Streit um Transitzonen an deutschen Grenzen: Im Kanzleramt schwappten die Emotionen hoch
Beim Treffen der Innenminister mit der Kanzlerin wurde "Dampf abgelassen" - und über Transitzonen an deutschen Grenzen diskutiert. Die aber werden mit der SPD kaum zu machen sein, wie Justizminister Maas deutlich machte.
Der Auftakt war emotional. Kaum hatten sich die Innenminister am Sonntagabend um 19 Uhr mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammengesetzt, fühlten sich beide Seiten provoziert. Die Minister der Länder, allen voran Ralf Jäger (SPD) aus Nordrhein-Westfalen, hätten der Kanzlerin vorgehalten, die Flüchtlingszahlen hätten sich seit dem 5. September vervierfacht, heißt es am Montag im Umfeld der Teilnehmer des Treffens.
An jenem Septembertag hatte Merkel das Dublin-Abkommen ausgesetzt, fortan nahm der Zustrom von Asylbewerbern nochmal deutlich zu. Doch die Kanzlerin habe in der Runde bestritten, dass ihre Entscheidung ausschlaggebend war. Es habe auch andere Gründe gegeben. Das war den Ministern zu viel. „Da wurde Dampf abgelassen“, ist am Montag zu hören. Die Minister hielten Merkel die seit Anfang September rasant gestiegenen Zahlen vor. Wie Teilnehmer berichten, wurde Merkel zu Beginn der Sitzung vorgeworfen, dass der Bund zu wenig getan habe, um mit der großen Zahl an Flüchtlingen umzugehen. "Die haben nichts getan", sagt ein an den Gesprächen Beteiligter Innenminister. Vor allem habe der Bund sein Versprechen, die Kapazitäten für die Erstaufnahme zu erhöhen, noch nicht erfüllt.
Die Kanzlerin reagierte gereizt. Sie musste sich anhören, dass die Länder, die Stadtstaaten noch mehr als die Flächenstaaten, „auf dem Zahnfleisch gehen“. Die Flächenländer hätten immerhin noch Areale, „um auf der grünen Wiese Zelte aufzubauen“.
Die Minister hätten der Kanzlerin auch eindringlich die prekäre Lage bei Polizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Rotem Kreuz und weiteren Hilfsorganisationen geschildert: „Die können auch nicht mehr.“ Doch dann hätten sich die Gemüter wieder beruhigt, heißt es. Merkel habe ihre Meinung zum Thema 5. September abgeschwächt. Die Kanzlerin habe „sich gefangen, die Minister haben sich gefangen“.
Mäßigend wirkten offenbar die weiteren prominenten Teilnehmer des Krisengipfels im Kanzleramt. Merkel hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und den neuen Chef des Bundesamtes für Migration, Frank-Jürgen Weise, hinzugezogen.
Die Runde näherte sich dann auch einem Thema, das in der Debatte um die Bewältigung des Zustroms eine zunehmend wichtige Rolle spielen dürfte. Die Länderminister der Union sprachen sich für die Einrichtung grenznaher Transitzonen aus, die Kollegen der SPD sagten trotz ihrer Bedenken nicht prinzipiell nein. De Maizière habe auf eine EU-Richtlinie verwiesen, die Transitzonen vorsehe. Doch in Deutschland sei die Richtlinie noch nicht umgesetzt. Es werde nun versucht, „das auf der Ebene der Ministerpräsidentenkonferenz zu lösen“, ist zu hören. Konkrete Schritte wurden jedoch bei dem bis 23 Uhr dauernden Treffen nicht vereinbart.
NRW-Innenminister Jäger sagte nach der Runde, man wolle über die Einführung von Transitzonen im Gespräch bleiben. Sein Kollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), erklärte, eine Einführung solcher Zonen sei auf Ebene der Ministerpräsidenten zu regeln. Er sei zuversichtlich, dass es da zu einer Lösung komme.
Am Montag ließ dann CSU-Chef Horst Seehofer verlauten, zumindest CDU und CSU hätten sich darauf geeinigt, noch in dieser Woche ein konkretes Konzept für die Einrichtung von Transitzonen an den deutschen Grenzen vorzulegen. Er habe sich mit der Bundeskanzlerin darauf verständigt, sagte der bayerische Ministerpräsident in München vor der Vorstandsitzung seiner Partei. Ein konkretes Konzept solle noch in dieser Woche zwischen CDU, CSU, der bayerischen Landesregierung und der Bundesregierung erarbeitet werden. Auf die Frage, wie er die SPD-Zustimmung dafür gewinnen wolle, sagte Seehofer: „Das werden wir sehen. Wichtig ist, dass jetzt in einem wichtigen Punkt CDU und CSU übereinstimmen.“
„Es geht mir um schnelle Verfahren für Asylbewerber, deren Antrag offensichtlich unbegründet ist“, sagte Innenminister de Maizière der „Rheinischen Post“. „Dieses Verfahren sieht eine EU-Richtlinie ausdrücklich vor.“ Sie muss von Deutschland aber erst noch umgesetzt werden. Unklar ist angesichts der ungesicherten grünen Grenzen zu den Nachbarn Deutschlands unter anderem, wie gewährleistet werden könnte, dass ankommende Flüchtlinge Transitzonen nicht einfach umgehen. Der Haupt-Flüchtlingskoordinator, Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), hatte am Sonntag angekündigt, die Koalition werde in den nächsten Tagen über solche Zonen entscheiden.
