Syrien: IS und Nusra-Front: Konkurrenz unter Rebellen
Im syrischen Bürgerkrieg verlieren gemäßigte Kräfte gegen extremistische Milizen immer weiter an Boden. Dabei geht es auch um wirtschaftliche Interessen der diversen Gruppen – und um viel Geld.
Während die internationale Gemeinschaft gebannt auf die Schlacht zwischen kurdischen Verbänden und dem „Islamischen Staat“ (IS) um die nordsyrische Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei blickt, baut eine weitere extreme islamistische Gruppe in der Nähe eines anderen Übergangs zur Türkei ihren Einfluss aus. Die zu Al Kaida gehörende Nusra-Front hat in den vergangenen Tagen in der Region Idlib nahe der türkischen Grenzprovinz Hatay die Truppen der vom Westen unterstützten „Freien Syrischen Armee“ (FSA) zurückgedrängt.
Als Reaktion auf den Vormarsch griff die US-geführte Allianz in Syrien und im Irak die Nusra-Extremisten in Idlib aus der Luft aus an. Dabei starben mehrere Kämpfer, aber auch vier Kinder, wie Menschenrechtler in Syrien mitteilten.
Auch in Kobane gingen die Gefechte weiter. Einheiten der syrisch-kurdischen Partei PYD sowie der zur Hilf geeilten Peschmerga aus dem Nordirak lieferten sich heftige Auseinandersetzungen mit IS-Trupps im Osten, Süden und Westen der belagerten Stadt.
Die Nusra-Front und der IS folgen ähnlichen ideologischen Vorgaben einer extrem-sunnitischen Auslegung des Islam, sind im syrischen Bürgerkrieg aber bittere Rivalen. Der IS hatte in islamistischen Kreisen in den vergangenen Monaten mit seinem Eroberungsfeldzuges im Irak und in Syrien gepunktet. Nun versucht die Nusra-Front, ihren Einfluss im Nordwesten Syriens auszubauen.
Al Nusra und IS streiten sich um Gewinne aus Öleinnahmen
Nach den jüngsten Geländegewinnen gegen die FSA in Idlib zieht die Nusra-Front seit Tagen ihre Kämpfer in der Nähe des Grenzübergangs Bab al-Hawa zusammen. Der Übergang wird bisher von der Islamischen Front beherrscht, einer von Saudi-Arabien unterstützten Gruppierung, die weniger extrem ist als Nusra und der IS. Einige Beobachter bezweifeln, dass die Nusra-Einheiten versuchen werden, den Grenzübergang einzunehmen, da sich die Gruppe damit neue Feinde schaffen würde. In türkischen Medienberichten wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die Nusra-Front bisher keinen einzigen Grenzübergang beherrscht. Die Übergänge zum Nachbarland Türkei sind für alle Rebellengruppen wichtig. Über Bab al-Hawa etwa werden pro-westliche Gruppen in Syrien laut Medienberichten mit Nachschub versorgt. Eine Einnahme durch die Nusra-Front könnte diesen Korridor schließen. Bedeutsam sind die Grenzübergänge für die miteinander konkurrierenden Milizen aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Nach Angaben des türkischen Exporteur-Verbandes TIM schickte die Türkei in den ersten zehn Monaten des Jahres ganz offiziell Güter im Wert von 1,2 Milliarden Dollar ins Bürgerkriegsland Syrien. Darin sind die inoffiziellen Waffenlieferungen für Rebellengruppen nicht eingerechnet. Da die syrische Regierung nur noch wenige Übergänge kontrolliert, kann eine Miliz, die einen Übergang beherrscht, dort Einfuhrzölle erheben. Dabei geht es um viel Geld. Allein in Bab al-Hawa kamen seit Januar türkische Importe im Wert von mehr als 260 Millionen Dollar an. Die Nachrichtenagentur Bloomberg zitierte einen türkischen Spediteur mit den Worten, er schicke jeden Tag vier bis fünf Lastwagenladungen der Koffeinbrause Red Bull nach Syrien. Auch Haushaltswaren und Motorräder gehen über die Grenze.
Ein Ende der extremistischen Konkurrenz ist nicht abzusehen
Neben den Einnahmen aus dem Grenzhandel bildet der illegale Verkauf von Öl und Gas eine wichtige Geldquelle für die Rebellen. Die US-geführte Allianz hat mehrere Einrichtungen für die Ölförderung im Machtbereich der Dschihadisten angegriffen, um dem IS den Geldhahn abzudrehen. Doch die Miliz versucht, diese Rückschläge durch neue Eroberungen auszugleichen. In den vergangenen Tagen wollen die Extremisten zwei Erdgasfelder in Syrien eingenommen haben. Ein Ende der extremistischen Konkurrenz ist nicht abzusehen: Der US-Journalist Theo Padnos, der zwei Jahre lang von der Nusra-Front gefangen gehalten wurde, bezeichnete den Zank um Öl-Gewinne im „New York Times Magazine“ als die eigentliche Wurzel des Zwists zwischen Nusra und IS. Nach dreieinhalb Jahren Krieg mit fast 200.000 Toten streiten sich in Syrien die Extremisten um die Pfründe.