Die NSA-Affäre und die Politik: Im Trüben fischen
Es wird wohl einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre geben – doch ob man mit dem wirklich weiterkommt, ist nicht gewiss. Wie verhält sich die deutsche Politik?
Eines zumindest scheint nun klar zu sein: Der Bundestag wird wohl einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhöraffäre einsetzen. Doch das meiste in der Abhöraffäre um Angela Merkels Handy liegt weiterhin im Nebel. Das hängt vielleicht mit dem Wesen dieses Vorgangs zusammen, bei dem Geheimdienste, Diplomaten und sensible nationale Interessen diesseits und jenseits des Atlantiks eine zentrale Rolle spielen. Auf manche Fragen wird es vermutlich nie Antworten geben.
Wieso wollen plötzlich alle einen Untersuchungsausschuss?
Die Forderung kommt ursprünglich von der Spitze der Linken, die Grünen haben sie aufgegriffen. In der SPD, vor allem aber in der Union ist die Begeisterung für ein solches Gremium eigentlich gering. Trotzdem haben beide großen Fraktionen inzwischen versprochen, den Wunsch der Opposition ebenso zu unterstützen wie deren Forderung nach einer Sondersitzung des Bundestages. Das hat wenig mit Überzeugung zu tun, dafür umso mehr mit schlechtem Gewissen: Seit die künftigen Koalitionäre sich einander einen zusätzlichen Posten im Bundestagspräsidium zugeschanzt haben, wollen sie sich nicht gleich wieder dem Vorwurf aussetzen, die Rechte der Mini-Opposition zu missachten.
Was der Ausschuss untersuchen soll, ist aber weiter unklar. Niemand glaubt im Ernst, dass sich irgend ein US-Regierungsvertreter herbeizitieren lässt. Der Ex-NSA-Experte Edward Snowden hat es aus Sorge um seine eigene Sicherheit schon in anderen Fällen abgelehnt, als Zeuge zur Verfügung zu stehen. Deshalb ist nicht ganz klar, wie weit der frühere „Guardian“-Reporter Glenn Greenwald für Snowden spricht, wenn er in einem „Tagesschau“-Interview Schutz für den Whistleblower in Deutschland fordert.
So bleiben als Auftrag vorerst nur deutsche Neben-Geschichten: Fragen nach der eigenen Spionageabwehr etwa oder der Tätig- respektive Untätigkeit der Regierung. Aber auch darüber lässt sich immer dann, wenn es interessant wird, absehbar nur im Geheimen diskutieren.
Wie geht die Bundesregierung weiter mit dem Lauschangriff um?
Nach der ersten öffentlichen Empörung wirken alle etwas ratlos. Regierungssprecher Steffen Seibert verweist auf die Expertengruppe aus ranghohen Mitarbeitern des Kanzleramts und den Präsidenten von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz, die diese Woche in Washington weitere Aufklärung suchen soll. Auch sonst prüfe die Regierung „mit voller Kraft“ alle Vorwürfe. Das klingt markiger als es ist. Letztlich wissen nur die Amerikaner selbst, was ihr Geheimdienst abgehört hat; deutsche Experten können allenfalls Indizien sammeln. Immerhin reagiert die sonst so zugeknöpfte US-Seite allmählich auf die Empörung, die über den Atlantik schwappt. Einen deutschen Zeitungsbericht, dass Präsident Barack Obama seit 2010 von der Überwachung Merkels gewusst habe, weist die NSA als falsch zurück. Zugleich räumen anonyme Regierungsvertreter gegenüber dem „Wall Street Journal“ ein, dass diese Überwachung stattgefunden habe – Obama habe davon aber erst in diesem Sommer erfahren, als er eine Überprüfung der ausufernden Tätigkeit seines Geheimdiensts angeordnet habe, und die Aktion von da an gestoppt.
Das einzige Druckmittel, über das auch im Kanzleramt nachgedacht wird, könnte das Swift-Abkommen zwischen den USA und der EU bieten. Es gestattet den US-Behörden unter dem Rubrum „Terrorabwehr“ den Zugriff auf Bankdaten bei allen Geschäften, die EU-Bürger mit Drittstaaten tätigen. „Bei Swift kann man noch am ehesten die Drohkulissen aufbauen“, sagt ein Regierungsvertreter. Allerdings, gibt er zu bedenken: Von Terrorwarnungen aus den USA hätten auch die Europäer schon öfter profitiert.
Welche Auswirkungen hat die Affäre auf die Koalitionsverhandlungen?
