Verfassungsänderung im Volkskongress: Ist Xi noch mächtiger als Mao ?
Am Sonntag wird der Volkskongress die Verfassung ändern und die Begrenzung der Amtszeit des Staatspräsidenten Chinas aufheben. Xi Jinping könnte dann sogar Mao Zedong an Machtfülle übertreffen.
Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping ist nach jüngsten Erkenntnissen aus der Provinz Qinghai eine buddhistische Gottheit. Das hat zumindest der Delegierte Wang Guosheng am Rande des Volkskongresses aus der stark von Tibetern geprägten Region berichtet. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert ihn mit dem Satz: „Die gewöhnlichen Menschen in der Gegend der Viehhirten sagen, einzig der Generalsekretär Xi Jinping ist ein lebender Bodhisattva.“ So werden im Buddhismus Wesen bezeichnet, die nach höchster Erkenntnis streben.
Auf derart religiösen Ruhm hätte Staatsgründer Mao Zedong sicherlich gerne verzichtet, als Atheist ließ er in der Kulturrevolution Religionsanhänger verfolgen, buddhistische Kloster und religiöse Kunstwerke zerstören. Xi Jinping aber könnte der Aufstieg in den Götterhimmel womöglich gefallen.
Der 64-Jährige vereint gerne Titel, Ämter und Aufgaben auf sich selber. An diesem Sonntag wird er sich vom Volkskongress eine unbegrenzte Amtszeit als Staatspräsident in die Verfassung schreiben lassen. Die knapp 3000 Delegierten müssen der Änderung der Verfassung, die dieses Amt bisher auf maximal zehn Jahre begrenzt hat, noch mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen. Doch daran gibt es keinen Zweifel. Noch nie in seiner bald 64-jährigen Geschichte hat das Scheinparlament der Volksrepublik einen Antrag abgelehnt. In China herrscht nur die Kommunistische Partei – und in dieser nur Xi Jinping.
„Eine große Zahl von Gegenstimmen und Enthaltungen ist nicht sehr wahrscheinlich“, sagt Matthias Stepan, Innenpolitik-Experte des Berliner Chinaforschungsinstitutes Merics, „das wäre ein großer Gesichtsverlust für die Partei.“ Zumal diese vor Beginn des Volkskongresses deutlich gemacht hatte, dass die Verfassungsänderung ein übereinstimmender Wunsch der Parteibasis sei.
1992 war der umstrittene Dreischluchtenstaudamm auf den bisher größten Widerstand im Parlament gestoßen. Damals stimmten 1767 Delegierte dafür, 177 dagegen, 664 enthielten sich. Das Projekt ist trotzdem umgesetzt worden. Derartig viele Nein-Sager dürfte es diesmal keinesfalls wieder geben. Zumal rund 70 Prozent der Delegierten im Besitz eines Parteibuches der KP China sind. „Die Partei schaut schon, wer dagegen stimmt oder sich enthält“, sagt Matthias Stepan, „und die werden dann auch noch persönliche Gespräche haben.“
Xi Jinping kann Staatspräsident auf Lebenszeit werden
Xi Jinping kann ab Sonntagabend also in einem autoritären Staat Präsident auf Lebenszeit werden. Seine beiden anderen wichtigsten Ämter, Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Chef der Zentralen Militärkommission, sind ebenfalls zeitlich nicht begrenzt. Hinzu kommt sein Vorsitz in einer Vielzahl von Steuerungsgruppen im Parteiapparat. Im Ausland ruft diese Machtfülle, die es seit Deng Xiaoping und Mao Zedong nicht mehr gegeben hatte, oftmals Ängste hervor. „Die Revision der Staatsverfassung ist ein schockierend dreister Schritt, um in China zu einer persönlichkeitsbezogenen diktatorischen Herrschaftsform im Stile Maos zurückzukehren“, schreibt Susan Shirk, die während der Bill-Clinton-Regierung im US-Außenministerium arbeitete.
Womöglich ist Xi Jinping nun sogar noch mächtiger als die beiden größten Führer der 1949 gegründeten Volksrepublik China.
Deng Xiaoping habe sich aus den täglichen Regierungsgeschäften herausgehalten und bei Entscheidungen auf eine Gruppe älterer Beamter vertraut, schreibt der China-Experte Andrew J. Nathan in der „New York Review of Books“. Mao habe alleine entschieden, allerdings habe er sich nur auf einzelne Themen konzentriert, schreibt Nathan weiter. „Xi scheint täglich selber die gesamte Spanne wichtiger Politikbereiche zu leiten, ohne erfahrene Kollegen oder Parteiältere im Ruhestand um Rat fragen zu müssen.“ Susan Shirk warnt deshalb vor schlechten Entscheidungen aufgrund einer Überkonzentration von Macht.
