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Schwein gehabt, ein Synonym fürs Glück
© Uwe Anspach, picture alliance / dpa

Trump, Macron, Brexit und die Deutschen: Im Land der Glücklichen

Ist das nicht schön? Deutschland ist eine repräsentative Demokratie, hier werden Parteien gewählt, es gibt kaum Polarisierung, dafür aber den Zwang zum Kompromiss. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wenn es Menschen zu gut geht, bekommen sie manchmal Angst. „Mir grauet vor der Götter Neide, des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil“, dichtet Friedrich Schiller im „Ring des Polykrates“. Fortuna ist wankelmütig. Die Göttin des Glückes will nicht gereizt werden.

Wer als Deutscher am Sonntag die Wahlen in Frankreich und Schleswig-Holstein verfolgte, den Brexit und Donald Trump im Kopf hatte und sich an die hypernervöse Stimmung während der Flüchtlingskrise erinnerte, der konnte sich einen Moment lang entspannt zurücklehnen und in sich hineinmurmeln: Ach, wie gut wir es doch haben. Mal gewinnt die CDU, mal die SPD, mal regieren die Grünen mit, dann wieder die FDP. Politische Eruptionen sind praktisch ausgeschlossen. Das Parteiensystem fächert sich zwar immer mehr auf, ist aber wegen der Fünf-Prozent-Hürde recht stabil.

Hinzu kommt: Der Zwang zu Koalitionen stärkt die Kompromissfähigkeit und den Pragmatismus. In den USA gilt: The winner takes it all. Das führt dazu, dass sich oft eine knappe Hälfte der Bevölkerung durch den jeweils amtierenden Präsidenten nicht repräsentiert fühlt. In Deutschland dagegen fühlt sich meist eine große Mehrheit zumindest ein bisschen repräsentiert. Wirklich polarisiert ist das Wahlvolk fast nie.

Welches Mandat folgt aus der Wahl eines kleineren Übels?

Außerdem werden in Deutschland Parteien gewählt, keine Personen. Durchmärsche charismatischer Außenseiter des Systems, ob Donald Trump oder Emmanuel Macron, sind praktisch ausgeschlossen. Ganz ohne politische Erfahrung und ohne Rückhalt durch ein verfasstes Kollektiv geht es nicht. Ein wichtiger Faktor der Trump-Wahl könnte die Anti-Clinton-Motivation gewesen sein. Ein wichtiger Faktor der Macron-Wahl könnte die Anti-Le-Pen-Motivation gewesen sein. Aber welches politische Mandat folgt aus der Wahl eines kleineren Übels?

Glücklich schätzen dürfen sich Deutsche auch für ihre repräsentative Demokratie. Volksabstimmungen wie beim Brexit können die politische Willensbildung befördern, die Debatten beleben. Aber die Nachteile von direktdemokratischen Entscheidungsprozessen wiegen schwer. Umfragen zufolge hat es in Deutschland zu bestimmten Zeiten Mehrheiten gegeben für die Todesstrafe, die Thesen von Thilo Sarrazin, ein Beschneidungsverbot, die kommerzielle Sterbehilfe, gegen die Westbindung, die Ostpolitik, die Nachrüstung. Zum Wohle des Landes haben sich diese Mehrheiten nicht unmittelbar ausgewirkt. Plebiszite verstärken die Macht von Aktivisten und Populisten. Womöglich wäre heute eine Mehrheit der Briten für den Verbleib in der EU. Aber ein zweites Referendum zur Korrektur des ersten wäre lächerlich.

Keine Neuverschuldung, kaum Arbeitslosigkeit, gute Exporte, stabile politische Verhältnisse: Müssen die Deutschen, wie einst Polykrates, bald ihren Lieblingsring in die Fluten schmeißen? Nein. Zum Glück sind viele Flüchtlinge noch nicht integriert, der Euro nicht gerettet, die digitale Revolution nicht gemeistert, dafür zerbröselt die Infrastruktur, Trump, Brexit, Erdogan und Putin bleiben unberechenbar, und die Pisa-Studien lassen auch noch Luft nach oben. Es gibt genug zu tun. Es geht uns gut, aber nicht zu gut.

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