Generalstreik nach Mord an Politiker: Islamistische Extremisten hinter Anschlag vermutet
In Tunesien ist ein Oppositionspolitiker auf offener Straße getötet worden - mit der gleichen Waffe wie ein Regierungskritiker. Daraufhin wurde ein Generalstreik ausgerufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte den Mord als feiges Attentat.
Der tunesische Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi ist offenbar mit derselben Waffe erschossen worden wie der Regierungskritiker Chokri Belaid im Februar - und zwar angeblich von radikalen Salafisten. Diese vorläufigen Ermittlungsergebnisse machte Innenminister Lotfi Ben Jeddou am Freitag publik. Während sich tausende Demonstranten an erneuten Massenprotesten beteiligten, legte ein Generalstreik die Hauptstadt Tunis lahm. Brahmi war am Donnerstagmittag beim Verlassen seines Hauses bei Tunis erschossen worden. Laut dem Autopsieergebnis wurde der Parlamentsabgeordnete von 14 Kugeln getroffen. Seine Kinder berichteten, zwei Männer auf einem Motorrad hätten das Attentat verübt. Die Angehörigen machten die Islamisten der regierenden Ennahda-Partei verantwortlich. Die Tat erinnert an die Ermordung des linken Oppositionellen Belaid, der am 6. Februar ebenfalls vor seinem Haus erschossen worden war. Der bis heute ungeklärte Mord löste eine politische Krise mit wochenlangen Protesten aus.
Am Freitag gab der staatliche Sicherheitsapparat nun die Namen von 14 radikalen Islamisten bekannt, die in beide Morde verwickelt sein sollen. Dass politische Parteien beteiligt gewesen sein könnten, schloss Innenminister Ben Jeddou indes aus.
Nach dem Mord an Brahmi gingen am zweiten Tag infolge tausende Menschen in Tunis und seiner Heimatstadt Sidi Bouzid auf die Straße. „Das Volk will den Sturz der Regierung“, riefen die Demonstranten in Tunis und schimpften den Ennahda-Vorsitzenden Rached Ghannouchi einen „Mörder“. Die Polizei verhinderte mit Tränengas einen Sitzstreik. Gleichzeitig hielten mehrere tausend Regierungsanhänger eine Solidaritätsdemonstration zugunsten der Ennahda ab und skandierten Parolen wie „Gott ist größer“.
Ghannouchi wies die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Der Mord an Brahmi sei eine „Katastrophe für Tunesien“, die Täter wollten das Land in den Bürgerkrieg stürzen und den demokratische Wandel aufhalten. Präsident Moncef Marzouki, der für Freitag einen Tag der Staatstrauer anordnete, sagte am Vorabend, die Täter wollten den Arabischen Frühling diskreditieren: „Sie wollen beweisen, dass der Arabische Frühling überall gescheitert ist.“ Laut der Gewerkschaft UGTT wurde ihr Aufruf zum Generalstreik im ganzen Land befolgt. Neben Banken und Kliniken sei auch der öffentliche Nahverkehr stark betroffen.
Die Ermordung Brahmis löste international Bestürzung aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte den Mord als feiges Attentat. „Ich bin erschüttert“, erklärte Merkel. Die Täter müssten zügig ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden. Das gelte auch im Fall Belaïd. Die Bundesregierung appellierte an Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft, erneut Besonnenheit zu wahren. Tunesien habe auf dem Weg der Demokratisierung wichtige Etappen zurückgelegt. „Möglich war dies durch die politische Reife und Kompromissbereitschaft aller Beteiligten“, heißt es in Merkels Erklärung. Und weiter: „Es darf nicht zugelassen werden, dass feige politische Gewalttaten den Weg des tunesischen Volkes zur Demokratie gefährden.“
In Reaktion auf den Streik-Aufruf sagten die Fluggesellschaft Tunisair und ihre Tochter Tunisair Express alle für Freitag geplanten Flüge ab. Wer seinen Flug bei einer europäischen Airline gebucht hat, bekommt entweder den Flugpreis zurückerstattet oder kann von der Fluggesellschaft eine Ersatzbeförderung verlangen - zum Beispiel mit einem späteren Flug. Das erklärte Sabine Fischer-Volk von der Verbraucherzentrale Brandenburg. In diesem Fall muss die Airline auch für eine eventuell nötige Unterbringung der Reisenden und Verpflegung sorgen. Eine Ausgleichszahlung steht ihnen jedoch nicht zu, da es sich bei einem Generalstreik um höhere Gewalt handelt.
Pauschalurlauber, die in Tunesien festsitzen, weil ihr Rückflug gestrichen wurde, müssen sich laut Fischer-Volk an ihren Reiseveranstalter wenden. In diesem Fall müssen Kunden allerdings Kosten für weitere Übernachtungen selber tragen. Eventuelle Mehrkosten für den Rücktransport teilen sich Urlauber und Reiseveranstalter. Wer aufgrund des Streiks den Urlaub in Tunesien erst später antreten kann, könne beim Veranstalter einen Reisemangel geltend machen. Falle die komplette Reise aus, bekomme der Urlauber den Reisepreis zurück. Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreuden könne er jedoch nicht verlangen.
Tunis Air hat sämtliche Flüge nach Tunesien am Freitag annulliert. „Nach aktuellen Informationen starten die Flieger am Samstag wieder normal“, sagt eine Sprecherin. Ein Flug von der Ferieninsel Djerba nach Berlin-Schönefeld wurde am Morgen gestrichen, weitere Ausfälle Richtung Tunesien sind zu erwarten.
Das Auswärtige Amt in Berlin rät Reisenden, Menschenansammlungen und öffentliche Plätze in den großen Städten zu meiden. Zudem sollten Urlauber besonders wachsam sein und die lokale Medienberichterstattung verfolgen. (Tsp/dpa/afp)