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CDU-Parteitag: Ihr Leipzig loben sie nicht mehr

Hauptschule, Europa, Mindestlohn: Wieder ein Parteitag der CDU in Sachsen. Wieder in Leipzig. Doch die Programmatik ist anders als 2003 beim "Reformparteitag".

Berlin - Ob denn, hat jemand einen der Organisatoren gefragt, die CDU bei ihrem Leipziger Parteitag an „Leipzig“ irgendwie erinnern wolle? Gemeint war natürlich Leipzig 2003, der legendäre Reformparteitag. Der Befragte hat dann aber angefangen aufzuzählen, woran ihn Leipzig so alles erinnere, „Heldenstadt“ der Wende und so weiter – mit anderen Worten: Nein, die CDU will nicht. Angela Merkels Kopfprämie und Friedrich Merz’ Bierdeckel-Steuer waren gestern. Das Schicksal beider Projekte ist bekannt, die Folgen jener stürmischen Beschlüsse auch: Merkel wäre zwei Jahre später fast nicht Kanzlerin geworden.

Trotzdem, gerade deshalb wirkt „Leipzig“ in Leipzig nach. Man kann das zum Beispiel an dem Bildungsantrag ablesen, der nach der ursprünglichen Planung im Zentrum der Versammlung am kommenden Montag und Dienstag stehen sollte. Das ursprüngliche Papier hatte Wolken von Staub aufgewirbelt, weil es unter der Schlagzeile „CDU schafft die Hauptschule ab“ firmierte. Der Parteivorstand versprach verschreckt Richtigstellung, Bildungsministerin Annette Schavan musste in einer Serie von Basiskonferenzen versichern, dass jede Kommune selbstverständlich ihre Hauptschule behalten dürfe. Trotzdem hagelte es etwa 1600 Änderungsanträge, gut 500 Mails von Mitgliedern im neu eingerichteten Internet-Antragsforum noch nicht mitgerechnet. Die Parteiführung lenkte ein: In der letzten Fassung des Bildungsantrags ist das Ziel eines zweigliedrigen Schulsystems mit Gymnasium und „Oberschule“ zum Konjunktiv verwässert.

Ähnlich ist es dem Europa-Antrag ergangen. Auch diesen Leitvorstellungen des Parteivorstands – gedacht als europa-visionäre Flankierung für die komplizierte, unpopuläre Tagespolitik der Euro-Rettung – ist in letzter Minute ein Zugeständnis an die Kritiker eingefügt worden: Der „freiwillige“ Austritt eines Euro-Landes aus der gemeinsamen Währung solle möglich werden, ohne dass das zugleich den Austritt aus der Europäischen Union insgesamt bedeuten müsse.

Die CDU geht damit nicht so weit wie die Schwesterpartei CSU, in deren jüngstem Parteitagsbeschluss die Möglichkeit schillernd offen bleibt, hartnäckige Schuldensünder gegen ihren Willen hinauszuwerfen. Aber Generalsekretär Hermann Gröhe weist ja nicht zufällig auf diesen Passus hin, als er sich am Freitag überzeugt zeigt, dass Anträge auf Zwangshinauswurf keine Mehrheit finden werden.

Ausdrücklich keine Prognose abgeben mag Gröhe beim dritten kontroversen Thema: dem Mindestlohn oder, wie es der Antragsteller, Nordrhein-Westfalens Fraktionschef Karl-Josef Laumann politisch korrekt formuliert, einer „allgemeinen Lohnuntergrenze“. Laumann, nebenher Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), hat das Projekt lange und sorgfältig vorbereitet. Als Merkel auf Regionalkonferenz-Tournee wegen Euro-Rettung ging, stand zuverlässig jedesmal ein Sozialausschüssler auf und beklagte das Missverhältnis zwischen Milliarden für die Banken und Mini-Löhnen in manchen Branchen. Seither gilt die Lohnuntergrenze als Initiative aus der Mitte der Partei. Im Prinzip trägt die Parteispitze den Vorstoß mit; der Wirtschaftsflügel, der traditionell eigentlich laut aufjaulen müsste, ist schlagartig verstummt, seit sich ausgerechnet Friedrich Merz als Anhänger eines solchen Mindestlohns in einem reichen Land zu erkennen gab.

Umstritten ist aber, wie präzise und einheitlich die Partei die Grenze benennen soll. Laumann hat den Tarif der Zeitarbeiter im Blick als bundesweite Untergrenze, auf die sich die Tarifpartner verständigen und die die Politik dann für allgemeinverbindlich erklären sollte. Das wären dann etwa sieben Euro Stundenlohn im Osten und knapp acht im Westen. Doch Merkel hat sich vor kurzem dagegen positioniert – diesmal zur Freude des Wirtschaftsflügels, der auf seine Kanzlerin allein schon wegen der Atomwende ansonsten nicht so gut zu sprechen ist: Sie sei für regional und nach Branchen unterschiedliche Untergrenzen. Laumann hat sofort empört dagegengehalten. Er will für seinen Antrag kämpfen. Gröhe versichert, dass diesmal keine Kompromissformel den Streit entschärfen soll: „Es gibt keine Absicht, einer solchen Diskussion aus dem Weg zu gehen.“ Am Ende werde dann wohl streitig abgestimmt, was aber doch für einen Parteitag „gut und normal“ sei.

Noch ein Ventil also für eine Partei, die nach den Kurskorrekturen der letzten Zeit oft nicht mehr ohne Weiteres sagen kann, was für sie denn nun grade gut und was normal zu sein hat. Vielleicht hat sich Horst Seehofer auch deshalb dagegen entschieden, zu tun, was seit Menschengedenken normal ist. Der CSU-Vorsitzende will sein Grußwort an die Schwesterpartei nicht dem Parteitag abliefern. Seehofer spricht auf eigenen Wunsch beim geselligen Sachsen-Abend, als Beiprogramm zu Bier und Würstchen.

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