CSU-Landesgruppenklausur: Horst Seehofer und die leisen Krawallmacher
Wegen neuer Konkurrenz von rechts gibt sich die CSU ungewohnt moderat.
„Das langweilt mich eher“, sagt Horst Seehofer. Der Satz ist einigermaßen erstaunlich, denn mit „das“ sind in diesem Falle nicht die neuesten Meldungen über seine eigene Zukunft gemeint, sondern die „Pegida“-Demonstrationen und deren Trittbrettfahrer von der AfD. Aber der CSU-Chef setzt sogar noch nach: „Das beschäftigt mich jetzt wirklich nicht!“ Hinter Seehofer breitet sich die malerisch verschneite Kulisse des Wildbads Kreuth aus. Die CSU-Landesgruppenklausur in Kreuth steht für eine lange Tradition lautstarker Auftritte. Erst im letzten Jahr lautete die plakative Botschaft der CSU-Bundestagsabgeordneten zum Jahresanfang: „Wer betrügt, der fliegt."
Doch an diesem Mittwoch mag der CSU-Vorsitzende gerade in der Asyl- und Flüchtlingsfrage partout nicht in den ortstypischen Krawallton verfallen, im Gegenteil. „Ich finde, wir sollten mit dem Thema differenziert umgehen“, wirbt Seehofer, „nicht schwarz-weiß.“ Man kann daraus ersehen, wie ernst sie in München die Lage einschätzen. Seit Jahrzehnten war die CSU in der demokratischen Parteienlandschaft sozusagen zuständig für die Einbindung des rechten Rands.
Der Erfolg der AfD hat alles verändert
Doch seit dem Erfolg der AfD hat sich die Situation grundlegend verändert. Früher zahlten sich Kraftsprüche gegen Chaoten oder angeblich nicht integrationswillige Zuwanderer zuverlässig auf dem Wählerkonto der CSU aus. Doch inzwischen muss die Partei erleben, dass es andere gibt, die immer noch eins draufsetzen – lautstärker und plumper, als es eine Volkspartei mit 50-plus-x-Vertretungsanspruch je könnte. Die SPD hat die gleiche Erfahrung schon zweimal gemacht, erst mit den Grünen, dann mit der Linkspartei. Für den bürgerlichen Flügel ist es neu. Außerdem macht sich dort langsam auch der Ausfall der FDP bemerkbar: Die Freidemokraten haben neben ihrem wirtschaftsliberalen Schwerpunkt stets auch einen der Teil der populistischen und nationalen Strömungen in der Wählerschaft aufgefangen.
Das diesjährige Papier der CSU-Innenpolitiker zur Flüchtlingsfrage spiegelt das neue Dilemma wider. Was die CSU da fordert, ist entweder längst amtliche Beschlusslage der eigenen Regierungskoalition in Berlin – oder absehbar wirkungslos. Dass viele abgelehnte Asylbewerber nicht abgeschoben werden, hat wenig mit überlasteten Ämtern oder unwilligen rot-grünen Landesregierungen zu tun, sondern oft humanitäre Gründe.
Seehofer versucht es also jetzt mal anders – nicht mit Lautstärke, sondern als Stimme der Vernunft. Nicht „in einen Wettstreit mit Parolen eintreten“ sei angesagt, sondern die Besorgnisse der Menschen zu erhören – freilich „die Menschen der Mitte und nicht am rechten Rand“. Auch müsse ein eigenes Konzept her. Und die neue Konkurrenz sei „eher langweilig“. Ignorieren. Und hoffen, dass sie sich von selbst erledigt.
In Kreuth klingen sanfte Töne schräg
Das klingt ungefähr wie das Rezept, das Angela Merkel für die CDU schon lange ausgegeben hat. In Kreuth klingt es aber relativ schräg. Nach all den Jahren der bajuwarischen Antreiber-Rhetorik plötzlich einen CSU-Chef zu erleben, der vor „Vereinfachungen“ in der Ausländerdebatte warnt – der Kontrast fällt auf. Ob die neue Linie hält, ist obendrein schwer zu sagen. Bei Seehofers Auftritt sind die Meldungen vom Anschlag in Paris erst eine knappe Stunde alt. „Erschütternd“ seien die Toten in der Zeitungsredaktion, sagt der CSU-Chef. Inzwischen dürfte ihm klar sein, dass der Islamisten-Anschlag den Leuten neuen Auftrieb geben wird, die ihn angeblich nicht beschäftigen. Und was seine eigene Zukunft angeht: Dass er 2018 nicht mehr als Ministerpräsident antritt, das hat er schon so oft gesagt, dass es wirklich nicht mehr als Neuigkeit durchgeht.
Robert Birnbaum