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Die älteste Messreihe von CO2 in der Atmosphäre wird auf den beiden Vulkanen Mauna Kea (links) und Mauna Loa (rechts) seit 1958 kontinuierlich aufgezeichnet. Die Vulkane gehören zur Inselgruppe Hawaii.
© AFP

Klimawandel: Höchststand bei CO2-Gehalt in der Atmosphäre

Mit 400 ppm (Teilchen pro einer Million Teilchen) CO2 überschreitet der Anteil des Treibhausgases ein Niveau, das zuletzt im Zeitalter des Pliozän erreicht wurde. Damit steigen auch die Temperaturen - mit nicht kalkulierbaren Folgen.

Wenn die Industrie- und Schwellenländer nicht bald damit anfangen, ihren Treibhausgasausstoß massiv zu senken, ist das Zwei-Grad-Ziel bald nur noch mit gewaltigen Kosten erreichbar. Wenn die globale Erwärmung zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau überschreitet, ist schwer kalkulierbar, wie sich das Klima weiter entwickelt. Das Risiko, nicht mehr stoppbare Prozesse, wie etwa eine beschleunigte Eisschmelze auf Grönland, auszulösen, steigt jedenfalls nach dieser Schwelle beträchtlich an. Mit den nun erstmals in einem Tagesmittel gemessenen 400 Teilchen pro einer Million Teilchen (ppm) Kohlendioxid in der Atmosphäre steigt das Risiko über die zwei Grad hinauszuschießen weiter.
Als die Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre zuletzt 400 ppm (parts per million,  400 CO2-Moleküle auf eine Million Luftteilchen) erreicht hatte, gab es auf der Erde noch keine modernen Menschen. Der Homo Sapiens war noch Zukunftsmusik. Ob es die Zeit von „Ardi“ gewesen ist, dem wohl ältesten Menschen, dessen versteinerte Knochen 2009 in der Afrarwüste in Äthiopien entdeckt wurden, oder doch die von „Lucy“, dem rund eine Million Jahre jüngeren Skelett einer Australopithekus-Frau, die in Kenia ausgegraben worden war, darüber gehen die Meinungen der Wissenschaftler auseinander. Einig sind sie sich, dass die 400 ppm CO2 in der Atmosphäre ins Zeitalter des Pliozän gehören. Damals hatte Grönland keine Eisbedeckung, in Kanada wuchs ein tropischer Wald, und der Meeresspiegel war mindestens 40 Meter höher als heute.

Am Donnerstag Abend haben die amerikanische Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) und die Scipps Institution für Meereskunde auf Hawaai zum ersten Mal einen Tages-Durchschnittswert von 400 ppm CO2 in der Atmosphäre gemessen. Zuvor war dieser Wert schon einmal in der Aktis und im Messlabor Mauna Loa auf Hawaai mehrfach stundenweise gemessen worden. Doch die magische Schwelle ist am Donnerstag erstmals überschritten worden, bestätigte die NOAA am Freitag. Die konkreten CO2-Messungen in Mauna Loa haben 1958 begonnen. Damals begann der Wissenschaftler Charles Keeling die älteste Messreihe für das Treibhausgas CO2. Damals maß er 313 ppm. In den 60er Jahren stieg der CO2-Gehalt in der Atmosphäre jährlich um 0,7 ppm im Jahr. In den vergangenen zehn Jahren waren es 2,1 ppm im Jahr. 2012 war mit einem globalen CO2-Ausstoß von 36 Milliarden Tonnen das Rekordjahr für die Produktion der klimawirksamen Gase.

Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre erreicht im Mai ihren Höhepunkt. Auf der Nordhalbkugel beginnt dann jedoch die Vegetationsphase, woraufhin der CO2-Gehalt wieder leicht sinkt. Allerdings rechnet Peter Tans, der in Mauna Loa forscht, schon in einem, spätestens in zwei Jahren damit, dass die 400 ppm im Jahresdurchschnitt erreicht werden, sagte er dem britischen Wirtschaftsmagazin „The Economist“.

Bis 2015 soll ein neues globales Klimaabkommen ausgehandelt sein.

