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Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
© dpa-Bildfunk

Zu Besuch bei Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz: Im Amt wachsen

Seit einem halben Jahr regiert sie Rheinland-Pfalz. Die Ära von Kurt Beck scheint schon vergessen. Aber Malu Dreyer hat ein schweres Erbe übernommen: einen hohen Schuldenberg. Zu Besuch bei einer Frau, die im Amt wachsen will.

Malu Dreyer steht in einem modernen Showroom neben dem Chef eines weltweiten Rennradherstellers. Gerade ist sie noch mit dem Rollstuhl an Hightech-Rahmen, feinste Reifen oder futuristischen Mountainbikes vorbeigekurvt und hatte sichtlich Spaß an diesem Termin.

Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, 52, ist an diesem Mittwoch auf Sommerreise, das tun Politiker für gewöhnlich, und auch Kurt Beck hat es getan, 18 Jahre lang. Dies also ist die erste Sommerreise nach der Ära Beck, und man kann beobachten, wie es einem Menschen ergangen ist, der mit so viel Vorschusslorbeeren in das Amt gekommen ist. Zumal sich jetzt, wo Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck zum zweiten Mal öffentlich und offen über seine gesundheitlichen Grenzen gesprochen hat, automatisch die Frage stellt, wie man ein solches 80-Stunden-Pensum absolvieren kann, wenn man an Multipler Sklerose (MS) leidet? Malu Dreyer ist aus ihrem Rolli, wie sie ihn nennt, aufgestanden und steht neben Roman Arnold, der seine Firma Canyon Bicycles von einem mobilen Straßenverkauf zu einem Weltmarktführer gemacht hat. Während er spricht, sieht man deutlich, dass Dreyer seine Unternehmsphilosophie und seine Vita beeindruckt haben. Das ist auch das Gute an ihr: Man sieht ihr Begeisterung noch an, und sie äußert sich noch, wie es ihr passt. Dabei sind für Spitzenpolitiker Sätze von zu viel Begeisterung oder Abneigung ein Risiko und können heutzutage schnell einen Shitstorm auslösen. Zum Beispiel, wenn Malu Dreyer in diesem Augenblick wüsste, dass der Dopingsünder Erik Zabel als einer der Mentoren des Unternehmens fungiert. Weiß sie aber nicht.

Dreyer sagt zu Arnold: „Sie wollen faszinieren, und sie tun das auch.“ Sie lobt seine Haltung und seinen Mut, trotz Abwägung des Risikos investiert zu haben, und dabei, und das ist ihr wichtig, „auch noch Spaß zu haben“. Wenn man so will, redet hier Malu Dreyer auch über sich selbst. Begeisterung, Mut und Haltung sind Schlüsselbegriffe, um ihr Denken und Handeln zu verstehen. Kürzlich hat sie dem Magazin „Chrismon“ ein bemerkenswert offenes Interview gegeben, in dem sie etwa erklärt, was sie bei wichtigen Entscheidungen zu sich selbst sagt: „Stell dir vor, du würdest in ein paar Jahren sterben, hast du dann alles so gemacht, wie du das willst?“ Sie hat immer getan, was sie wollte, zum Beispiel ist sie mit 16 nach Amerika gegangen, hat ihren Namen von Marieluise in Malu umändern lassen, und hat eben trotz MS dieses Amt angenommen.

