Frankreich: Hollandes Agenda: Jetzt wird gerechnet
Nach der allgemeinen Ankündigung des französischen Präsidenten François Hollande, die Betriebe in seinem Land zu entlasten, geht es jetzt ans Kleingedruckte. Die Arbeitgeber zeigen sich offen für Hollandes "Verantwortungspakt", stellen aber auch neue Forderungen auf.
Berlin - So ändern sich die Zeiten. Noch im November 2011 hatte der französische Sozialist Arnaud Montebourg die Euro-Krisenpolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem europäischen Hegemonialmachtsanspruch Bismarcks verglichen. Am Donnerstag sagte Montebourg, Frankreich müsse die Arbeitslosenquote drastisch senken und „auf ein vernünftiges Niveau von sieben Prozent kommen, so wie die USA und Deutschland“. Zwischen den beiden Äußerungen des heutigen Industrieministers Montebourg liegen das Zustandekommen einer neuen Koalition in Deutschland und, was noch viel wichtiger ist, die Ankündigungen seines Chefs François Hollande vom vergangenen Dienstag. Frankreichs Staatschef hatte vor der versammelten Presse im Elysée-Palast erklärt, er wolle Frankreichs Wirtschaft bis 2017 um weitere Milliarden entlasten und so die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Die Arbeitslosigkeit in Frankreich liegt bei knapp elf Prozent – also weit von den Quoten in Deutschland und den USA entfernt.
Am Dienstag hatte Hollande gefordert, Frankreich müsse „seine wirtschaftliche Stärke wiedererlangen, wenn das Land seinen Einfluss in der Welt behalten wolle“. Inzwischen debattieren die Franzosen über das Kleingedruckte des geplanten Wiederbelebungsprogramms. Bei genauerem Hinsehen fällt die ankündigte Entlastung der Unternehmen bei den Abgaben geringer aus, als die Zahlen zunächst vermuten ließen. Hollande hatte erklärt, dass die in Frankreich produzierenden Betriebe bis 2017 um bis zu 35 Milliarden Euro entlastet werden sollten. Allerdings soll ein bereits bestehender Steuerkredit auf die Summe angerechnet werden – übrig bleiben bis zu 15 Milliarden Euro. Im Gegenzug zur Entlastung bei den Sozialabgaben sollen die Unternehmen neue Arbeitsplätze schaffen. Industrieminister Montebourg forderte den größten französischen Unternehmerverband Medef auf, dass im Zuge von Hollandes „Verantwortungspakt“ innerhalb der nächsten fünf Jahre zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden sollten. Frankreichs Arbeitgebervertreter zeigten sich insgesamt offen für Hollandes Vorschläge, stellten aber ihrerseits auch Forderungen auf. So verlangte der Medef-Präsident Pierre Gattaz, die Arbeitskosten müssten stärker sinken, als Hollande vorgeschlagen hatte.
Die milliardenschwere Entlastung der Unternehmen soll bei deren Abgaben für Familienleistungen greifen. Obwohl Hollande am Dienstag erklärt hatte, dass das Entlastungsprogramm nicht zulasten der Privathaushalte gehen solle, zeigte sich der Präsident der landesweiten Kasse für Familienleistungen, Jean-Louis Deroussen, bestürzt. Man sei zwar darauf vorbereitet gewesen, dass die Unternehmen ihre Sozialabgaben für die Familienleistungen zurückfahren würden. Aber einen derart „brutalen“ Einschnitt habe er nicht erwartet, sagte Deroussen bei einer Anhörung vor der Nationalversammlung.
Zudem wird in Frankreich heftig darüber debattiert, wie das Geld für die Familien wieder hereinkommen soll, wenn die Unternehmensabgaben wegfallen. Hollande hatte angekündigt, dass die Neuregelung durch Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben an anderer Stelle finanziert werden solle. Zu einer Senkung der Ausgaben könnte eine Zusammenlegung der Regionalverwaltungen beitragen, die der Staatspräsident ins Gespräch gebracht hatte. Gegenwärtig ist das französische Mutterland in 22 Regionen gegliedert. Ein Sprecher der Fraktion der regierenden Sozialisten erklärte, eine Reduzierung auf etwa 15 Regionen sei vorstellbar. Allerdings regte sich gegen den Vorschlag Hollandes auch Widerstand. In der Normandie, die in zwei Regionen aufgeteilt ist, erklärte der Chef der östlichen Verwaltungseinheit, Nicolas Mayer-Rossignol, die Bevölkerung müsse vor einer möglichen Zusammenlegung in einem Referendum gefragt werden. Die für die Dezentralisierung zuständige Ministerin Marylise Lebranchu meinte, man dürfe bei einer möglichen Regionalreform nicht „mit der Axt“ vorgehen. Für April oder Mai kündigte sie ein Gesetz an, mit dessen Hilfe gleichzeitig die Kompetenzen der Regionen gestärkt werden sollen.
Beifall für Hollandes Agenda gab es unterdessen vom französischen Zentralbankchef Christian Noyer. Die vom Präsidenten geplanten Reformen förderten die Wettbewerbsfähigkeit des Landes, lobte er. Hollandes Vorschläge wiesen in die „richtige Richtung“, aber man dürfe keine Zeit bei der Umsetzung verlieren, mahnte der Notenbankchef. Sein deutscher Kollege Jens Weidmann wies auf die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und die hohe Ausgabenquote in Frankreich hin. „Die Stärke Frankreichs ist ein ganz zentraler Punkt. Sie entscheidet über die Ausrichtung der Währungsunion“, sagte der Bundesbank-Chef.