Sie macht zumindest jene Verhandlungsgruppe, die den Namen „Innen und Justiz“ trägt interessanter. Denn die NSA-Affäre berührt viele inhaltliche Fragen: Sicherheitsarchitektur, Datenschutz, Terrorabwehr. Allerdings dürften die Gegensätze zwischen Union und SPD in diesen Fragen gar nicht so groß sein. Beide Seiten wollen dem Datenschutz vor allem auf europäischer Ebene mehr Gewicht verleihen. Ein „No spy“-Abkommen wollen auch beide, wenngleich vor allem die Sozialdemokraten darauf drängen, dass es nicht nur ein Abkommen auf Ebene der Geheimdienste wird, sondern ein Regierungsabkommen mit Sanktionsregeln. Etwas knirschen könnte es auch beim Thema Spionageabwehr. Dort steht der Verfassungsschutz in der Kritik. Auch eine Reform der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste streben die Sozialdemokraten an.
Dass es gerade im Zuge der rechten NSU-Terrorserie weitere Reformen bei den Sicherheitsbehörden geben muss, wissen beide Seiten. Unüberbrückbare Gegensätze gibt es dabei nicht. Spannender dürfte die Frage sein, wie die beiden Vorsitzenden – Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann – miteinander klar kommen. Oppermann ging auch Friedrich im Sommer scharf an, allerdings nie so, dass es zu ganz schweren Zerwürfnissen gekommen wäre. Dennoch werden auch Oppermann Ambitionen nachgesagt, selbst Innenminister werden zu wollen. Am Ende werden einige der großen Fragen wohl auf der Ebene der Parteichefs landen.
Verändert Merkel ihr Verhalten am Telefon?
So weit man das sagen kann – nein. Das Innenministerium wies am Montag einen Bericht zurück, dass dort an einem neuen, schärferen Erlass für den Umgang mit Handys und dergleichen gearbeitet werde. Tatsächlich wäre der auch gar nicht nötig. Der geltende Erlass ist eindeutig: Wer Zugang zu vertraulichen Informationen hat, darf keine ungesicherten Gerätschaften nutzen. Eigentlich. Nur – wer will einer Kanzlerin oder einem Minister vorschreiben, womit sie zu telefonieren haben? „Staatspolitisch wichtige Gespräche“, versichert Seibert erneut, führe Angela Merkel nur über abgesicherte Festnetz-Leitungen. Bei allen anderen Anrufen steht die Kanzlerin vor einem technischen Dilemma: Auch die neuesten Verschlüsselungen funktionieren nur dann, wenn Sender und Empfänger die gleiche Technik benutzen. Merkels reger SMS-Verkehr mit Parteifreunden bleibt also weiter abhörbar. Technische Gegenmittel sind vorerst nicht in Sicht; Bastlerlösungen wie ein Störsender im Regierungsviertel hätten die peinliche Nebenfolge, dass dann in Berlin-Mitte gar keiner mehr mobil telefonieren könnte. So bleibt nur der politisch-diplomatische Weg – und ansonsten, wie es einer aus der Regierungsspitze ausdrückt, „nicht in Paranoia zu verfallen“. Wenn die NSA wirklich wissen wolle, wie die CDU-Chefin Merkel vorwitzige Vorständler zurückpfeife – „na dann wissen sie das halt!“
Wie reagiert die US-Botschaft in Berlin?
Auch am Montag wollte sich die US-Botschaft nicht zu dem Vorwurf äußern, vom Gelände ihrer Vertretung am Pariser Platz aus werde spioniert. Botschaftssprecher Peter Claussen versuchte es mit allgemein besänftigenden Worten. Die Amerikaner nähmen die Sorgen der Partner ernst und wüssten, dass viele Menschen verärgert seien, sagte er dem Tagesspiegel. Die jüngsten Ereignisse nannte er „wichtige Herausforderungen“ für das Verhältnis zu einigen engsten Partnern. Gleichzeitig war Claussen bemüht den Eindruck zu erwecken, das Vorgehen der NSA und anderer Dienste sei völlig normal: Die USA hätten „klargestellt, dass sie nachrichtendienstliche Erkenntnisse gesammelt haben wie alle anderen Staaten dies tun, einschließlich Deutschland“. Wie die Bundesrepublik hätten im Übrigen auch die USA Antispionage-Gesetze. Die in Rede stehenden Daten würden zum Schutz der eigenen Bevölkerung wie der Alliierten gesammelt, und diese Erkenntnisse trügen viel zur Sicherheit Europas bei. Er wies auch noch einmal darauf hin, dass die Dienste aufgefordert worden seien, „so viel wie möglich“ von ihren Erkenntnissen freizugeben.
Robert Birnbaum, Ingrid Müller, Christian Tretbar