Merkel in Afrika: Ist Einwanderung die bessere Entwicklungshilfe?
Migranten als Fluchtursachenbekämpfer: 2016 betrugen private Rücküberweisungen aus Deutschland in die Herkunftsländer 17,7 Milliarden Euro. Ein Kommentar.
Afrika ist der Kontinent des europäischen schlechten Gewissens. Bis vor hundert Jahren war auch Deutschland, damals das Deutsche Reich, Kolonialmacht. Im ostafrikanischen Land Tansania sind Deutsche für eines der blutigsten Gemetzel der Kolonialgeschichte verantwortlich. Rund 300.000 Menschen wurden bei der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands getötet. An den Herero und Nama verübten deutsche Truppen in Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einen Völkermord. Entschädigt wurden die Opfer und ihre Nachkommen nie.
Auch das Humboldt-Forum ringt mit dem Erbe aus dieser Zeit. Etwa 20.000 ethnologische Schätze sollen ausgestellt werden, aber welche sind sauber? Und welche stammen aus Plünderungen, wurden geraubt, erpresst, als Beute einfach mitgenommen? „Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft“, hatte die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy im vergangenen Jahr gefragt und war aus dem Expertengremium ausgetreten, das sich mit der Herkunft der Objekte befasst.
An diesem Mittwoch reist Angela Merkel nach Senegal, Ghana und Nigeria. Drei Länder, drei Tage. Am Sonntag, in ihrem wöchentlichen Video-Podcast, sagte sie, worum es ihr dabei geht – wirtschaftliche Zusammenarbeit und Eindämmung der Migration. Vor zwei Wochen war der Präsident des Niger, Mahamadou Issoufou, im Bundeskanzleramt. Das Land ist das zweitärmste der Welt und hat die höchste Geburtenrate. Mehr als 330.000 Menschen verließen 2016 den Niger, die meisten davon in Richtung Libyen. Sie hofften auf Schlepper, Schiffe, Europa. Die EU versprach eine Milliarde Euro, im Jahr 2017 verließen den Niger nur noch 69.000 Menschen.
Etwas Besseres als den Tod finden sie überall
In Afrika sind wirtschaftliche Entwicklung und Migration eng verzahnt. Das eine bedingt das andere. Für die, die vor Hunger und Elend fliehen, gibt es die Begriffe „Armutsflüchtling“ oder „Arbeitsmigrant“. Manchmal heißt es über sie, sie suchten nur ein besseres Leben. In Wirklichkeit ist es wohl oft eher wie bei den Bremer Stadtmusikanten – etwas Besseres als den Tod finden sie überall.
Fachkräfte werden in Deutschland gesucht, löst Zuwanderung das Problem? Das fragte am Sonntag Anne Will ihre Gäste. Die Antwort fiel fast einmütig aus. Ja, Migranten sind eine wichtige Ressource für den Arbeitsmarkt. Auf einen anderen, meist unterbelichteten Aspekt von Migration macht der „Verband Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe“ (venro) aufmerksam. Ihm gehören rund 130 deutsche Nichtregierungsorganisationen an. „Einwanderung entwicklungspolitisch denken!“, lautet die Forderung.
Migranten und Flüchtlinge überweisen jedes Jahr viel Geld an ihre Familien zu Hause. Allein im Jahr 2016 flossen mehr als 17,7 Milliarden Euro aus Deutschland zurück in die Herkunftsländer, rund 6,5 Milliarden mehr als im Jahr 2007. Deutschland liegt – hinter den USA, Saudi-Arabien und der Schweiz – auf Platz vier der weltweit größten Ausgangsländer für private Geldtransfers. Der Etat des Entwicklungsministeriums ist nur halb so groß.
Internationalen Tag der Geldüberführungen
Auch im globalen Maßstab übersteigen die privaten jährlichen Rücküberweisungen von Migranten an ihre Familien längst die staatliche Entwicklungshilfe. Nach Angaben der Weltbank haben Migranten im Jahr 2017 etwa 466 Milliarden US-Dollar in Entwicklungsländer überwiesen. Das ist das Dreifache der Mittel der internationalen Entwicklungshilfe. Dabei dürfte die Summe noch höher sein, weil viele Geldscheine mit der Post verschickt oder Freunden mitgegeben werden. Um das private Engagement zu würdigen, haben die Vereinten Nationen den 16. Juni zum Internationalen Tag der Geldüberführungen an Angehörige ausgerufen.
Merkel redet oft von „Fluchtursachenbekämpfung“. Damit meint sie Investitionen und Finanzhilfen, also in Deutschland erarbeitete Steuergelder. Rücküberweisungen von Migranten sind ein wichtiger Beitrag zur Fluchtursachenbekämpfung. Jeder, der Arbeit hat und integriert ist, aber abgeschoben werden soll, wäre ein Entwicklungshelfer weniger.