Nach Sturz von Mohammed Mursi: Islamisten erstürmen Gouverneurssitz im Norden des Sinai
In Ägypten kommt es bei Protesten erneut zu Gewaltausschreitungen. In der Nacht zu Samstag werden dabei insgesamt 30 Menschen getötet. Das Auswärtige Amt hat derweil seine Reisewarnung für Ägypten und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet deutlich verschärft.
Hunderte ägyptische Islamisten haben in der Nacht zum Samstag den Sitz des Gouverneurs der Provinz Nord-Sinai in Al-Arisch erstürmt. 18 Menschen erlitten Schussverletzungen. Am Mittag befanden sich immer noch Dutzende Islamisten in dem Amtsgebäude, wie Augenzeugen berichteten. Sie protestierten gegen die Absetzung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi am vergangenen Mittwoch durch das Militär. Die Sicherheitskräfte griffen nach eigenen Angaben nicht ein, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden.
Angesichts der jüngsten Entwicklung in Ägypten hat das Auswärtige Amt seine Reisehinweise am Samstag deutlich verschärft. Auf der Internet-Seite des Ministeriums heißt es nun wörtlich: „Von Reisen nach Ägypten wird in der aktuellen Lage vor dem Hintergrund der sehr volatilen Sicherheitslage dringend abgeraten.“ Ausgenommen davon sind nur Nil-Kreuzfahrten sowie Reisen in die Touristengebiete am Roten Meer sowie nach Luxor und Assuan. Auch der Transit über den Flughafen Kairo gilt als sicher. Hingegen wird vor Reisen ins ägyptisch-israelische Grenzgebiet sowie in den Nordsinai nun sogar ausdrücklich gewarnt. Grundsätzlich empfiehlt das Außenministerium allen Ägypten-Touristen, die Nachrichten genau zu verfolgen und Menschenansammlungen zu meiden. Zudem sei wegen der Krise seit einigen Monaten ein genereller Anstieg der Kriminalität zu beobachten, was sich zum Beispiel bei Überfällen auf Autos bemerkbar mache.
Bei Ausschreitungen nach der Entmachtung von Präsident Mohammed Mursi sind in der Nacht zum Samstag in Ägypten mindestens 30 Menschen getötet worden. Mehr als 1100 Menschen seien verletzt worden, teilte das Gesundheitsministeriums in Kairo weiter mit. Zu Zusammenstößen kam es nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in Alexandria, Suez und Al-Arisch. Zehntausende Anhänger der islamistischen Muslimbruderschaft hatten am „Freitag der Ablehnung“ gegen die Absetzung Mursis demonstriert. Die Armeeführung hatte Mursi am vergangenen Mittwoch nach tagelangen, teils blutigen Massenprotesten gegen seine Herrschaft entmachtet und den Präsidenten des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, als vorläufigen Nachfolger eingesetzt.
Die USA verurteilten die Gewalt, während UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vor „Vergeltungstaten“ auf beiden Seiten warnte. Allein in der nördlichen Stadt Alexandria wurden laut Staatsmedien mindestens zwölf Menschen getötet. Rund 460 weitere seien bei Straßenschlachten verletzt worden, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Mena in der Nacht. In der Hauptstadt Kairo stießen Anhänger beider Lager am Tahrir-Platz zusammen. Sie bewarfen sich mit Steinen, wie AFP-Reporter berichteten. Es fielen auch Schüsse. Das Staatsfernsehen berichtete von zwei getöteten Demonstranten und 70 Verletzten. Die Lage beruhigte sich vorerst, als die Armee beide Seiten mit gepanzerten Fahrzeugen trennte.
Vier Mursi-Anhänger wurden nach offiziellen Angaben vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde getötet, als Demonstranten versuchten, Porträts des islamistischen Ex-Präsidenten dort aufzuhängen. Zuvor hatte der Chef der Muslimbrüder, Mohammed Badie, bei einer Massenkundgebung zum Protest aufgerufen. Badies Stellvertreter Chairat al-Schater wurde im Osten Kairos festgenommen, wie ein Vertreter des Innenministeriums der Nachrichtenagentur AFP sagte. Gegen al-Schater und Badie lag ein Haftbefehl vor. Sie sollen die tödlichen Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern Mursis am Sonntag vor dem Hauptsitz der Muslimbrüder in Kairo provoziert haben.
Auf der Sinai-Halbinsel verübten Islamisten mehrere Angriffe auf die regulären Streitkräfte. Vor einem Regierungsgebäude in El-Arisch wurden fünf Polizisten erschossen. Bei Attacken auf Sicherheitskräfte und die Polizei wurde ein Soldat getötet. Als Reaktion schloss die Armee den Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen. Am Abend stürmten bewaffnete Mursi-Anhänger den Sitz des Gouverneurs in Nord-Sinai. Sie lieferten sich zunächst ein Feuergefecht mit Sicherheitskräften, bevor diese das Gebäude in El-Arisch aufgaben, wie ein AFP-Reporter berichtete.
In der Nacht riefen die Islamisten dazu auf, die Proteste fortzusetzen. Die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, der politische Arm der Muslimbrüder, begrüße die Mobilisierung „von Millionen Ägyptern in allen Provinzen“ des Landes, um „friedlich“ gegen den „brutalen Staatsstreich“ zu protestieren und eine Rückkehr Mursis zu fordern, hieß es in einer Erklärung. Die Partei werde „auf den Plätzen (Ägyptens) an der Seite der Massen“ bleiben, bis Mursi wieder in seinem Amt sei. Zugleich rief die Partei ihre Anhänger auf, keine Gewalt anzuwenden.
UN-Generalsekretär Ban erklärte, damit die Probleme des Landes friedlich gelöst werden könnten, dürfe es keine Vergeltung geben, auch dürfe keine wichtige Partei oder Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Laut seinem Sprecher rief er die ägyptischen Sicherheitskräfte auf, die Demonstranten zu schützen und weitere Zusammenstöße zu verhindern.
Die USA verurteilten die tödliche Gewalt. Alle Führer in Ägypten sollten die jüngsten Zusammenstöße anprangern und weitere Gewalt durch ihre Unterstützer verhindern, erklärte eine Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, am Freitag (Ortszeit). (Afp, Dpa)