Für Xi Jinping als mächtigsten Mann in der Geschichte der Volksrepublik spricht inzwischen auch, dass China im Gegensatz zur Mao-Ära international eine viel wichtigere Rolle spielt. Das gilt politisch – „Xi Jinping hatte seit seinem Amtsantritt außenpolitische Ambitionen“, sagt der China-Experte Matthias Stepan – aber vor allem auch wirtschaftlich. Der Internationale Währungsfonds führt China nach Kaufkraft bemessen bereits seit 2014 als größte Volkswirtschaft der Welt. Noch vor den USA. Seit 2009 ist China auch größter Exporteur der Welt.
Matthias Stepan scheut dennoch einen Vergleich der beiden mächtigsten Männer in der Geschichte der Volksrepublik. Weil sich ihre Instrumentarien unterscheiden. „Bei Mao war es das Chaos, das regierte“, sagt er, „Xi will alles ordnen und rechtlich wasserdicht machen.“ Der China-Experte spricht von einer Verregelung unter Xi. „Aber das ist nicht legalistisch, wie man das aus westlichen Ländern kennt, da Parteiideologie weiterhin eine zentrale Rolle spielt.“ Auch die Alleinherrschaft der Partei soll an diesem Sonntag als eigener Artikel in die Verfassung aufgenommen werden, bisher war sie lediglich in der Präambel verankert. Und weil auch noch das „Xi Jinping Gedankengut“ in der Verfassung Aufnahme finden wird, wird der aktuelle Staatschef auch ideologisch mit Mao Zedong gleichziehen.
Xi Jinpings Wunsch nach einer unbegrenzten Amtszeit als Staatspräsident könnte freilich auch als Schwäche ausgelegt werden. Deng Xiaoping konnte das Land auch ohne offizielles Amt im Hintergrund lenken. Xi Jinping aber hat in seiner ersten Amtszeit das lange Zeit ungeschriebene Gesetz über Bord geworfen, Mitglieder des wichtigsten Zirkels der Partei nach ihrem Ausscheiden politisch nicht zu verfolgen. Er aber hat den ehemals mächtigen Sicherheitschef Zhou Yongkang wegen Korruption und Machtmissbrauch anklagen und verurteilen lassen. Nun könnte Xi Jinping ein solches Schicksal nach seinem Amtsende womöglich fürchten.
Kritik stammt auch aus der Vergangenheit
Matthias Stepan hält es auch für möglich, dass Xi Jinping gar keine Amtszeit auf Lebenszeit anstrebt, sondern beizeiten einen Nachfolger aufbaut. „Wir wissen nicht, wie er sich in seiner zweiten Amtszeit bis 2023 weiterentwickeln wird“, sagt der Experte vom Chinainstitut Merics. Dass Xi Jinping sich bisher so sehr an Mao orientierte, hatte viele anfangs überrascht. Sein Vater Xi Zhongxun, der zur ersten Führungsgeneration der KP Chinas zählte, war in Maos Kulturrevolution verfolgt und gefoltert worden, eine seiner Halbschwestern wurde von den Roten Garden derart gequält, dass sie aus Verzweiflung Selbstmord beging. Doch Xi Jinping gibt anderen die Schuld, Mao Zedong hingegen hätte seinen Vater mehrmals gerettet, sagt er. „Wenn Mao nicht das Leben meines Vaters gerettet hätte, wäre ich heute nicht hier.“
Außerhalb Chinas wird Mao Zedong weniger positiv gesehen. Die Folgen seiner politischen Kampagnen „Der große Sprung nach vorne“ und der Kulturrevolution kosteten Millionen von Chinesen das Leben. Der Sinologe Frank Dikötter spricht von 45 Millionen Toten allein zwischen 1958 und 1962. Aufgrund dieser Erfahrungen mit einem kommunistischen Alleinherrscher wird die jüngste Entwicklung auch in China skeptisch gesehen. Doch darüber gibt es dort kaum eine öffentliche Debatte. Die Zensur löscht den leisesten Ansatz von Kritik im Internet. Sogar der Buchstabe „N“ fiel ihr kurzzeitig zum Opfer, weil offenbar ein Zensor die mathematische Variable „n Amtszeiten“ auch schon für gefährlich hielt.
Doch Kritik stammt auch aus der Vergangenheit. Deng Xiaoping hatte einst Konsequenzen aus dem Chaos und der Willkür Maos gezogen und am 18. August 1982 mit einer Rede im Politbüro eine Reform des Führungssystems in die Wege geleitet. „Es ist nicht angebracht, zu viele Ämter gleichzeitig innezuhaben“, sagte Denk Xiaoping, „Wissen, Erfahrungen und Energie eines Menschen sind begrenzt.“ Aber vielleicht gilt das ja nicht unbedingt für buddhistische Gottheiten.