Wiederaufbaufonds als Wendepunkt: Italien mag die Deutschen wieder
In der Corona-Krise war die Beziehung zwischen Italien und Deutschland auf dem Tiefpunkt. Nun ist alles anders, denn die Urlaubssaison steht bevor.
Für Angela Merkel ist Italien ganz eindeutig das Urlaubsland Nummer eins. Im Sommer reist die Kanzlerin normalerweise zum Wandern nach Sulden in Südtirol. Ostern ist sie gern mit ihrem Mann Joachim Sauer auf der Mittelmeerinsel Ischia unterwegs. Wegen der Corona-Pandemie ändert die CDU-Politikerin die seit Jahren bewährte Urlaubsroutine aber. Auf die Frage, wohin es denn in diesem Sommer gehe, sagte sie am Donnerstagabend im ZDF nur knapp: „Deutschland.“
Solange sich nicht zu viele Deutsche ein Beispiel an ihrer Kanzlerin nehmen, wird man ihr das in Italien vielleicht verzeihen. Merkel genießt dort inzwischen wieder Ansehen. Vor zwei Monaten sah das noch ganz anders aus. Da waren die Deutschen im öffentlichen Diskurs die Unsolidarischen, die Bestimmer, das hässliche Gesicht Europas. Um die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien war es auf dem Höhepunkt der Corona-Krise schlecht bestellt. Vor allem die rechte Opposition hetzte gegen Berlin und die EU.
Doch das Blatt hat sich gewendet. Merkel ist plötzlich die „Gute“, und die Deutschen in Italien willkommen. Die Sommersaison steht bevor und aus Deutschland kommt normalerweise ein sehr großer Teil der Italien-Urlauber. Von Venedig bis Sizilien hofft man, dass das auch im Jahr der großen Pandemie so sein wird. Auch Italiens Außenminister Luigi Di Maio ist deswegen sehr daran gelegen, den Ärger über die Deutschen vergessen zu machen.
Seine erste Auslandsreise seit Beginn der Corona-Krise führte ihn deshalb am Freitag nach Berlin. Und nach seinem Treffen mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas tat er so, als wenn das deutsch-italienische Verhältnis nie belastet gewesen sei. „Die Unterstützung Deutschlands für unser Land hat in der gesamten Zeit der Pandemie eigentlich nie gefehlt“, sagte er. „Es hat hier umfangreiche Bezeugungen der Unterstützung und der Solidarität gegeben.“
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Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise war man in Italien weniger gut auf Berlin zu sprechen. Als Krankenhäuser in der Lombardei schon kurz vor dem Kollaps standen, kam besonders schlecht an, dass Deutschland einen Exportstopp für Material wie Atemschutzmasken und Schutzanzüge und -brillen verhängt hatte. Und das kategorische Nein zur Vergemeinschaftung von Schulden über sogenannte „Corona-Bonds“ setzte der Anti-Deutschland-Stimmung eines oben drauf. Dass die Bundesregierung italienische Covid-Kranke nach Deutschland holte, wurde in der Öffentlichkeit weniger stark wahrgenommen. Diplomaten sprachen besorgt von Feindbildern wie zu Hochzeiten der Finanzkrise.
Das fruchtete auch beim Volk. Laut einer Umfrage sank Anfang Mai das Vertrauen der Italiener in Deutschland auf 26 Prozent - im Januar 2019 lag der Wert noch bei 42 Prozent. Am Freitag hieß es in einer anderen Umfrage, dass Anfang April fast 45 Prozent der Befragten Deutschland in wirtschaftlicher Sicht als „Feind“ Italiens ansehen. Ende Mai waren es immer noch 42 Prozent.
Den Wendepunkt brachte der EU-Wiederaufbaufonds
Doch etwas hat sich geändert. „Merkel und das Wunder von einem Deutschland, das auf einmal gut geworden ist“, schrieb zuletzt die Zeitung „Il Foglio“. Den entscheidenden Wendepunkt brachte der EU-Wiederaufbaufonds. Dafür will Deutschland erstmals eine massive europäische Schuldenaufnahme über den EU-Haushalt akzeptieren. Merkel hatte mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein Programm zur wirtschaftlichen Erholung im Umfang von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen, das vor allem Krisenstaaten wie Italien zugutekommen soll. Seitdem scheinen die Wogen geglättet. Beide Länder sind wirtschaftlich eng verbunden.
Mittlerweile hat Rom einen neuen Buhmann gefunden: Österreich will seine Grenze zu Italien noch nicht öffnen. Deutsche Urlauber dürfen auf dem Weg nach Italien und auch zurück in die Heimat zwar durch Österreich fahren. Aber Italiener dürfen vorerst noch nicht in die Alpenrepublik. Von „diskriminierenden Maßnahmen“ sprach Ministerpräsident Giuseppe Conte.
„Hier am Gardasee gab es nie einen Notstand“
Für viele Tourismus-Treibenden ist politischer Streit jedoch nicht entscheidend. Vielmehr wollen sie ein Bild von einem Italien vermitteln, das nicht landauf, landab infiziert ist. „Hier am Gardasee gab es nie einen Notstand“, sagte zum Beispiel der Präsident des Tourismuskonsortiums Lago di Garda Veneto, Paolo Artelio. „Und die Deutschen wissen, dass sie hier wie Verwandte behandelt werden.“
Der Tourismus soll die beiden Länder also nun im Sommer wieder richtig zusammenschweißen. Di Maio versicherte in Berlin, dass die italienischen Strände sicher seien. Maas betonte, dass die noch geltende weltweite Reisewarnung am 15. Juni auch für Italien aufgehoben wird. Eine Empfehlung für das Urlaubsland Italien wollte er allerdings nicht abgeben. „Wenn ich dies täte, würde das sehr viel Ärger mit etwa 25 anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geben.“
Allerdings will Maas mit einer Dienstreise ein Zeichen setzen. Schon bald will er zu einem Gegenbesuch in Italien aufbrechen. Geplant ist dann auch ein gemeinsamer Restaurantbesuch mit Di Maio in Rom. Die italienische Tourismusbranche wird sich über die symbolische Geste freuen. (dpa)
Annette Reuther, Michael Fischer