Islam und Terror: In Israel gibt es keinen Krieg der Religionen
In Israel gibt es viel Terror und viele Muslime. Aber eines gibt es nicht: Islamophobie. Von der Weisheit dahinter sollten Europas Rechtspopulisten lernen. Ein Kommentar.
Ist das nicht erstaunlich? Kein Land der freien Welt hat stärker unter Terroranschlägen gelitten als Israel. In keinem Land der freien Welt ist der Anteil muslimischer Araber an der Bevölkerung höher als in Israel. Doch eines gibt es gar nicht in Israel – Islamophobie. Keine öffentliche Debatte über Wert und Unwert des Islam. Keine Feuilleton-Exegesen über Koran-Suren, aus denen sich angeblich eine besondere Gewaltaffinität ableitet. Keine Leitartikler, die meinen, „das Desaster dieser Religion“ müsse überwunden werden, wie soeben in der „Welt“ zu lesen war. Keine Verbotsinitiativen von Kopftuch, Beschneidung, Schächten, Minarett- oder Moscheebauten. Alles das, was in Deutschland und Europa so gern zum Thema gemacht wird, fehlt in Israel. Ausgerechnet in Israel.
Rund zwanzig Prozent der israelischen Staatsbürger sind Araber, die allermeisten davon sunnitische Muslime. Es gibt arabische Parteien, arabische Abgeordnete in der Knesset, arabische Richter am Obersten Gericht, arabische Botschafter im Diplomatischen Korps, arabische Generäle in den israelischen Streitkräften. Den Gesetzen nach sind arabische Israelis den jüdischen Israelis gleichgestellt. Arabisch ist neben dem neuhebräischen Ivrit die zweite offizielle Sprache des Landes.
Dabei ist das Verhältnis kompliziert. Der Begriff „Parallelgesellschaft“ trifft hier durchaus zu. Viele arabische Israelis sehen sich als Bürger zweiter Klasse, fühlen sich ausgeschlossen vom Selbstverständnis Israels als jüdischem Staat, beklagen Diskriminierungen. „Mein Staat ist im Krieg mit meinem Volk“, sagte einmal ein arabischer Parlamentarier.
Ein erheblicher Teil der arabischen Israelis leugnet das Existenzrecht Israels sowie den Holocaust. Viele haben verwandtschaftliche Beziehungen zum Westjordanland, zum Gazastreifen, zu palästinensischen Flüchtlingen in Jordanien, Syrien und dem Libanon. Viele haben die Erste Intifada unterstützt und sich mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten solidarisiert. Zahlreiche Araber aus Israel und Ostjerusalem waren an Terroraktivitäten von Hamas und Hisbollah beteiligt.
Vor knapp zwei Jahren wurde ein Anschlag auf eine Synagoge in Jerusalem verübt
Auf der anderen Seite schüren Israelis, wenn sie vor einer „demographischen Zeitbombe“ und einer „fünften Kolonne“ warnen oder – wie Avigdor Lieberman von der Partei „Israel Beteinu“ – über Transfer-Pläne sinnieren, das Misstrauen gegenüber arabischen Israelis. Klar rassistische und antiarabische Parolen bleiben indes auf kleine extremistische Gruppen wie die Kach-Bewegung und deren Ableger beschränkt. Der rechtsradikale Siedler Baruch Goldstein, der 1994 in der Abraham-Moschee in Hebron 29 Muslime ermordete, ist ein Einzelfall.
Auch in Israel, wie jetzt in Frankreich, haben islamistische Terroristen versucht, aus dem Kampf der Kulturen einen Krieg der Religionen zu machen. Vor knapp zwei Jahren wurde ein Anschlag auf eine Synagoge im Herzen von Westjerusalem verübt. Mit Messern, Äxten und Pistolen töteten die Angreifer vier Betende und verletzten acht weitere. Doch die israelische Gesellschaft ist immun gegen die religiöse Aufladung des Konflikts. Sie weigert sich, das endzeitlich geprägte Bild ihrer Widersacher zu übernehmen. Der Islam wird nicht zum Gegenstand der Kritik. Und nicht nur das: Sie bekämpft derartige Spaltungsversuche entschieden.
Ein Beispiel. Im Sommer 1997 hängte Tatjana Suskin, eine 26-jährige Künstlerin, die aus Russland eingewandert war und der Kach-Bewegung nahe stand, in der überwiegend palästinensischen Stadt Hebron Plakate auf, die den Propheten Mohammed als Schwein mit einer Kefiah zeigten, der auf dem Koran herumtrampelt. Es kam zu Ausschreitungen und einem Prozess. Tatjana Suskin wurde zu zwei Jahren Haft und einem weiteren Jahr auf Bewährung verurteilt.
Denn in Israel weiß man: Wenn sich Minderheiten respektiert fühlen – vor allem auch in ihrem religiösen Identitätskern –, sind sie weniger anfällig für extremistische Überzeugungen. Diskriminierung und Radikalisierung dagegen verstärken sich oft gegenseitig. Ausgrenzung führt zur Abschottung, Abschottung in die Hände von Hasspredigern. „Man kann sich nur als das wehren, als was man angegriffen wird“, hat Hannah Arendt festgestellt. Wer in jedem Muslim wegen seiner Religion einen potenziellen Terroristen wittert, setzt genau diesen Kreislauf in Gang.
Alle rechtspopulistischen Israel-Begeisterten in Europa, rund um Frauke Petry, Heinz-Christian Strache und Geert Wilders, sollten darüber einmal nachdenken. Manchmal hilft das.