CSU-Wahlkampf in Bayern: Horst Seehofer auf dem Egotrip
Horst Seehofer (CSU) ist stolz auf Bayern und zeigt das auch. Doch womöglich ist es mit der zur Schau getragenen Selbstgewissheit gar nicht so weit her.
Im Winter dieses Jahres hat der Münchner Karikaturist Dieter Hanitzsch seinem Ministerpräsidenten eine Zeichnung geschenkt. Zu sehen ist darauf ein gefüllter Maßkrug, ein gefülltes Dirndl, ein Topf mit Weißwürsten, eine Brez’n, das Logo des FC Bayern München und der Märchenkönig Ludwig. „CSU-Erfindungen für Bayern“ lautet der Titel. Horst Seehofer war über diese Klarstellung sehr erfreut. Sie erhielt einen Ehrenplatz in seinem Büro.
Jetzt steht der 64-Jährige auf dem Rathausplatz im fränkischen Erlangen und erklärt allen Zugereisten samt gerade eingeflogener Bundeskanzlerin, wo man sich befindet. „Sie sind nicht nur im Freistaat Bayern“, sagt er. „Sie sind im gelobten Land.“ Die Menschen auf den Bierbänken applaudieren. Gut 5000 werden es sein an diesem warmen Sommernachmittag, Feriengefühle, der Ort passt auch: Die Stadt, in der Siemens sitzt, steht wie kaum eine andere im Freistaat für Forschung und Innovation.
Angela Merkel lächelt, die Augenbrauen nur ein klein wenig hochgezogen. Auch sie versucht es ja mit Wohlfühlwahlkampf. Außerdem will die Kanzlerin dem Mann neben ihr am 15. September mit möglichst gutem CSU-Ergebnis wieder ins Amt verhelfen. Schon damit er ihr eine Woche später ebenso hilft.
Der Seehofer’sche Stolz auf Land und Leute enthält eine klare Botschaft. Lebensqualität, soziale Sicherheit, die prächtigen Wirtschaftsdaten: Das alles ist denen zu verdanken, die hier seit 56 Jahren bestimmen, wo’s langgeht. Er hat die Karikatur aus seinem Büro zum Wahlkampfmotto gemacht – weit übers Weißwurst- und Dirndl-Klischee hinaus.
„Bayern“ prangt auf den Großplakaten mit Waldesidylle, von denen der Regierungschef hemdsärmelig herunterlächelt. „Bayern“ steht auf den Autoaufklebern, die seinen Werbeheftchen beiliegen. Ein Schriftzug in seriösem Blau, der Parteiname kommt nicht vor. Das Land ist zum Synonym geworden, Bayern soll gleich CSU sein, wie früher schon mal. Und am besten auch im Umkehrschluss: Was nicht CSU ist, ist nicht Bayern.
SPD, Grüne, Freie Wähler – war da irgendwas? Statt auf den Gegner einzudreschen, wie man es von kraftmeiernden CSU-Regenten gewohnt ist, preist der Ministerpräsident sein Land. Lobt die Menschen für ihre Tüchtigkeit, ein bisschen auch sich selber. Und verspricht, sich zu kümmern, das Erreichte zu stabilisieren, „vielleicht sogar noch auszubauen“.
Seehofer gibt den Landesvater
Es ist ein eigenartiger Wahlkampf, der sich momentan im Süden der Republik abspielt. Manche sagen, er habe noch gar nicht richtig begonnen – und mutmaßen, dass das an den Schulferien liege, die sich bis eine Woche vor dem Urnengang hinziehen. Andererseits: Der SPD-Herausforderer, Christian Ude, ist seit langem in Aktion. Er hat sich von seinem Bürgermeisterjob in München beurlauben lassen, jagt von einem Bierzelt-Termin zum nächsten. Und stößt mit seinen Attacken wie in Watte. Dass sich die CSU „das Land zur Beute gemacht“ habe. Ja, und?
