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Dieses Foto zeigt den Verdächtigen, der in dem Thalys-Zug von Amsterdam nach Paris überwältigt worden ist.
© AFP PHOTO / SOCIAL NETWORK

Thalys-Attacke: Höchster Orden Frankreichs für Anschlags-Vereitlung

Orden der Ehrenlegion nach Eingreifen im Thalys - derweil untersuchen Fahnder das Vorleben des Täters: War er ein Terrorist des Typus "einsamer Wolf"?

Nach dem verhinderten Anschlag eines schwer bewaffneten mutmaßlichen Islamisten im Thalys-Schnellzug von Amsterdam nach Paris sollen die vier Männer, die den bewaffneten Angreifer überwältigten, mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet werden. Mit dieser höchsten Auszeichnung Frankreichs will Präsident François Hollande zwei US-Soldaten, einen US-Studenten und einen Briten am Montag im Elysée-Palast ehren, wie am Sonntag aus Hollandes Umfeld verlautete. Ein Franzose, der ebenfalls gegen den Angreifer vorging, solle ebenso wie ein durch Schüsse verletzter Franko-Amerikaner zu einem späteren Zeitpunkt die Auszeichnung erhalten.

Derweil konzentrieren sich die Ermittlungen der französischen Antiterrorspezialisten auf Fragen nach der Person des mutmaßlichen Täters. Seine Person, sein Werdegang, seine Verbindungen zum radikalen Islamismus sowie zu etwaigen Hintermännern stellen die Ermittler vor zahlreiche Rätsel.

Der verdächtige Täter hatte in ersten Verhören jede Auskunft zu seiner Person verweigert. Auch behauptete er, nicht französisch zu sprechen. Er wurde dann aber auf Grund von Fingerabdrücken als der knapp 26-jährige Marokkaner Ayoub el-Khazzani identifiziert. Sein Name wird im vom französischen Geheimdienst geführten Register radikaler Islamisten mit der Terrorszene in Verbindung gebracht. Gegenüber den Vernehmern bestritt er Pläne für ein Attentat. Die Waffen habe er in einem Rucksack in einem Brüsseler Park gefunden. Mit ihnen habe er die Passagiere im Zug ausrauben wollen, behauptete er. Seitdem schweigt er.

Zweifel am terroristischen Charakter des versuchten Anschlags gibt es für die Pariser Staatsanwaltschaft wie für die Staatsanwaltschaft in Brüssel, die parallele Ermittlungen führt, nicht. In dieser Annahme werden sie durch seinen Werdegang bestärkt. Wie bisher bekannt wurde, kam Khazzani 2007 aus Marokko nach Spanien, lebte zuerst in Algeciras in Südspanien, wo seine Eltern noch heute wohnen. Dort frequentierte er eine islamistische Moschee und zog später nach Madrid. Im März 2014 informierte der spanische Geheimdienst seine französischen Kollegen über dessen Übersiedlung nach Frankreich.

Tausende stehen im französischen Register für Islamisten

Von den französischen Stellen wurde er daraufhin in das "fichier S" (S für Staatssicherheit) genannte Register aufgenommen. Es enthält die Namen von Personen – es soll sich um mehrere tausend handeln –, die wegen Verbindungen zum radikalen Islamismus als verdächtig gelten und je nach potenzieller Gefährlichkeit nach einer von eins bis 16 reichenden Skala eingestuft werden und entsprechend aufmerksam beobachtet werden. Sie unterliegen jedoch keiner ständigen Überwachung. Auch der Name des Islamisten Yassine Salhi, der im Juni dieses Jahres bei Lyon einen Anschlagsversuch auf eine Gasfabrik unternahm und seinen Arbeitgeber enthauptete, stand in diesem Register.

Während Khazzani in Spanien wegen Drogendelikten einsaß, fiel er in Frankreich durch nichts auf.

Im 10. Mai 2015 erhielten die französischen Stellen dann den Hinweis, dass Khazzani von Berlin nach Istanbul mit dem mutmaßlichen Ziel Syrien geflogen sei. Ob er dort jemals ankam, wie lange er sich dort aufhielt und wann und über welches Land er nach Europa zurückkam, ist nicht bekannt. Am 21. Mai erhielten die französischen Stellen zu ihrer Überraschung von Spanien den Hinweis, Khazzani habe sich in Belgien niedergelassen. Möglicherweise, so wird jetzt vermutet, hatte er Verbindung zu dem Terrornetz, das Anfang des Jahres von der belgischen Polizei in Verviers ausgehoben worden war.

War Khazzani also gar nicht nach Syrien gereist? Hatte er sich zuvor auch gar nicht in Frankreich aufgehalten? Wo sich Khazzani zwischen März 2014 und dem Tag des Attentatsversuchs befand, stellt für die Fahnder ein großes Rätsel dar.

Für Spezialisten der Terrorszene gilt der Marokkaner als ein weiteres Beispiel für das, was sie die „einsamen Wölfe“ des Dschihad nennen. Junge Leute radikalisieren sich im Umkreis von Moscheen oder während Aufenthalten im Gefängnis, schmieden isoliert ihre Pläne und schreiten dann zur Tat.

Dilettantische Ausführung oder Zufall

Der erste Vertreter dieses neuen Typs des Gotteskriegers war Mohammed Merah, der 2012 den Anschlag auf die jüdische Schule in Toulouse verübte. Ein anderer ist Mehdi Nemmousche, dessen Attentat im April auf eine Kirche in einem Pariser Vorort von der Polizei vereitelt werden konnte. Auch der erwähnte Salhi fällt in diese Kategorie. Wenn sie scheitern, dann sind oft dilettantische Ausführung oder Zufälle die Ursache.

Bei Khazzani kam wohl beides zusammen. Als erster stellte sich ihm ein junger Franzose entgegen. Nach Angaben der Polizei wollte der junge Mann in dem Zug die Toilette aufsuchen, aus der ihm in dem Augenblick der schwer bewaffnete Khazzani entgegentrat. Geistesgegenwärtig habe er versucht, ihm die Waffe zu entreißen, sei von diesem aber zu Boden gestoßen worden. Khazzani sei dann weiter in das Zugabteil gestürmt, habe mit einem Schuss einen Reisenden schwer verwundet, ehe er von den zwei 22 und 23 Jahre alten amerikanischen Soldaten, Spencer Stone und Alek Skarlatos, und deren Freund Anthony Sadler (22) überwältigt und mit Unterstützung des 62 Jahre alten Briten Chris Norman mit dessen Krawatte gefesselt werden konnte. Wie Spencer Stone dann herausfand, hatte die Kalaschnikow eine Ladehemmung und in der Pistole steckte nach dem ersten Schuss keine Munition mehr.

Die drei Amerikaner schilderten am Sonntag in der US-Botschaft in Paris die Ereignisse. Sie erklärten, sie hätten intuitiv gehandelt und sich vor der Überwältigung des Angreifers keine bewussten Gedanken gemacht. Befragt nach ihren Plänen sagten sie, sie würden als nächstes nach Deutschland gehen.

Während die drei Amerikaner und der Brite in Rundfunk- und Fernsehinterviews den Hergang des gescheiterten Anschlags ausführlich schilderten, legte der junge Franzose, bei dem es sich um einen 28-jährigen Bankangestellten mit Vornamen Damien handelt, Wert darauf, anonym zu bleiben. Zu dem Empfang, den Präsident François Hollande an diesem Montagmorgen den „Helden“ aus dem Thalys 9364 geben will, erhielt er jedoch auch eine Einladung. (mit AFP)

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