Wladimir Putin: In Russland obenauf, in Deutschland unten durch
Der doppelte Putin: Im Zuge des Ukrainekriegs wächst die Popularität des Staatschefs auf ein Rekordhoch. Hier bei uns sinkt das Vertrauen zu einem Land auf ein Rekordtief. Die Wahrnehmung der Lage ist so unterschiedlich, dass ein Ausweg aus dem Konflikt immer schwerer wird. Ein Kommentar
Die Kluft in der Wahrnehmung wächst. In Russland steigt Wladimir Putins Ansehen auf 86 Prozent Zustimmung, trotz Rubelverfall und Wirtschaftskrise. In Deutschland sinkt das Vertrauen in ihn und sein Land auf ein Rekordtief: Nur 15 Prozent der Deutschen meinen laut Deutschlandtrend, dass Russland ein vertrauenswürdiger Partner sei; über 80 Prozent verneinen das. 83 Prozent werfen Putins Regierung vor, demokratische Grundrechte zu missachten. Das Misstrauen drückt sich auch in den geringen Erwartungen an das Minsker Abkommen zur Befriedung der Ostukraine aus. Nur 13 Prozent glauben, dass es hält.
Diese enorme Diskrepanz erklärt sich daraus, was Deutsche und Russen wahrnehmen und was davon ihnen relevant erscheint. Das deutsche Russlandbild wird seit zwölf Monaten vom Krieg in der Ukraine dominiert. Seit Jahren bewegte sich das Vertrauen zu Russland im leichten Sinkflug, seit dem Angriff auf die Krim vor einem Jahr und dem Ausbruch der Kämpfe in der Ostukraine ging es rapide nach unten. Die Furcht vor einem neuen kalten Krieg wächst. Die Zustimmung der Deutschen zu Wirtschaftssanktionen und Strafmaßnahmen gegen Entscheider in Moskau nimmt zu. Weitergehende Reaktionen, gar militärische, lehnt die große Mehrheit ab.
Nationalstolz ist wichtiger als der Geldbeutel
Erklärungsbedürftiger ist das Popularitätshoch Putins inmitten einer sich verschärfenden Krise. Die Währung bricht ein, Preise und Mieten steigen, Banken sind gefährdet, Geschäfte schließen. „It’s the economy, stupid!“ Gilt der Satz, der Bill Clinton den Wahlsieg schenkte, in Russland nicht? Jedenfalls nicht mit einer ähnlichen Durchschlagskraft wie in westlichen Demokratien. Putins Politik und Öffentlichkeitsstrategie ist zudem darauf ausgerichtet, dieses Risiko zu minimieren. Er subventioniert öffentliche Dienstleistungen, auch wenn die Devisenreserven dadurch schneller schmelzen. Er spricht fast nie über ökonomische Themen – und wenn, dann nur im Sinne vorübergehender Probleme, die man bald überwinden werde. Er stellt Russlands Bedeutung, sportliche Erfolge und historische Größe in den Vordergrund. Der Krieg gehört ebenso wenig zu dieser Selbstdarstellung wie die Frage der Wirtschaftskraft. Offiziell ist Russland am Ukrainekonflikt nicht beteiligt, schickt weder Soldaten noch Waffen; die Gefallenen werden verheimlicht. Der Mord am Oppositionellen Boris Nemzow hat Westeuropa schockiert. In Russland bewegt er nur eine Minderheit.
Bei so unterschiedlicher Wahrnehmung der Lage schwinden die Anknüpfungspunkte für eine Wiederannäherung. Der Konflikt droht Eigendynamiken zu entwickeln, die Diplomatie immer schwerer stoppen kann.