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Esther Bejarano war deutsch-jüdische Überlebende des KZ Auschwitz-Birkenau.
© Axel Heimken/dpa
Update

Eine der letzten Zeugen: Holocaust-Überlebende Esther Bejarano mit 96 gestorben

Esther Bejarano überlebte das KZ Auschwitz dank ihrer Musik. Jetzt ist die engagierte Künstlerin gegen Rechts in ihrer Wahlheimat Hamburg gestorben.

Als die Nazis im Vernichtungslager Auschwitz ein Mädchenorchester gründen wollten, meldete sie sich als Akkordeonspielerin – ohne jemals ein solches Instrument in der Hand gehabt zu haben. Das rettete der damals 18-jährigen Esther Bejarano das Leben.

In ihrer Autobiografie erinnerte sie sich: „Dann sollte ich den deutschen Schlager „Bel Ami“ spielen und es gelang mir auch. Das war wie ein Wunder.“ Jetzt ist die kleine Frau mit dem mutigen Herzen, die sich seit Jahrzehnten gegen das Vergessen und für mehr Toleranz eingesetzt hatte und unter anderem mit einer Kölner Hip-Hop-Band gegen Rechts rappte, im Alter von 96 Jahren in ihrer Wahlheimat Hamburg gestorben.

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Sie sei am frühen Samstagmorgen ganz friedlich eingeschlafen und habe nicht gelitten, sagte Helga Obens, eine enge Freundin und Vorstandsmitglied vom Auschwitz Komitee. Schon am Abend habe sich abgezeichnet, dass es ihre letzten Stunden sein werden. Sie sei im Israelitischen Krankenhaus von Freunden umgeben gewesen. „Wir sind alle noch ganz konsterniert.“

Esther Bejarano wuchs wohlbehütet mit ihren drei Geschwistern im damals französischen Saarlouis und später in Saarbrücken auf. Ihr Vater war Kantor in der jüdischen Gemeinde und führte sie an die Musik heran.

Als 1935 das Saarland wieder an das Deutsche Reich angegliedert wurde, verschlechterte sich die Lage für Juden erheblich. Esther Bejarano schaffte es nicht mehr, nach Palästina auszuwandern, ihre Eltern wurden bereits 1941 von den Nazis in Litauen umgebracht. Die junge Frau musste in einem Lager Zwangsarbeit leisten, bevor sie Anfang 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde.

„Ich bekam die Nummer 41948. Namen wurden abgeschafft, wir waren nur noch Nummern“, schreibt Bejarano in ihrer Autobiografie „Erinnerungen“. Darin schildert sie die Schrecken des Alltags im Lager und wie sie durch das Frauenorchester die Chance zum Überleben bekam.

Am schlimmsten war für sie, dass das Orchester auch spielen musste, wenn neue Transporte ankamen, die direkt für die Gaskammern bestimmt waren. „Als die Menschen in den Zügen an uns vorbeifuhren und die Musik hörten, dachten sie sicher, wo Musik spielt, kann es ja so schlimm nicht sein“, erinnerte sie sich. Weil ihre Großmutter Christin war, wird sie ins Frauenstraflager Ravensbrück verlegt und überlebt den anschließenden Todesmarsch.

Nach dem Krieg wanderte die junge Frau nach Israel zu ihrer Schwester Tosca aus. Hier lernte sie auch ihren Mann Nissim kennen, die beiden bekommen die Kinder Edna und Joram. Weil sie mit der israelischen Politik gegen die Palästinenser nicht einverstanden sind, kehrte die Familie 1960 nach Deutschland zurück, obwohl es ihnen schwer fiel, in das Land der Täter zurückzukehren.

Als sie jedoch eines Tages Neonazis auf offener Straße beschimpfen, reichte es Bejarano: Sie entschloss sich, ihr jahrelanges Schweigen zu brechen und wurde politisch aktiv, unter anderem im Auschwitz Komitee.

Zusammen mit Tochter Edna und Sohn Joram gründete Esther Bejarano Anfang der 1980er Jahre die Gruppe Coincidence mit Liedern aus dem Ghetto und jüdischen sowie antifaschistischen Liedern. 2009 nahmen sie mit der Kölner Hip-Hop-Band Microphone Mafia die CD „Per la Vita“ (Für das Leben) auf, die für Verständnis zwischen den Kulturen wirbt. Gemeinsam traten sie auch vor Schulklassen auf, was Esther Bejarano immer besonders am Herzen lag: „Ich sage immer: Ihr seid nicht schuld an dieser schrecklichen Zeit, aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über die Geschichte wissen wollt.“

Für ihr künstlerisches Engagement erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Biermann-Ratjen-Medaille der Stadt Hamburg, die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte und das Bundesverdienstkreuz. Im vergangenen Jahr setzte sich noch dafür ein, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zum Feiertag zu erklären. (dpa)

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