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Allein auf weiter Flur: Horst Seehofer am Donnerstag auf der Regierungsbank im Bundestag.
© Ralf Hirschberger/dpa

Asyl ohne echte Prüfung: Horst Seehofer bleibt in der Bamf-Affäre Antworten schuldig

Tausende Asylanträge wurden in Bremen ohne echte Prüfung genehmigt. Der Innenminister gibt sich jetzt als Chef-Aufklärer. Fehler? Alle vor seiner Zeit.

„Für mich“, sagt Horst Seehofer, „ist die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses keine Bedrohung.“ Im Gegenteil, versichert der Bundesinnenminister, würde er es sogar „ausdrücklich begrüßen, wenn diese Dinge auch parlamentarisch aufgearbeitet werden“. Die Unionsfraktion spendet demonstrativen Beifall. Seehofer soll am Donnerstag eigentlich im Bundestag seinen ersten Haushalt im neuen Berliner Amt vorstellen. Aber „diese Dinge“, also der Skandal bei der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), kommen ihm dazwischen.

Also geht er sie gleich als Erstes an. Alles vor meiner Zeit, aber seit ich Bescheid weiß, wird aufgeklärt – so lautet zusammengefasst seine Linie. Doch die Opposition mag den CSU-Chef nicht so leicht davonkommen lassen.

Tatsächlich stecken in den Vorgängen ein paar Auffälligkeiten, genauer gesagt im Umgang mit der Affäre. Der Sachverhalt selbst ist in groben Linien unstreitig: Die frühere Leiterin der Bremer Bamf-Filiale hat offenbar zusammen mit Helfern und Anwälten dafür gesorgt, dass zwischen 2013 und 2016 Tausende Asylanträge ohne echte Prüfung genehmigt wurden, darunter viele, für die Bremen eigentlich gar nicht zuständig war.

Seehofer betont, das sei alles „weit vor meiner Amtszeit“ geschehen, die Amtsleiterin „vor meiner Amtszeit“ suspendiert und ebenfalls „vor meiner Amtszeit“ ein Strafverfahren eingeleitet worden. Eine seiner ersten Amtshandlungen sei es dann gewesen, den Bundesrechnungshof einzuschalten, der alle damaligen Bescheide prüfen und beim Bamf wie im Ministerium nach eventuellen „systemischen Mängeln“ suchen solle. „Das ist eine sachgerechte Aufarbeitung“, versichert Seehofer, der juristische Rest sei Sache der Staatsanwaltschaft.

Auf 99-Seiten-Bericht folgte keine Reaktion

Der Grüne Tobias Lindner freilich sieht das anders. Der Minister gebe sich hier als Chef-Aufklärer, sagt der Haushaltsexperte, dabei sei das Interessanteste das, „was Sie nicht gesagt haben: Was wussten Sie, und wann wussten Sie es?“ Die amtliche Auskunft lautet: Der neue Minister erfuhr erst gegen Ende April von der ganzen Sache. Doch an diesem Punkt kommt Josefa Schmid ins Spiel.

Die bayerische Beamtin war im Januar kommissarisch an die Spitze des Bremer Bamf geschickt worden. Schmid forschte auf eigene Faust nach, was passiert war. Am 25. Februar schickte sie einen 99-Seiten-Bericht an die Nürnberger Bamf-Zentrale: Allein seit 2015, schrieb sie, seien mindestens 3332 Asylanträge fehlerhaft gehandhabt worden. Als keine Reaktion kam, so die Beamtin, versuchte sie Seehofer über sein Büro und sogar per SMS über den Fall zu informieren, der damals nur intern bekannt war. Seehofers Sprecherin versicherte, von einer SMS wisse ihr Chef nichts.

Am 4. April schickte Schmid ihr Dossier dann dem CSU-Abgeordneten Stephan Mayer. Seehofer hatte den langjährigen innenpolitischen Sprecher der Union inzwischen als Parlamentarischen Staatssekretär an seine Seite geholt. Mayer bestätigt das Telefonat und den Eingang des Dossiers per Mail, nicht aber eine angebliche Zusage, den Minister umgehend zu informieren. Nach offizieller Darstellung ist Seehofer erst seit dem 19. April im Bilde, einen Tag bevor der Vorgang auch öffentlich bekannt wurde.

"Fürsorge" - oder Strafversetzung?

Diese einander widersprechenden Darstellungen machen die Opposition misstrauisch. Die Rückversetzung Schmids ins heimische Bayern Anfang Mai weckt erst recht ihren Verdacht. Die Beamtin – ehrenamtliche Bürgermeisterin ihrer kleinen Gemeinde im Bayerischen Wald und Landtagskandidatin für die FDP – wehrt sich vor Gericht dagegen.

Ihre Behördenleitung hat ihr den Schritt mit „Fürsorge“ begründet. Staatssekretär Mayer versichert am Donnerstag im Deutschlandradio, es handele sich keineswegs um eine „Strafversetzung“, sondern um das normale Ende einer Abordnung. Dass die gegen den Willen des Mitarbeiters nicht verlängert werde, komme „oftmals“ vor. Im Übrigen würde er sich freuen, „wenn auch die öffentliche Berichterstattung sich wieder stärker auf die konzentriert, die wirklich tatsächlich die Urheber dieser Vorgänge sind“.

Der Spruch von der Herrschaft des Unrechts

Den Gefallen mögen ihm und Seehofer ihre Gegenspieler im Parlament indes nicht tun. Dafür ist die Verlockung zu groß, im aufbrandenden Landtagswahlkampf den starken Mann der CSU im Kabinett als einen hinzustellen, der entweder im neuen Amt gleich zu Anfang überfordert ist oder gar aktiv Unwissen vortäuscht. „Wer betrügt, fliegt“, zitiert der AfD-Mann Gottfried Curio ein altes CSU-Motto und ätzt: „Von wegen, Herr Seehofer – wer Betrug aufdeckt, fliegt!“ Der Grüne Konstantin von Notz reibt dem CSU-Vorsitzenden den Spruch von der „Herrschaft des Unrechts“ in der Flüchtlingskrise unter die Nase – der hänge ihm nun angesichts des „Chaos im Bamf“ wie ein Mühlstein um den Hals.

Die FDP nimmt gleich Seehofers Einladung an. Nach dem Auftritt des Ministers erklärt Lindners Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann, nun führe kein Weg mehr am Untersuchungsausschuss vorbei: „Offenbar ist nur so eine schonungslose Aufklärung möglich.“ Doch die kann die FDP nicht alleine erzwingen; Grüne und Linke müssten mitmachen. Dort haben sie es aber nicht so eilig. Die FDP-Drohung bleibt vorerst hohl. Es sei denn, Seehofer hätte es ernst gemeint mit seinem Interesse an parlamentarischer Aufarbeitung. Er müsste die Union dann ja nur bitten, den Weg frei zu machen.

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