Lieberman punktet im Wahlkampf: Israels Rechte setzt auf die Stimmen der Russen
Der israelische Rechtspolitiker Lieberman kommt bei den russischstämmigen Wählern gut an. Der Hardliner könnte Netanjahu vom Thron stoßen.
Mark Litman ist keiner, die sich im Voraus auf eine Partei festlegt. Diesmal aber ist er sich schon seit Wochen sicher, dass er bei der Parlamentswahl kommende Woche für Avigdor Liebermans Partei „Unser Haus Israel“ stimmen wird: „Es hat mir gefallen, wie Lieberman im Mai nicht nachgegeben hat und auf die Einführung des Armeedienstes für die Ultraorthodoxen gepocht hat“, sagt der 37-jährige Projektmanager eines Tel Aviver Hightech-Unternehmens. Er ist mit dieser Meinung nicht alleine.
Seit Mai sind die Umfragewerte für den säkularen Rechtspolitiker Avigdor Lieberman in die Höhe geschnellt: Bis zu elf Sitze könnte seine Partei am 17. September holen – mehr als doppelt so viele wie bei der letzten Wahl im April. Zahlreiche Israelis rechnen Lieberman hoch an, dass er sich bei den Koalitionsverhandlungen vor vier Monaten nicht zu einem Kompromiss mit den ultraorthodoxen Parteien hat hinreißen lassen. Er wollte seine Version des Gesetzes zur Eingliederung der Ultraorthodoxen in die Armee durchsetzen, bislang sind sie vom Pflichtdienst befreit. Die Verhandlungen scheiterten – und nun wird neu gewählt. Und das Ergebnis droht, knapp zu werden.
Lieberman, ein langjähriger Weggefährte Benjamin Netanjahus, hat angekündigt, diejenige Partei für die Koalitionsbildung zu empfehlen, die zu einer großen Koalition ohne ultraorthodoxe Parteien bereit ist. Lieberman könnte zum Königsmacher werden – und Netanjahu vom Thron stoßen.
In dessen Likud-Partei begann die politische Karriere des heute 61-Jährigen Lieberman, der zuvor als Türsteher in einem Nachtclub gearbeitet hatte. Als Netanjahu 1996 erstmals die Wahl gewann, wurde Lieberman sein Bürochef. Doch bald ging er eigene politische Wege, gründete 1999 die Partei „Unser Haus Israel“ und setzt seither auf russischstämmige Wähler. Mehr als 1,5 Millionen Russen wanderten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Israel aus. Sie haben politische Macht. Bei der vergangenen Wahl stimmten rund 40 Prozent der russischen Wähler für Lieberman.
Lieberman, der aus der heutigen Republik Moldau stammt, kam 1978 mit seiner Familie nach Israel. Seinen ursprünglichen Vornamen „Evet“ tauschte er gegen den israelischen „Avigdor“. Seinen Akzent hat er bis heute behalten. Ebenso sein Gespür dafür, was seine Landleute wollen. „Die drei obersten Prioritäten der russischen Wähler sind Sicherheit, Soziales sowie Staat und Religion“, sagt der israelische Politikwissenschaftler Se’ev Chanin. Lieberman weiß das.
Er lebt in einer Siedlung im besetzten Westjordanland
Er ist ein Hardliner, lebt selbst in einer Siedlung im besetzten Westjordanland und geht mit rechten Parolen auf Stimmenfang. Mehrmals hat Lieberman die Todesstrafe für Terroristen gefordert. Arabischen Israelis, die sich nicht loyal zeigen, würde er gerne die Staatsbürgerschaft entziehen. Immer wieder plädierte er für mehr Härte im Umgang mit der Hamas im Gazastreifen. 2018 trat er aus Frust über die in seinen Augen schwache Gaza-Politik von Premier Netanjahu als Verteidigungsminister zurück.
„Lieberman spricht eine Sprache, die die russischen Einwanderer verstehen“, sagt der Wähler Mark Litman. Auch er kam 1994 aus Russland nach Israel. „Nette Worte sind im Nahen Osten ein Zeichen der Schwäche. Klar würde ich den Konflikt gerne beendet sehen, durch eine Zweistaatenlösung. Aber es gibt auf der anderen Seite einfach niemanden, mit dem wir sprechen können.“
Russische Einwanderer leben meist säkular
Doch Lieberman versucht auch, bei sozialen Themen zu punkten. „Die russischen Einwanderer haben mit dafür gesorgt, dass Israel einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat“, sagt der Politikwissenschaftler Se’ev Chanin. Doch mit der Rente drohe vielen die Altersarmut. „Es geht ihnen nicht um Wohlfahrt, sondern darum, fair behandelt zu werden.“ Lieberman kritisiert, dass stattdessen die Ultraorthodoxen unterstützt werden und Vergünstigungen erhalten.
Die Einwanderer aus der Sowjetunion leben meist säkular und haben wenig Verständnis für den Einfluss der Religion. Hinzu kommt, dass viele Russen vom Rabbinat nicht als jüdisch anerkannt werden und so in Israel nicht heiraten dürfen. Eine Zivilehe gibt es nicht. Tausende junge Russen sind betroffen. Auch deshalb kommt Liebermans Kompromisslosigkeit gegenüber den Orthodoxen so gut an.
Premier Netanjahu hat längst erkannt, wie wichtig die russischen Wähler sind. Recherchen israelischer Journalisten zufolge soll seine Likud-Partei mehr als 5000 Euro pro Woche für Facebook-Werbung auf Russisch ausgeben. Die Prognosen aber sprechen für Lieberman. So eindeutig, dass einige Beobachter nicht mehr ausschließen, Avigdor Lieberman könne es am Ende selbst auf das Amt des Premiers abgesehen haben.