Rentenstreit: Horst Seehofer: Gefahr erkannt, nicht gebannt
CSU-Chef Horst Seehofer fürchtet einen Rentenwahlkampf. Also setzt er auf einen Konsens mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen - und wird damit unfreiwillig zu deren Verbündeten.
Wenn es um Soziales geht, hat Horst Seehofer schon aus alter, berufsbedingter Gewohnheit ein empfindliches Gespür. Wenn in Sichtweite seiner Landtagswahl ein Sozialthema plötzlich die Debatten bestimmt, steigert sich das Sensorium des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten schnell ins Mimosische. Seehofer ist erkennbar alarmiert über den Rentenalarm, den Arbeitsministerin Ursula von der Leyen in Berlin geschlagen hat. „Das Thema liegt jetzt auf dem Tisch, und es wird in den nächsten Monaten nicht einfach in die Schublade zu legen sein“, hat Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt. Und: „Je bessere Antworten man jetzt darauf findet, desto wahrscheinlicher ist es, dass es dann nicht ein Mittelpunktthema des Wahlkampfs wird.“
Der Bayer, mit anderen Worten, hat die Gefahr erkannt. Er wird damit unfreiwillig zum Verbündeten Leyens. Deren Konzept einer „Zuschussrente“, mit der die Alterssicherung für Geringverdiener in den kommenden Jahrzehnten auf mindestens 850 Euro aufgestockt werden soll, lehnt der langjährige Gesundheits- und Sozialpolitiker Seehofer zwar ab, aus prinzipiellen Gründen: Es gehe nicht an, dass die Rentenversicherung und ihre Beitragszahler dafür herhalten sollten, für die Folgen unterschiedlicher Einkommen aufzukommen. „Das ist nicht der richtige Weg“, sagt er. Aber einen Weg müsse man finden, auch die CSU werde sich in den nächsten Wochen damit befassen – und am liebsten wäre ihr ein ganz breiter Konsens. „Rentenfragen sind Vertrauensfragen“, wirbt Seehofer. Deshalb sei es gute Tradition, diese Fragen „immer über die Parteigrenzen hinweg zu lösen“.
Damit wäre die Gefahr des Rentenwahlkampfs natürlich elegant gebannt. Ob das Lockangebot verfängt, ist allerdings ein bisschen zweifelhaft. Die SPD will am Montag über ein eigenes Rentenkonzept beraten. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sieht es eine Mindestrente von 850 Euro für all jene vor, die 40 Jahre Vollzeit gearbeitet und 30 Jahre Beiträge gezahlt haben. Für Geringverdiener und Beschäftigte mit langer Arbeitslosigkeit soll die Grundsicherung im Alter durch eine sogenannte „Solidarrente“ aus Steuermitteln aufgestockt werden. Die Kosten dafür werden auf etwa eine Milliarde Euro jährlich veranschlagt.
In der Problembeschreibung klingen die Sozialdemokraten genau wie die christdemokratische Ministerin: „Die gesetzliche Rente wird ihre Glaubwürdigkeit nur behalten, wenn Menschen, die ein Leben lang zu niedrigen Löhnen gearbeitet haben, am Ende eine Rente bekommen, die über der Grundsicherung liegt“, sagte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der „Süddeutschen Zeitung“. Und was Leyen ansonsten angeht: „Selbst die Koalitionsfraktionen haben gemerkt, dass es ihr nicht um die Rentner, sondern nur um ihr Image geht“, ätzt Steinmeier.
Tatsächlich hat die Spitze der Unionsfraktion der eigenen Ministerin einen massiven Dämpfer verpasst. Vor allem die Frauenpolitikerinnen karten am Freitag nach: Erst einmal, so eine breite Front von der CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt bis zur Chefin der Frauenunion, Maria Böhmer, solle das Grundgerüst für die seit langem von der CDU politisch zusagte Besserstellung von Frauen in der Rente liefern, die vor 1992 Kinder erzogen haben. Eine Rentenreform ohne dieses Element, sagt Böhmer, sei für die Unionsfrauen „undenkbar“. Die Kanzlerin immerhin ließ ihren Sprecher am Freitag mitteilen, es sei „richtig und wichtig“, dass von der Leyen als zuständige Ministerin „beharrlich auf ein Thema hinweist“, das künftig zu einem „Problem für das Rentensystem“ werden könne.
Leyen selbst verteidigte sich Donnerstagabend bei „Maybritt Illner“. Taktisch stellt sie ein bisschen um: Dass die Kanzlerin ihr Modell als Lösung bestenfalls für zehn Prozent des Problems halte, verstehe sie. Dass man nicht alles in ein paar Wochen lösen könne, die faktisch nur noch bleiben für Gesetzgebungsvorhaben in dieser Wahlperiode – auch das sehe sie ein. Aber ob man nicht dann Schritt für Schritt vorgehen müsse? Erst den „ersten, dringendsten Schritt“ machen und dann weitersehen? Damit wäre die Gefahr, dass Leyen als Blamierte endet, gebannt. Auch bei diesem Lockangebot ist freilich unwahrscheinlich, dass es so glatt verfängt.
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