Kampf gegen Netz-Hass: Internet-Nutzer müssen selbst wissen, was Gift und was genießbar ist
Die Politik erwägt, soziale Netzwerke an die Kandare zu nehmen. Man kann das machen - aber sie wären nicht mehr, was sie sind. Ein Kommentar.
Der ganz reale Horror der Gruselclowns wirft ein Schlaglicht darauf, welche Nebenfolgen der Fortschritt des mediatisierten Netzbürgertums hat: Alles kann ratzfatz zum exportierten Globalhype werden, neben Katzenbildern und Eiswasser-Späßen eben auch Angst, Terror, Hass und Kriminalität. Man wird sich damit abfinden müssen, dass Isolierte in ihrer gefilterten Wahrnehmung auf dumme Gedanken kommen oder, schlimmer, zu irren Taten schreiten. Es gab sie immer. Nur werden sie heute durch neue Medienkräfte beflügelt, Grenzen zu überwinden. Kostümierte Erschrecker mit Hämmern in der Hand sind in dieser Hinsicht noch die vergleichsweise harmlose Variante gegenüber islamisierten Jungmännern, die in Radikalen-Videos eine Offenbarung sehen. Der Einzelne, der nichts war, wird in der selbst konfigurierten Netz-Gemeinschaft zur unbesiegbaren Masse.
Unterhalb solcher wohl kaum vermeidbarer Exzesse aber, in den Foren von Facebook und Co., in denen sich im Schutz der Meinungsfreiheit Schmutz und Hetze sammeln, sucht die Politik nach neuen Schaltern, um Dunkeldeutschland aufzuhellen. Kanzlerin Angela Merkel deutete es an, als sie bei den Münchner Medientagen davon sprach, dass die Algorithmen der Plattformen künftig transparent sein sollten. Nun legt Justizminister Heiko Maas nach. Die sozialen Netzwerke, sagt er, könnten ihr Privileg verlieren und der derzeit neu auszuhandelnden EU-Medienrichtlinie unterworfen werden, die bisher nur die Inhalte-Anbieter in Fernsehen, Rundfunk oder Internet erfasst.
Man kann diese Äußerungen in zwei Richtungen interpretieren, als Dokumente der Hilflosigkeit oder als Willen zu revolutionären politischen Taten. Hilflos wirkt es, weil den Arrangeuren von Öffentlichkeit, zu denen Facebook zählt, letztlich überlassen bleiben muss, mit welchen Mitteln sie Öffentlichkeit arrangieren. Ob es Menschen oder Maschinen sind, Bauchgefühle oder Programme, kann dabei keine Rolle spielen. Wie Medien ihre Botschaften wählen und gestalten, ist Teil ihrer geschützten Freiheit, als Unternehmen oder als Presseorgan. In die offene Kommunikation ein Kontrollregime einzuziehen wie etwa beim Verbraucherschutz, würde staatliche Lenkungsbefugnisse überdehnen. Was Gift ist und was genießbar, muss und kann ein mündiger Konsument selbst entscheiden.
Ähnliches gilt für die Idee, die virtuellen Marktplätze mittels EU-Recht zu Publikationsmedien umzuwidmen, mit straff organisierter inhaltlicher Verantwortung und entsprechenden Möglichkeiten, Verfehlungen zu ahnden. Denkbar wäre das und gewiss auch effektiv. Doch der virtuelle Sozialraum verlöre seinen Charakter. Statt einander unverstellt zu begegnen, würde man sich gegenseitig redaktionell zugelassene Leserbriefe schreiben. Eine erwünschte Zähmung zwar, aber auch eine Verarmung.
Fest steht allerdings auch: Was Facebook zurzeit alles ermöglicht, ist auf Dauer nicht zu tolerieren. Zeigen die zahlreicher werdenden Urteile, etwa wegen Volksverhetzung oder des Aufrufs zu Straftaten, keine Wirkung, dürfen sich Staatsanwälte ermuntert fühlen, die strafrechtliche Verantwortung der Netzwerk-Zuständigen in Deutschland genauer und etwas mutiger als bisher zu prüfen. Womöglich reicht die Drohung mit bestehendem Recht. Die Regeln, über die Maas und Merkel sinnieren, sind revolutionär – und riskant. Sie sollten ein letztes Mittel sein.
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