In den Reden des Amtsinhabers kommt der Gegner in der Regel gar nicht vor. Seehofer gibt jetzt den Landesvater. Besonnen, verantwortlich fürs Ganze, thronend über allem parteipolitischen Hickhack. Aus dieser Größe heraus kann er sich dann, wenn’s nottut, auch kleinmachen. Er wisse ja, dass die Leute nicht wegen ihm, sondern wegen der Kanzlerin gekommen seien, sagt er bei dem gemeinsamen Auftritt in Erlangen. Daher „nur ein paar Anmerkungen“. Ein Rüffel für den Moderator, der es gewagt hat, die Zuhörer mit „Guten Tach“, statt dem hierzulande üblichen „Grüß Gott“ zu begrüßen. Und Anerkennung für die Franken, die sich immer so zurückgesetzt vorkommen. Arbeitsam seien sie, intelligent und hartnäckig, schmeichelt Seehofer. Und ihm in seiner Regierungszeit lieb und teuer geworden. „Vor allem teuer.“
Der Rest ist Kanzlerinnenlob. „Unter deiner Führung ist Deutschland weltweit respektiert und anerkannt.“ Vom eigenen Volk werde Merkel regelrecht geliebt. „Dazu möchte ich dir gratulieren.“ Ein Bückling, die einen Kopf kleinere Kanzlerin guckt irritiert. Doch das Publikum jubelt. Von wegen weiß-blaues Heimspiel: Merkels Truppe hat die Kundgebung gekapert und Strohhüte in ihren Parteifarben verteilt. Orange mit weißem Band. Vor allem Ältere haben sie aufgesetzt, es wirkt ein bisschen wie CDU-Fasching.
"Seehofer direkt" heißt die Reihe. Perfekt für den Egotrip
Seehofer will mit der Schwärmerei gar nicht mehr aufhören. In seinem ganzen Leben, sagt er, werde es ihm „nicht vergönnt sein, auf vergleichbare Beliebtheitswerte zu kommen“. Schon klar. Die CSU möchte auch vom Merkel-Bonus profitieren. Wo die Wahlen diesmal so eng zusammenliegen. Doch muss es gleich Liebedienerei sein? „Die Kanzlerin“, lautet unbeirrt Seehofers Ansage, „ist existenziell für unseren Erfolg.“
Diese Einschätzung ist bemerkenswert für eine Partei, die ihre Daseinsberechtigung seit jeher aus ihrer Eigenständigkeit und Renitenz bezieht – und sich nichts Schlimmeres vorzustellen vermag, als zum Landesverband der CDU mit anderem Namen herabzusinken. Außer der Adenauer- und der Wiedervereinigungszeit habe er keinen Wahlkampf in Erinnerung, sagt der Politologe Heinrich Oberreuter, in der die CSU so auf Rückenwind aus dem Kanzleramt gesetzt habe.
Womöglich ist es mit der zur Schau getragenen Selbstgewissheit ja doch nicht so weit her. Tatsächlich war die Partei bis vor kurzem schwer verunsichert. Von ihrem 2008er-Wahlergebnis immer noch, dem schlechtesten seit einem halben Jahrhundert. Von der ungewohnten Popularität des bayerischen SPD-Kandidaten. Der Unberechenbarkeit ihres neuen Vorsitzenden. Dem Bekanntwerden immer neuer Spezlwirtschaften. Und der Ahnung, dass ihr diesmal womöglich auch keine FDP mehr helfen kann.
Ruhe ist für die Christsozialen erst eingekehrt, als ihnen eine Umfrage im Juli wieder Chancen auf die absolute Mehrheit bescheinigte. 47 Prozent – trotz einer Verwandtenaffäre, in die fast zwei Drittel aller CSU-Abgeordneten und sechs von Seehofers Kabinettsmitgliedern verwickelt waren! Das hat denn doch manchen überrascht, vor allem in der CSU selbst.
Dass sich Seehofer von der jahrzehntelangen Patronage zu distanzieren vermochte, dass er durchgegriffen, auf Rückzahlungen gepocht, seinen Fraktionschef in die Wüste geschickt hat – das alles dürfte größeren Schaden beim Wähler vermieden haben. Gleichzeitig aber hat es etwas vertieft, das das Geschäft für ihn nicht leichter macht: den Graben zwischen dem aus Berlin zugereisten Parteichef und den örtlichen Funktionären.
Mit den Liberalen hat die CSU in Bayern zu leben gelernt. Sie würde sich, wenn es ganz dumm läuft, auch mit den Freien Wählern arrangieren. Doch für Seehofer geht es um mehr. Als Günther Beckstein und Erwin Huber die Wahl vor fünf Jahren vergeigt und die absolute Mehrheit verloren hatten, kam er als Nothelfer. Sie hatten ja nur noch diesen Seehofer mit seinem Querulanten-Image.