Transitzonen gibt es bereits an großen Flughäfen. Dort werden Asylbewerber festgehalten, die aus einem als sicher eingestuften Herkunftsland kommen oder keine beziehungsweise gefälschte Ausweispapiere haben. Ihr Asylgesuch wird innerhalb weniger Tage bearbeitet.
Ralf Stegner skeptisch zu Transitzonen
SPD-Vize Ralf Stegner zeigte sich skeptisch. Dem Tagesspiegel sagte er: "Wenn mit den sogenannten Transitzonen neue Abschiebegefängnisse ohne individuelle Prüfverfahren an den Grenzen gemeint sind, ist das nicht mit unserem Grundrechtsverständnis vereinbar." Gehe es hingegen nur um schnellere Prüfverfahren und eine effizientere Verteilung der Flüchtlinge, stelle sich die Frage, wozu neue Transitzonen notwendig seien.
Sinnvoller sei es, für Verbesserungen in den zentralen Flüchtlingsaufnahmeeinrichtungen der Länder zu sorgen. Bei dieser Aufgabe versage Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) und das Bundesamt für Migration seit Monaten, kritisierte Stegner. "Statt ständig neue Vorschläge zu machen, die entweder unpraktikabel oder hinsichtlich ihrer Verfassungskonformität hochgradig zweifelhaft sind, sollten endlich die Vereinbarungen von Bund und Ländern konsequent umgesetzt werden", verlangte der SPD-Politiker.
Und auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ist für die Idee überhaupt nicht zu begeistern. Zwar sei eine schnellere Registrierung der Flüchtlinge "sicher notwendig", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Aber "Zehntausende Flüchtlinge an der Grenze in Haft zu nehmen, schafft mehr Probleme als es löst". Der Vorschlag der Union sei deshalb "praktisch undurchführbar". Eine Landesgrenze sei "schlicht kein Flughafen".
Wer Transitverfahren trotzdem einfach von Flughäfen auf Landesgrenzen übertragen wolle, schaffe "Massenlager im Niemandsland". Maas sagte, das wären "keine Transitzonen, sondern Haftzonen". Es wäre "ein fatales Signal", Menschen, die nach Deutschland kommen, "weil sie in ihrer Heimat vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, als erstes in Haft zu nehmen".
Auch bei den der SPD angehörenden Landes-Innenministern gibt es offenbar noch deutliche Vorbehalte. So sieht der Vorsitzende der Länder-Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), noch offene Fragen. „Ich bin skeptisch, ob Transitzonen überhaupt praktisch umsetzbar sind“, teilte der rheinland-pfälzische Ressortchef auf Anfrage in Mainz mit. „Es kommen zurzeit täglich rund 10 000 Flüchtlinge über die Grenze nach Deutschland.“ Sie alle müssten in den Zonen vernünftig untergebracht werden, und dort müssten rechtssichere Entscheidungen getroffen werden. Auch sein thüringischer Amtskollege Holger Poppenhäger (SPD) sagte, wie das für Flughäfen entwickelte Verfahren auf Zehntausende Flüchtlinge ausgedehnt werden könne, sei unklar. Poppenhäger sagte dem Hörfunksender MDR Info in Halle, der Bund müsse darlegen, wie diese „Masse von Menschen“ festgehalten werden solle, bis über ihre Schutzbedürftigkeit entschieden sei. „Es ist unklar, wie das praktikabel sein soll“, fügte der Minister hinzu.
Die Kanzlerin ist überzeugt, dass die CDU hinter ihr steht
Die Kanzlerin geht trotz der unionsinternen Kritik davon aus, dass die CDU weiter hinter ihr steht. „Ja, davon bin ich fest überzeugt“, sagte Merkel der „Bild“-Zeitung. „Dass es auch CDU-Mitglieder gibt, die sich damit schwertun, wundert mich nicht. Wir sind die große Volkspartei, in der es schon immer mehrere Strömungen gab.“ Sie müsse jedoch alle Strömungen vertreten. Eine Volkspartei wie die CDU halte solche Diskussionen aus. Von sinkenden Umfragewerten lasse sie sich auch nicht beeindrucken: „Umfragen sind nicht mein Maßstab“, sagte sie. „Mein Maßstab ist die Aufgabe, die ich als Bundeskanzlerin habe: die Probleme zu lösen. Und darauf konzentriere ich mich voll und ganz.“
Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kritisierte ihrerseits Seehofer. In der Flüchtlingskrise komme die Politik „nur schrittweise“ und nicht von heute auf morgen weiter. „Dies müssen wir unseren Bürgern vermitteln, statt nicht einhaltbare Versprechen zu machen“, sagte sie der „Welt“.
SPD-Chef Sigmar Gabriel pochte dagegen auf kurzfristige Maßnahmen. In einem kontroversen Interview der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ forderte er, mehr Geld auch anderer Staaten für die Bekämpfung von Fluchtursachen zu mobilisieren und andere EU-Staaten zur Aufnahme von mehr Flüchtlingen zu bewegen.
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sieht ihre Partei bei dem Thema „klar aufgestellt“. „Wir sagen nicht einfach nur ,Wir schaffen das'“ - wie Merkel - „wir füllen diesen Satz auch mit Leben. Wir sagen ganz klar, wo wir ansetzen müssen“, sagte Fahimi der „Passauer Neuen Presse“. Aber: „Es geht nicht um eine absolute Zahl als Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen. Das wäre unrealistisch und nicht praktikabel.“
Gabriel sagte im ZDF jedoch erneut: „Jeder weiß, dass wir als Deutsche überfordert sind, wenn wir jedes Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen müssen und integrieren.“ (mit dpa)