Unter die Lupe wird Malu Dreyer vor allem selbst genommen, jetzt war sie auf Sommerreise, die erste nach der Ära Beck und besuchte unter anderen das Unternehmen Schneider optische Werke in Bad Kreuznach.
Unter die Lupe wird Malu Dreyer vor allem selbst genommen, jetzt war sie auf Sommerreise, die erste nach der Ära Beck und besuchte unter anderen das Unternehmen Schneider optische Werke in Bad Kreuznach.
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Sie sagt, dass es zwei Gründe gibt, grundoptimistisch im Leben zu sein: Ihr Glaube, dass das Leben ihr nichts zumuten werde, was sie nicht bewältigen kann. Und ihr Mann, Klaus Jensen, Oberbürgermeister von Trier, von dem sie sagt, dass ihre Liebe ihr das Gefühl gibt, „als sei ich endlich angekommen“. Für einen Spitzenpolitiker sind das gute Voraussetzungen, um in der Arbeitsmühle Politik nicht zu vernarben wie Kurt Beck. Platzeck sagte einmal: Wenn man in ein Spitzenamt wolle, muss einem klar sein, dass man jeden Tag zu Recht oder zu Unrecht in der Kritik stehe. „Das hält man nur aus, wenn man einen Halt hat. Und eine Haltung.“ So wie sie redet, verbindlich, offen, freundlich und doch systematisch und abwägend ist sie auch ins Amt gegangen. Beck hat ein Land hinterlassen, das nicht so gut aufgestellt ist, wie er meinte. Nicht nur das Nürburgring-Fiasko oder der von der Insolvenz bedrohte Flughafen Hahn machen das Erbe schwer, vor allem der hohe Schuldenstand schränkt die Handlungsfähigkeit ein. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price-Waterhouse attestierte Rheinland-Pfalz die schlechteste Ausgangslage aller Bundesländer, um die Schuldenbremse einzuhalten. Der Grünen-Koalitionspartner sagt, der „Wachstumswahn“ Becks sei nun endgültig vorbei. Auch aus der Umgebung Dreyers ist zu hören, dass das Thema Verschuldung die eigentlich monumentale Aufgabe sei. Sie war zehn Jahre lang eine bundesweit geachtete Sozialministerin, sie kennt diese Strukturen. Die Staatskanzlei, so ist zu hören, wird ein anderes Machtzentrum sein als früher. Dreyer fördert Widerspruch, moderiert, sie lässt sich auf Themen ein, lässt sich beraten. Und sie hat Spaß. Rheinland-Pfalz ist das Bundesland, in dem die meisten Verfahren wegen des Verdachts auf Wettbewerbsverzerrung bei der EU anhängig waren. Dreyer hat den Bereich in der Staatskanzlei angesiedelt und zur Chefsache gemacht. Mittlerweile verdreht man in Brüssel nicht mehr die Augen über Mainz.

Kurt Beck und Malu Dreyer
Kurt Beck hat Malu Dreyer als Nachfolgerin vorgeschlagen, beide kennen sich gut.
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Wer sie lachen sieht, spürt ihre Fähigkeit zur Härte, ihren Ehrgeiz nicht. Sie kann ihre Freundlichkeit als Führungsinstrument einsetzen. Sie hört zu, aber wenn sie nicht überzeugt ist, wird es anders gemacht. Sie muss nicht brüllen. Auf der Reise gibt es auch einen Moment solcher Härte, eben als es um Platzeck geht. Ob der Rücktritt ihr nicht zu denken gebe? „Nein“, sagt sie da sehr scharf, „dieses Beispiel gilt für mich in keinster Weise.“ Bluthochdruck sei bei Männern einer der häufigsten Todesursachen. Auch ihr Vater litt unter Bluthochdruck, als er völlig unerwartet starb, so dass kein Abschied mehr möglich war. Es war ein Erlebnis, das sie geprägt hat. Sie würde die Dinge schon gerne unter Kontrolle haben, aber weil man das Leben und den Tod nicht kontrollieren kann, muss sie wenigstens alles abwägen, durchdenken, „aber auch Emotionen zulassen“, wie sie sagt. Die Fähigkeit loszulassen, musste sie mühsam lernen. „Chrismon“ sagte sie: „Zu wachsen ist etwas Schönes, auch wenn man erwachsen ist.“ Sie weiß, dass sie sich in diesem Amt ein dickes Fell wird zulegen müssen. Authentisch zu bleiben wird auf Dauer nicht leicht. Sie will sich aber nicht verändern, der Gedanke ärgert sie. Malu Dreyer zu sein ist gar nicht immer einfach für Malu Dreyer. Die Tage, an denen Beliebtheitswerte sinken, werden kommen. Alle diese Probleme liegen vor ihr.

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