Waleed Alys Ansprache zum Anschlag in Christchurch: "Ich war nicht schockiert"
Mit einer emotionalen Fernsehansprache hat der australische Moderator, Muslim und Autor Waleed Aly die Anschläge von Christchurch kommentiert. Hier der Wortlaut.
"Sie müssen mir verzeihen, das werden nicht meine besten Worte sein. Die Wahrheit ist, dass ich heute nicht reden will. Als ich gefragt wurde, ob es etwas gebe, was ich tun wolle, verweigerte ich mich den ganzen Tag, bis ich zuletzt doch dieses überwältigende Gefühl hatte, dass es in meiner Verantwortung sei, etwas zu tun. Vielleicht ist das auch falsch.
Aber von all den Dingen, die ich heute Abend sagen könnte - dass ich enttäuscht bin und Angst habe und dass ich mich von völliger Hoffnungslosigkeit überwältigt fühle - wäre es das Unehrlichste zu sagen, dass ich schockiert bin. Ich bin es einfach nicht.
Es gibt nichts an dem, was in Christchurch passiert ist, was mich schockiert hat.
Ich war auch nicht schockiert, als vor zwei Jahren in einer Moschee in Quebec City sechs Menschen erschossen wurden. Ich war nicht schockiert, als ein Mann etwa sechs Monate später einen Van in die Finsbury Park Moschee in London fuhr, und ich war nicht schockiert, als elf Juden Ende vergangenen Jahres in einer Synagoge in Pittsburgh erschossen wurden oder als neun Christen in einer Kirche in Charleston getötet wurden. Wenn wir ehrlich sind, wussten wir, dass das kommen würde.
Ich war heute in der Moschee, ich gehe jeden Freitag dahin, genau wie die Leute in diesen Moscheen in Christchurch. Ich weiß genau, wie diese Momente vor Beginn der Schießerei waren. Ich weiß, wie ruhig, wie still, wie introspektiv diese Menschen waren, bevor sie plötzlich niedergeschossen wurden, wie abgeschieden von der Welt sie sich fühlten, bis die Welt hereinbrach und ihr Leben auseinander riss.
Und ich weiß, dass die Menschen, die das getan haben, gut genug wussten, wie zutiefst wehrlos ihre Opfer in diesem Moment waren. Das war ein Gemeindegebet, das jede Woche stattfindet, regelmäßig wie ein Uhrwerk. Es war ein Abschlachten mit Terminvereinbarung. Und es ist beängstigend, weil ich, wie Millionen anderer Muslime, weiterhin an diesen Terminen teilnehmen werden, und das fühlt sich an, als stelle man sich selbst auf den Präsentierteller.
Aber das ist nicht das Schrecklichste. Was mich am meisten erschreckte, war, als ich anfing, das Manifest zu lesen, das einer der offensichtlichen Täter veröffentlicht hatte. Denn was ich da las, klang nicht gestört - sondern so vertraut. Lassen Sie mich einige Zitate mit Ihnen teilen, um Ihnen zu zeigen, was ich meine.
"Die Wahrheit ist, dass der Islam nicht wie jeder andere Glaube ist. Es ist das religiöse Äquivalent zum Faschismus", oder "Die wahre Ursache des Blutvergießens ist das Migrationsprogramm, das es muslimischen Fanatikern ermöglicht hat, überhaupt einzuwandern". Oder: "Wie wir in Matthäus 26,52 lesen: ,Alle, die das Schwert nehmen, werden durch das Schwert umkommen.' Und diejenigen, die einer gewalttätigen Religion folgen, die sie dazu bringt, uns zu ermorden, können nicht überrascht sein, wenn jemand sie beim Wort nimmt und freundlich reagiert."
Wie klingen diese Worte jetzt?
Und wie klingen sie nun, wenn ich Ihnen sage, dass dies Sätze nicht Teil des Manifests waren?
Sie wurden tatsächlich nach dem Terroranschlag veröffentlicht - auf den Briefkopf des australischen Parlaments. Ich weiß, dass sie von jemandem kamen, den ich im Moment nicht explizit nennen möchte, den aber alle Parteien bereits angeprangert haben.(gemeint ist der ultrarechte Senator Fraser Anning, der bereits mehrfach mit rassistischen Kommentaren auffiel und mit seiner Erklärung zu den Christchurch-Anschlägen für Entrüstung sorgte, Anm. d. Red.).Ich weiß auch, dass der Führer einer dieser Parteien, die ihn jetzt anprangern, den Islam früher selbst als Krankheit bezeichnet hat, gegen die Australien sich impfen muss. Und selbst diese Partei steht trotz einiger mutiger Versuche unserer Medien, das zu ändern, am Rande.
Aber ich kenne auch eine hochrangige Person in unserer Regierung, die einmal angemerkt hat, dass wir als Land einen Fehler gemacht haben, indem wir libanesische Muslime in den 70er Jahren aufgenommen haben. Und ich weiß, dass es Medienberichte von einer acht Jahre zurückliegenden Sitzung des Schattenkabinetts gibt, in der ein anderer hochrangiger Politiker vorschlug, dass seine Partei die Sorgen vor Muslimen, die sich nicht integrieren wollen, für ihre politische Strategie nutzen sollten. Diese Person ist einer der höchstrangigen Politiker, die wir heute in Australien haben.
Ich schätze zwar die Worte, die unsere Politiker heute gesagt haben, insbesondere die Kommentare von Scott Morrison und seine Bereitschaft, diesen Terrorismus als Terrorismus zu bezeichnen, sowie die Stärke seiner Kommentare im Allgemeinen, aber dennoch muss ich etwas sagen: Ändern Sie bitte nicht Ihre Meinung, nur weil der Terrorismus jetzt von weißen Rassisten zu kommen scheint. Wenn Sie seit Jahren davon sprechen, in den Communitys, die ihn angeblich unterstützen, "hart gegen den Terrorismus" zu sein, zeigen Sie uns, wie ernst Sie das meinen.
Ich für mich werde dasselbe sagen, was ich vor etwa vier Jahren nach einem schrecklichen islamistischen Angriff gesagt habe. Jetzt kommen wir zusammen. Jetzt verstehen wir, dass dies kein Spiel ist, dass der Terrorismus seine Opfer nicht selektiv auswählt, dass wir eine Gemeinschaft sind und dass alles, was wir sagen, um Menschen auseinanderzureißen, um Gruppen zu dämonisieren, sie gegeneinander auszuspielen, dass das alles Konsequenzen hat - auch wenn wir nicht die mit den Fingern am Abzug sind."
- Waleed Aly äußerte sich Freitagabend. Die Rede wurde via Social Media hunderttausendfach geteilt und mehr als zwei Millionen Mal angesehen.
Waleed Aly
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