Manchmal bricht die Nervosität durch
Das Befürchtete trat ein. Der Neue verpasste seiner Partei nicht nur jede Menge inhaltlicher Zumutungen: Abschied vom Atomkurs, dem geplanten Donauausbau, den Studiengebühren. Er schien es auch zu genießen, mit dem Parteipersonal zu spielen. Ließ den einen gegen die Wand laufen, desavouierte den andern in aller Öffentlichkeit. Als „Elder Statesman“ Edmund Stoiber dieser Tage kundtat, Seehofer sei „als Ministerpräsident angekommen“, hörten alle den Unterton heraus. Eine Landtagswahl hat der Ingolstädter noch nicht bestanden. Wenn’s klappt, ist alles gut. Wenn nicht, gibt es Rechnungen zu begleichen.
Kein Wunder, dass da manchmal noch alte Nervosität durchbricht. Als WDR-Journalisten die Landtagspräsidentin jüngst erneut mit Fragen nach raffgierigen CSU-Politikern bedrängten, konnte Seehofer nicht an sich halten. „Die müssen raus aus Bayern“, bellte er zornig. Es sei ihm um die Einhaltung von Anstandsregeln gegangen, beeilte sich ein Sprecher hinterher zu versichern. WDR und Journalistenverband dagegen sahen die Pressefreiheit missachtet. Und selbst der Koalitionspartner FDP fand das nicht komisch. Da war sie wieder, die alte selbstherrliche CSU. Und die Erinnerung, dass sie vor gut einem halben Jahr ja auch versucht hatte, Einfluss aufs ZDF zu nehmen – woraufhin Seehofers damaliger Intimus Hans-Michael Strepp den Hut nehmen musste.
Doch Seehofer wäre nicht Seehofer, wenn er seine Solistenrolle nicht zu nutzen verstünde. Er ist sie ja gewohnt. Zweieinhalb Stunden nachdem die CSU ihre Merkel-Show in Erlangen staatstragend mit dem Absingen von Bayern- und Deutschlandhymne zu Ende gebracht hat: Die Kanzlerin ist nach Dachau geflogen. Ihr Bewunderer hat sich nach Nordbayern aufgemacht. Grenzland, das auch die Wiedervereinigung nicht nach vorne gebracht hat. Weder von der Sonne noch der CSU verwöhnt. Die Menschen ziehen fort von hier, weil ihre Arbeitsplätze fortgezogen sind. Schulen müssen schließen, es fehlt an Ärzten, die Immobilienpreise sind im Keller. Mit „gelobtem Land“ braucht den Leuten hier keiner zu kommen.
Seehofers Ziel ist die Hofer Freiheitshalle. Wie ein Versprechen steht das futuristische Gebäude in der Stadt, frisch saniert, ein Millionenprojekt. Im überfüllten Festsaal heißt Hans-Peter Friedrich den Chef mit feuriger Rede willkommen. Der Bundesinnenminister ist Bezirksvorsitzender von Oberfranken. CSU-Politiker wie er haben die einstmals rote Hochburg geschleift. Seehofer, das Mikro in der Hand, marschiert nun geradewegs auf Friedrich zu, um ihm vor aufmerksamem Publikum sein Problem zu erklären. „Du hast’s gut, Hans-Peter“, sagt er. „Du hast in Berlin nur die Kanzlerin als Gegenüber. Ich hab’ in München die CSU-Fraktion.“ Der Parteichef macht eine Kunstpause. „Außerdem mag sie dich.“
Ein Regierender, der es schwer hat mit seiner Truppe, ihr aber trotzdem auf die Finger klopft, wenn den Herrschaften im Münchner Maximilianeum das Gemeinwohl aus dem Blick gerät – das gefällt den Leuten. Das Veranstaltungsformat ist eigens geschaffen für den Egotrip des Spitzenkandidaten. „Seehofer direkt“ heißt die Reihe, mit der er durch die Regierungsbezirke tingelt. Auf Tuchfühlung zum Volk, das Publikum darf Fragen stellen, persönlich und per Internet. Das Spektakel ist auch per Live-Stream zu verfolgen. König Ludwig? Aber hallo.
