Wahlen: In der Ukraine siegen proeuropäische Kräfte
Bei der Parlamentsneuwahl in der Ukraine haben die proeuropäischen Kräfte um Präsident Petro Poroschenko Prognosen zufolge einen klaren Sieg errungen.
Bei der Parlamentswahl in der Ukraine haben die prowestlichen Parteien am Sonntag laut Nachwahlbefragungen deutlich gesiegt. Der Block des proeuropäischen Präsidenten Petro Poroschenko erhielt den Befragungen zufolge 23 Prozent der Stimmen, die nationalistische Volksfront von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk kam demnach auf 21 Prozent. Jatsenjuk dürfte damit seinen Posten gerettet haben und die alte Regierung im großen und ganzen weiterregieren. Unklar blieb am Sonntagabend, ob die beiden Parteien die absolute Mehrheit der Sitze erringen konnte.
Einen Achtungserfolg erzielte mit 11-14 Prozent die ebenso pro-europäische Parteineugründung „Selbsthilfe“ des Lemberger Bürgermeisters Andrej Sadowij, auf deren Liste fast ausschließlich junge, unverbrauchte Kräfte wie der Maidan- und Antikorruptionsaktivist Jegor Sobolew kandidierten. Ebenso deutlich besser als erwartet abgeschnitten haben jedoch auch die alten Kräfte rund um den nach Russland geflüchteten Ex-Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch. Dessen vor allem in der Ostukraine verwurzeltes Auffangbecken „Oppositionsbündnis“ kam auf 7,5 – 10 Prozent. Zittern muss dagegen Julia Timoschenkos „Vaterlandspartei“, die mit 4-6 Prozent nur die Hälfte der ihr vorhergesagten Stimmen erreichen konnte.
Im umkämpften Osten des Landes durfte nicht gewählt werden
In den von den Separatisten kontrollierten Gebieten des Donbass, darunter den Großstädten Donezk und Lugansk, sowie auf der von Russland im Frühling annektierten Halbinsel Krim konnten die Wahlen nicht stattfinden. Etwa jeder zehnte Wahlberechtigte war damit von der vorgezogenen Parlamentswahl ausgeschlossen. Die selbst ausgerufenen „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk wollen am kommenden Sonntag eigene Wahlen abhalten.
„Ich habe für den Frieden gestimmt“, sagt Elena, eine junge Frau im Rollstuhl vor dem Wahllokal 217 in Kiew. Frieden in der Ostukraine soll für sie die Partei „Starke Ukraine“ des einstigen Wahlkampfchefs des Ex-Präsidenten Wiktor Janukowitsch bringen. Elena hofft, dass „Starke Ukraine“ in die Regierungskoalition aufgenommen wird. Möglich ist dank der landesweit 199 Direktkandidaten auch eine absolute Mehrheit für Poroschenkos Wahlblock. Bisher war es in der Ukraine üblich, nach der Wahl Mehrheiten durch den Kauf von „unabhängigen“ Direktkandidaten zu zimmern.
Im Stadtteil Obolon stehen die beiden aussichtsreichsten Direktkandidaten für das Dilemma des ganzen Landes. Der 32-jährige Immobilienmagnat Wadim Stolar mit seinem Vermögen unklaren Ursprungs steht dem 35-jährigen Kommandanten des in der Frontstadt Mariupol stationierten Freiwilligenbataillons „Azow“, Andrej Biletskij, gegenüber. Stolar gibt sich in seinem Wahlprogramm betont sozial, der Kriegsheld Biletskij hat nur sechs Worte nötig: „Starke Nation – saubere Regierung – mächtiger Staat“. Oleh und Taras haben ihre Stimme dem Frontkommandanten gegeben. „Diese Wahl war sonnenklar“, sagt Taras. Doch bei der Parteiliste sind sich die beiden Freunde nicht einig. Taras wählte die „Volksfront“ des heutigen Premierministers Arsenij Jatsenjuk.
Trotz des Krieges in der Ostukraine sei die Stimmung alles andere als aufgeheizt, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, die als Wahlbeobachterin für den Europarat in der Nähe von Kiew unterwegs war. „Die Bevölkerung ist politisch reif und sehr engagiert.“ Am Wahltag hätten die Beobachter keine Unregelmäßigkeiten festgestellt. „Was wir in der kurzen Zeit vor Ort allerdings nicht sehen können, ist beispielsweise, ob Oligarchen Leute auf die Listen gesetzt oder ob Direktkandidaten Stimmen gekauft haben“, sagte Beck. Entsprechende Bericht hatte es im Vorfeld der Wahlen gegeben. Der Berliner Europaabgeordnete Joachim Zeller (CDU) war als Wahlbeobachter in den Dörfern östlich der Stadt Dnipropetrowsk unterwegs. Die Gruppe fuhr bis nach Slowjanka an der Grenze zum Bezirk Donezk. Dort sei alles friedlich geblieben, berichtete Zeller am Sonntag. „Befürchtungen, dass es in dieser Region zu Spannungen kommen könnte, haben sich nicht bestätigt.“ Über die Stimmung am Wahltag sagte er, es herrsche offenbar „das Prinzip Hoffnung“. (mit cvs)