Die historischen Messungen des CO2-Gehalts in Luftbläschen in Eisbohrkernen gehen 800 000 Jahre zurück. Bis dahin lag der CO2-Gehalt nie höher als 300 ppm. Das vorindustrielle Niveau wird auf 280 ppm geschätzt. Um, wie das beim Weltklimagipfel in Cancun 2010 beschlossen worden ist, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten, dürfte der CO2-Gehalt in der Atmosphäre nicht über 350 ppm steigen. Viele Wissenschaftler halten aber 450 ppm für gerade noch akzeptabel. Auf diesem Niveau liegt die Wahrscheinlichkeit die Erwärmung unter zwei Grad zu halten, allerdings nur noch bei 50 Prozent. Würden die globalen CO2-Emissionen von nun an vollkommen gestoppt – was nicht zu erwarten ist – würde der CO2-Gehalt dennoch auf lange Zeit weiter ansteigen. Denn wenn die Vegetationsphase im Winter endet, wird das zuvor in Pflanzen gebundene CO2 wieder an die Atmosphäre abgegeben. In diesem Atmosphären-Biosphären-Kreislauf bleibt das Treibhausgase Hunderte von Jahren wirksam.

Der Umwelt-Kolumnist des britischen „Guardian“ schreibt zu der magischen Schwelle von 400 ppm CO2, dass diese Zahl „zu einer neuen Ära gehört“. Er bezeichnet sie als „eine Station auf der Straße des Leidens der Umweltzerstörung“. Er fordert, dass die noch nicht geförderten Öl-, Gas- und Kohlevorräte im Boden bleiben sollten, um das Klima zu stabilisieren. Professor Raph Keeling, der Sohn des Begründers der Messungen in Mauna Loa, der die Arbeit seines Vaters weiterführt, sagte dem „Guardian“: „Es ist symbolisch. Ein Punkt, um einzuhalten und darüber nachzudenken, wo wir gewesen sind und wo wir hingehen.“ Kumi Naidoo, Chef der Umweltorganisation Greenpeace, schrieb auf seiner Facebook-Seite: „Wir können diesen Tag als eine traurige Erinnerung daran sehen, was wir unserem Planeten antun, oder wir können ihn als letzten Anstoß zu einer globalen erneuerbaren Energienrevolution sehen, die wir weltweit brauchen.“

Bis 2015 soll ein neues globales Klimaabkommen ausgehandelt sein. Beim 21. Weltklimagipfel in Paris soll der Vertrag unter Dach und Fach gebracht werden. Doch derzeit sieht es nicht so aus, als ob die Verhandlungen zu einem Erfolg führen könnten. Nicht nur, dass 2012 das Jahr mit dem höchsten CO2-Ausstoß aller Zeiten war, die Europäische Union ist gerade dabei ihre lange Jahre glaubwürdig vertretene Rolle als Vorreiterin beim Klimaschutz zu verspielen. Der Handel mit Kohlendioxid-Zertifikaten im europäischen Emissionshandel ist nahezu zum Erliegen gekommen, weil rund zwei Milliarden CO2-Zertifikate zu viel auf dem Markt sind. Ein Versuch, den Zusammenbruch des Emissionshandels zu verhindern, ist vor wenigen Wochen im Europaparlament vorläufig gescheitert. Die globalen Gegensätze sind groß. Der amerikanische Chef-Klimaverhandler Todd Stern, der auch dem neuen US-Außenminister John Kerry dient, hat gerade beim Petersberger Klimadialog in der vergangenen Woche in Berlin seinen Vorschlag für ein Klimaabkommen wiederholt, den er seit dem gescheiterten Weltklimagipfel in Kopenhagen 2009 immer wieder wiederholt hat. Er plädiert dafür, dass jedes Land seine Klimaschutzpläne selbst entwickelt, beim UN-Klimasekretariat bis zum Frühjahr 2015 einreicht, und dann von "allen anderen Staaten" begutachten lässt. Der Nachrichtenagentur Reuters sagte er vor wenigen Tagen, er setze darauf, dass nur Vorschläge eingereicht würden, die die Staaten auch guten Gewissens verteidigen könnten. Dieses Angebots-Meldeverfahren hat bisher allerdings nicht zu ausreichend ambitionierten Selbstverpflichtungen geführt. Nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms zum bisher Klimagipfel in Durban Ende 2012 könnte die globale Erwärmung mit diesem Ambitionsniveau nicht unter drei Grad gehalten werden.

Dagmar Dehmer

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