Flüchtlingsstrom: Italien ruft humanitären Notstand aus
Seit der Flucht des Diktators Ben Ali haben Tausende Tunesier ihr Land mit Kurs auf Europa verlassen. 5000 Flüchtlinge trafen allein in den vergangenen vier Tagen in Süditalien ein. Die kleine Insel Lampedusa steht erneut vor dem Kollaps.
Angesichts des dramatischen Ansturms tausender tunesischer Flüchtlinge hat Italien den humanitären Notstand ausgerufen. Dieser Schritt erlaube es den Zivilschutzbehörden, "unverzüglich" alle notwendigen Maßnahmen einzuleiten, teilte die Regierung am Samstag mit. Innenminister Roberto Maroni klagte über fehlende Hilfe der EU und kündigte an, italienische Polizisten in das nordafrikanische Land entsenden zu wollen.
Der Zivilschutz solle alles Notwendige unternehmen, um "das Phänomen" unter Kontrolle zu bekommen und den nordafrikanischen Flüchtlingen beizustehen, hieß es in einer Mitteilung der Regierung. In den vergangenen Tagen erreichten rund 5000 tunesische Flüchtlinge auf kleinen Booten die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa. In der Nacht zum Sonntag waren es nach Angaben der Küstenwache erneut fast 1000 Menschen. Der Zivilschutz richtete einen Krisenstab ein, die Behörden brachten zahlreiche illegale Einwanderer über eine Luftbrücke und mit Fähren in Auffanglanger auf Sizilien und im Süden Italiens. Am Sonntag waren aber laut Polizei noch rund 2000 Flüchtlinge auf Lampedusa.
"Die Lage ist außer Kontrolle", sagte der Bürgermeister von Lampedusa, Bernardino De Rubeis. Die kleine Insel, auf der rund 6000 Menschen leben, liegt nur 110 Kilometer vor der tunesischen Küste und damit näher an Nordafrika als am italienischen Festland.
Viele Tunesier nutzten das gute Wetter und die ruhige See für ihre Flucht. Der Flüchtlingsstrom war seit den Unruhen in Tunesien und dem anschließenden Sturz des langjährigen Staatschefs Zine El Abidine Ben Ali Mitte Januar angeschwollen.
Im Fernsehsender TG5 sagte Innenminister Maroni, er werde das Außenministerium in Tunis um eine Erlaubnis für den Einsatz italienischer Polizisten auf tunesischem Territorium ersuchen. Die Beamten sollten verhindern, dass weitere Flüchtlinge sich auf den Weg nach Europa machten. "Das tunesische System ist dabei zu kollabieren", sagte Maroni, der der rechtspopulistischen Lega Nord angehört. Er warf der EU vor, Italien in der Flüchtlingsfrage "wie üblich alleine zu lassen". "Europa macht nichts", sagte Maroni. Der Maghreb sei dabei zu "explodieren", deswegen sei eine Intervention der EU unabdingbar.
Außenminister Franco Frattini sagte der Zeitung "Corriere della Sera" vom Sonntag, es müssten alle Mittelmeerstaaten mobilisert werden, die über Schiffe, Flugzeug und Helikopter verfügten, um vor der tunesischen Küste zu patrouillieren. Bereits am Freitag hatte die Regierung in Rom die Europäische Union um Hilfe gebeten.
Brüssel solle "umgehend" Einheiten der EU-Grenzschutzagentur Frontex nach Tunesien schicken und diese entlang der Küste patrouillieren lassen, hieß es in einer Mitteilung des Außenministeriums.
Am Samstag ertrank ein junger tunesischer Flüchtling, als ein Schiff mit zwölf Menschen an Bord auf dem Weg nach Europa sank. Ein weiterer Tunesier werde noch vermisst, berichtete die amtliche tunesische Nachrichtenagentur TAP. (AFP/dpa)