Proteststurm gegen Spahns Gesetzespläne: Hürdenlauf für psychisch Kranke?
Gesundheitsminister Spahn will psychisch Kranke vor ihrer Therapie künftig von anderen Experten "voruntersuchen" lassen. Dagegen regt sich heftiger Protest.
Mit Petitionen hat Jens Spahn so seine Erfahrungen. Nachdem der CDU-Politiker vor einem Dreivierteljahr kundgetan hatte, dass Hartz IV nicht gleichbedeutend mit Armut sei, verlangten 210.000 Unterzeichner von ihm, selber mal einen Monat lang vom Arbeitslosengeld II zu leben. Spahn weigerte sich, versuchte das Thema mit der Initiatorin bei Kaffee und Kuchen abzumoderieren, trug politische Blessuren davon. Im September verlangten dann 224.000 Menschen von ihm, die Berufssituation von Physiotherapeuten und anderen Heilberuflern zu verbessern. Hier reagierte der Minister sofort, eine eilig gestrickte Reform soll bereits im Frühjahr 2019 in Kraft treten.
Minister will "gesteuerte Versorgung"
Drei Monate später – Spahn ist grade zurück vom Hamburger CDU-Parteitag – erwarten ihn schon wieder 130.000 Unterschriften. Diesmal geht es um Psychotherapie. Die Petenten ärgern sich, dass der Minister vor der Behandlung von psychisch Kranken noch eine weitere Hürde einziehen will. Die Patienten hätten sich demnach, bevor sie eine Therapie beginnen können, künftig erst mal von anderen Experten, die sie sich nicht auswählen können, „voruntersuchen“ zu lassen. Erst danach würden sie an ihre eigentlichen Therapeuten weiterleitet.
Tatsächlich hat Spahn sein Gesetz für schnellere Arzttermine und bessere Versorgung (TSVG), das bereits vom Kabinett beschlossen ist und im April nächsten Jahres in Kraft treten soll, zwischen Referenten- und Kabinettsentwurf noch um eine kleine Passage ergänzt. Demnach soll der Gemeinsame Bundesausschuss „Regelungen für eine gestufte und gesteuerte Versorgung für die psychotherapeutische Behandlung “ beschließen - und auch über die Qualifikation dieser für die Steuerung Verantwortlichen befinden.
Zusätzliche seelische Belastung für Betroffene
Es sei vorgesehen, „dass besonders qualifizierte Ärzte und psychologische Psychotherapeuten – und nicht etwa der spätere Behandler – in Voruntersuchungen festlegen, zu welchem Hilfe- oder Therapieangebot die Betroffenen gehen dürfen“, heißt es in einem Protestbrief von Deutscher Psychotherapeutenvereinigung und dem Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten. „Dies würde eine erhebliche Verschlechterung und Belastung für die betroffenen Patienten bedeuten.“
Die Petition wird konkreter. Spahns Pläne diskriminierten eine ganze Patientengruppe, heißt es darin. Psychisch Kranken werde „damit aufgebürdet, oftmals enorme, hoch schambesetzte seelische Belastungen gegenüber Behandlern darzustellen, die sie danach in der Regel nicht wiedersehen werden und die sie nicht selbst nach Vertrauensgesichtspunkten gewählt haben“. Außerdem werde ihnen „ein Hürdenlauf zugemutet, der sie unnötig belastet und gegenüber anderen Patientengruppen benachteiligt“.
Auch der Bundesrat warnt
Auch der Bundesrat lehnt Spahns Vorhaben ab. Es bestünde die „Gefahr, dass zusätzliche Hürden für psychisch kranke Menschen aufgebaut werden und dadurch der Zugang zur Psychotherapie eher noch erschwert wird“, heißt es in der Stellungnahme der Länderkammer. Wenn sich Patienten „an mehreren Stellen offenbaren“ müssten, könne „die wichtige Niederschwelligkeit nicht mehr gegeben sein“. Zudem stelle eine neue Instanz, die Patienten vorsortiert, die Qualifikation der Psychotherapeuten in Frage. Es werde ihnen abgesprochen, eigenständig diagnostizieren zu können, wie dringend Patienten eine Therapie benötigten.
Spahn dürfe den „deutlichen Gegenwind“, der auch vom Bundesrat komme, „nicht länger ignorieren“, mahnte die Grünen-Expertin Maria Klein-Schmeink. Es sei zu befürchten, dass die geplante Regelung den Zugang für Patienten zur Psychotherapie massiv erschwere. „Das wäre fatal, denn oft nehmen Menschen mit psychischer Erkrankung eher zu spät Hilfeleistungen wahr.“
Am Freitag widmet sich der Bundestag dem Entwurf in erster Lesung. Man werde prüfen, ob eine Anpassung erforderlich sei, hieß es seitens des Ministeriums. Schließlich gehe es darum, „praktisch umsetzbare und akzeptierte Lösungen“ zu finden, "die eine weitere Verbesserung der Behandlung von psychisch Kranken zum Ziel haben".
Rainer Woratschka