Seehofer hat das Sowohl-als-auch richtig raus
Klar, sagt einer, der die Sache miterfunden hat, Bierzeltreden und Aschermittwochsgepolter müssten auch sein, das gehöre in Bayern schließlich dazu. „Aber das hier, das ist spritzig, nah dran, modern.“ Nicht die hausbackene CSU von gestern. Weil das Ganze nach Unterhaltung riecht, kommen nicht nur Parteimitglieder. Und Seehofer nimmt sie alle mit, auf dieser Bühne mit dem blauen Teppich. Zwei Stunden lang, mit Witz, Charme und Anekdötchen. Dem zum Beispiel, wie es ihm gelinge, bayerische Anliegen in Berlin durchzubringen. „Wenn nichts mehr hilft, setze ich auf das Mittel der Erschöpfung“, erzählt der CSU-Chef. „Irgendwann sind sie im Kanzleramt dann nur noch froh, wenn ich gehe.“
Kümmerer im Freistaat, Macher in Berlin. „Schaun S’ ...“, sagt Seehofer immer wieder, bevor er geduldig zum Erklären anhebt. In Hof geht es um fehlende Arbeitsplätze, die Probleme der strukturschwachen Region. Außerdem gibt es Protest gegen den Bau von immer mehr Windrädern. Nicht alles läuft rund in Bayern und für die Partei, die ganz Bayern sein will.
Aber im Zweifelsfall hilft das Sowohl- als-auch, das die CSU unter Seehofer perfektioniert hat. Ja zur Energiewende – doch es gebe „keinen Grund, ganz Bayern zu verspargeln“. Ja zu Europa – aber bloß keine Kompetenzverluste und Schuldenfässer ohne Boden. Jetzt, wo Merkel nicht dabei ist, kann Seehofer auch noch mal mit der Pkw-Maut für Ausländer anfangen. Beifall garantiert. Und als roter Faden das Versprechen, „gleichwertige Entwicklungschancen“ zu schaffen, für alle im Land und künftig sogar per Verfassung garantiert. Da ist nur erstaunlich, dass keiner fragt, wie es unter der dauerregierenden CSU überhaupt zu so ungleichen Entwicklungen kommen konnte.
Seehofer ist ein Verwandlungskünstler
Auch die Rezepte sind in ihrer Schlichtheit gut zu kommunizieren. Gegen das Schulsterben auf dem Land gibt die CSU die Garantie, gegen den Willen der Eltern künftig einfach keine Grundschule mehr zu schließen. Gegen die ausufernde Bürokratie verhängt Seehofer einen „Paragrafenstopp“, gültig für alle Ministerien und die nächsten fünf Jahre. Und für die strukturschwachen Regionen verspricht er ein „Heimatministerium“, das sich, konsequenterweise fern von München angesiedelt, nichts anderem zu widmen hat als dem ländlichen Raum. Wen Seehofer dafür als Minister im Auge hat? „Bewerbungen werden entgegengenommen.“
Bayern-Bonus, Merkel-Bonus, und dann noch der Populist Seehofer – aus Sicht der Parteistrategen kann da nicht mehr viel schief gehen. Der örtliche Abgeordnete jedenfalls kriegt sich kaum noch ein vor Begeisterung. Er habe schon viele Vorsitzende erlebt, die den Wählern die Welt erklärt hätten, versichert Alexander König. Aber eine derartige Zuwendung ...
Dank und nochmals Dank dem Herrn Ministerpräsidenten. Der Fraktionsvize ist etwas überdreht, denn gerade ist bekannt geworden, dass er sich auf Staatskosten fünf Digitalkameras gekauft hat, darunter eine für fast 7000 Euro. Der CSU-Chef wird ihn kurz vorm Wegfahren noch mal grimmig zur Brust nehmen. Das Publikum kriegt nichts davon mit. Es hat Seehofers monatelanges Sorgenthema, den CSU-Filz, mit keiner Frage erwähnt.
Von draußen sieht die erleuchtete Halle jetzt aus wie ein Raumschiff, Seehofers Publikum strebt nach Hause. „Er ist halt ein Verwandlungskünstler“, sagt einer mit Jeans und Schnauzbart, bevor er ins Auto steigt. „Aber interessant war’s scho.“ Er sieht keinen Grund, den Verwandlungskünstler nicht zu wählen.