gipfels deutlich. “Es gibt keinen Raum mehr für Spielchen", sagte der ehemalige polnische Ministerpräsident. Der Tag rücke näher, an dem jemand sagen werde: “Das Spiel ist aus.“

Krichbaum: „Tsipras muss eine 180-Grad-Wende vollziehen"

Angesichts des andauernden Gezerres um eine Verhandlungslösung wird auch darüber spekuliert, dass Griechenland zunächst eine Verlängerung des bestehenden Hilfsprogramms für weitere neun Monate beantragen könnte, um mehr Zeit zu gewinnen. Am Mittwoch hatten griechische Regierungskreise in Brüssel verlauten lassen, dass über eine Verlängerung des am 30. Juni auslaufenden Hilfsprogramms der Europäer bis zum März 2016 diskutiert werde. Der Hintergrund: Ohne eine Verhandlungslösung verliert Griechenland nach derzeitigem Stand nach dem 30. Juni den Anspruch auf die noch ausstehenden milliardenschweren Hilfszahlungen.
Wie Finanzstaatssekretärs Steffen Kampeter (CDU) dem Europaausschuss des Bundestages am Mittwoch erläutert hatte, wäre auch eine bloße Verlängerung des bestehenden Hilfsprogramms nicht ohne einen Plenumsbeschluss des Bundestages zu haben. Ob die Abgeordneten der CDU/CSU einer Verlängerung zustimmen würden, erscheint fraglich. Bereits bei der letzten Griechenland-Abstimmung im Februar gaben mehr als 100 Unionsabgeordnete persönliche Erklärungen ab, in denen sie trotz ihrer Zustimmung ihre Skepsis angesichts der fortgesetzten Hilfen für Athen zum Ausdruck brachten. „Ich habe große Zweifel, dass nach dem gegenwärtigen Stand eine Mehrheit in der Union für eine technische Verlängerung des Programms zu Stande käme“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses, Gunther Krichbaum, dem Tagesspiegel. „Tsipras muss eine 180-Grad-Wende vollziehen. Vorher braucht man gar nicht mit Anfragen ans Plenum kommen“, sagte der CDU-Politiker weiter.

Der Syriza-Chef gerät zu Hause unter Druck

Unterdessen bot sich am Donnerstag in Athen den Menschen, die am Athener Syntagmaplatz aus der U-Bahn-Station ins Freie traten, ein ungewohnter Anblick. Ein riesiges Plakat bedeckte die Fassade des Finanz- und Wirtschaftsministeriums an der Südseite des Platzes. „Wir haben genug geblutet, wir haben genug gezahlt“, stand auf dem Transparent, das über fünf Stockwerke reichte. Etwa 200 Mitglieder des kommunistischen Gewerkschaftsbundes Pame hatten am Morgen das Ministerium besetzt, sich Zugang zum Dach des Gebäudes verschafft und das Riesentransparent von dort herabgelassen. Es zeigt die drei Ministerpräsidenten, die Griechenland seit 2009 hatte: Giorgos Papandreou, Antonis Samaras und Alexis Tsipras. Alle drei, so das Plakat, stünden für Sparprogramme, eines schlimmer als das andere.

Treffen in Brüssel. EU-Ratschef Donald Tusk (rechts), der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras (Mitte) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Treffen in Brüssel. EU-Ratschef Donald Tusk (rechts), der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras (Mitte) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
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Dass er in der direkten politischen Erbfolge von Papandreou und Samaras dargestellt wird, dürfte Tsipras nicht gefallen. Schließlich war er in den Wahlkampf gezogen mit dem Versprechen, den Sparkurs zu beenden. Aber was ist daraus geworden? Nach über vier Monaten harter Verhandlungen mit den Gläubigern zeichnet sich nun endlich die Möglichkeit eines Durchbruchs ab. Nach einem Treffen des griechischen Premiers mit Merkel und Hollande sieht die griechische Zeitung „Ta Nea“ ein „Fenster zur Einigung“. Auch Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hält eine Lösung bis zum Treffen der Euro-Finanzminister am kommenden Donnerstag für möglich. Aber das Versprechen, die Kreditverträge mit den Gläubigern zu „zerreißen“, hat Tsipras nicht erfüllt. Gegen absehbare Zugeständnisse des Chefs des Linksbündnisses Syriza – beispielsweise Einschnitte bei den Früh-Verrentungen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer – regt sich nun wachsender Widerstand in Griechenland. Nicht nur der kommunistische Gewerkschaftsbund geht auf die Barrikaden und rief für Donnerstagabend zu einer Protestkundgebung in Athen auf. Auch die Gewerkschaft der Staatsbediensteten, die zur Kern-Klientel von Tsipras‘ Linksbündnis Syriza gehören, planten Demonstrationen, um gegen weitere Sparpläne zu protestieren.

Zudem rumort es in der Regierungspartei. 22 Mitglieder der Syriza-Parlamentsfraktion forderten in einem Brief an Tsipras, die Regierung müsse unverzüglich ihre Wahlversprechen umsetzen und ein Gesetz verabschieden, das die von der Vorgängerregierung vorgenommen Gehalts- und Rentenkürzungen sowie die Senkung des Mindestlohns annulliere. Das könnte den Bruch mit den Gläubigern bedeuten, denn genau diese Themen sind Bestandteil der laufenden Verhandlungen.

Während Tsipras beteuert, er wolle Griechenland in der Währungsunion halten, arbeitet der linksextreme Syriza-Flügel auf einen „Grexit“ hin. In der griechischen Gesellschaft habe er Unterstützung, nicht aber in der eigenen Partei, soll Tsipras jetzt vor führenden Funktionären geklagt haben. Richtig ist: Fast acht von zehn Griechen, so eine aktuelle Umfrage, wollen am Euro festhalten. (mit AFP, dpa und Reuters)

Albrecht Meier, Gerd Höhler, Andreas Oswald

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