zum Hauptinhalt
Hinter Gittern. Seit Jahrzehnten wird über Sinn und Unsinn die Freiheitsstrafe debattiert. In den Gefängnissen hat sich einiges geändert - anderes mutet wie vor 100 Jahren an.
© dapd

Strafvollzug und Knastkultur: Hitze draußen, noch mehr Hitze drinnen

68.000 Menschen sitzen in Deutschlands Gefängnissen. Jetzt, wenn draußen alle den Sommer genießen, wird es in den Zellen besonders eng. Mancher hier zahlt jeden Preis für Drogen und Schnaps. Doch für einige kann Knast auch eine Rettung sein.

Sengende Sonne, die Stadt ächzt unter der Hitze. Wer kann, trägt kurze Hose und T-Shirt. Evelyn Benne dagegen trägt eine dunkle Anzugjacke über der Bluse, dazu Perlenkette und Ohrringe. Benne, 62 Jahre alt, steht vor der Justizvollzuganstalt Plötzensee am nördlichen Ende von Berlin- Charlottenburg. Fester Blick, Händedruck: Willkommen im Knast. Schwere Tore schieben sich auf, Kameras filmen. Benne grüßt die uniformierten Wachen, die Beamten grüßen höflich zurück. Benne ist Leiterin der Anstalt, ein über 20 Gebäude verteiltes Gefängnis, wozu auch das Haftkrankenhaus für ganz Berlin gehört. Fast 300 Strafgefangene sitzen bei ihr ein. Meist sind es Schläger, Diebe, Kleindealer, oft bleiben sie für zwei, drei Jahre. Hinzu kommen 300 Ersatzfreiheitsstrafer, also Männer, die ihre Schulden nicht zahlen konnten, meist Schwarzfahrer.

Gefängnisse sind sehr verschieden - Anwälte sagen, es gebe "Vorzeigeknäste"

Die Wachtürme, die aussehen wie Flughafen- Tower, sind seit Jahren unbesetzt. Der Hof ist inzwischen grün statt grau, Wein rankt eine Mauer hoch, Stiefmütterchen blühen. In einer Gärtnerei stehen Aquarien, Wellensittiche tschilpen in einer Voliere, eine Katze döst auf einem Stuhl. Plötzensee gilt als Vorzeigeknast, man solle sich nicht blenden lassen, sagen Kritiker des Strafsystems, woanders sei es schlimmer. Und Evelyn Benne gilt in Justizkreisen als streng. Sie sagt: „Das wundert mich ein bisschen, richtig ist aber, ich habe eine Linie!“

600 Männer sitzen bei ihr ein. Die Leiterin der Anstalt in Berlin-Plötzensee, Evelyn Benne.
600 Männer sitzen bei ihr ein. Die Leiterin der Anstalt in Berlin-Plötzensee, Evelyn Benne.
© Rückeis

Das Ehrenwort, sich zu benehmen, nimmt sie den Häftlingen schon mal persönlich per Handschlag ab. Jeder vierte Gefangene bekommt regelmäßig Ausgang oder Hafturlaub. Rund 90 Prozent der Gefangenen arbeiten, oft in der anstaltseigenen Wäscherei. Das gilt als Fortschritt, denn obwohl Arbeit in der Haft vorgeschrieben ist, werden in anderen Anstalten viele Gefangene nicht beschäftigt. Benne sagt: „Der Erfolg der Resozialisierung hängt vor allem von Beschäftigung ab, von Arbeit.“ Benne kooperiert auch mit den Jobcentern.

Draußen kostet die Flasche 7,99 Euro - drinnen schnell 100 Euro

Je nach Lohnstufe gibt es in Gefängnissen bis zu 14 Euro für einen Sechs-Stunden-Arbeitstag. Das ist wenig. Essen gibt es zwar kostenlos, Tabak aber ist teuer, und Alkohol ist – weil verboten – eine Kostbarkeit. Eine geschmuggelte Flasche, die draußen acht Euro kostet, ist drinnen zuweilen 100 Euro wert.

Die Anstalt in Berlin-Plötzensee. Die Türme sind unbewacht, die meisten Häftlinge bleiben allenfalls zwei Jahre hier.
Die Anstalt in Berlin-Plötzensee. Die Türme sind unbewacht, die meisten Häftlinge bleiben allenfalls zwei Jahre hier.
© Rückeis

In Plötzensee stehen neben einem Basketballplatz vier Männer, obenrum nackt, die Sonne brennt auf ihre tätowierten Muskeln. Sie gießen Beete, rauchen, feixen. Auch in der Wäscherei verstehen sich die Männer augenscheinlich gut, spielen Karten am Pausentisch, grüßen Leiterin Benne und ihren Besuch neugierig.

Trügt der Schein? Was ist mit Schlägereien, Erpressungen, der berüchtigten Knasthierarchie? Schlägereien seien selten, sagt Benne. Mitglieder organisierter Banden habe man nur wenige, Einfluss hätten sie deshalb kaum. Tatsächlich berichten Anwälte, dass andere Gefängnisse, gerade außerhalb Berlins, gefährlicher seien.

Der Foltermord von Siegburg ist erst ein paar Jahre her

Als Risiko gelten Gemeinschaftszellen, stickige Räume in alten Bauten, aus denen zuletzt 2006 ein bestialischer Fall das Land erschütterte: Drei Heranwachsende hatten einen 20-Jährigen in Siegburg vergewaltigt, gefoltert, dann in ihrer Vierer-Zelle erhängt. In Plötzensee leben alle Insassen in Einzelzellen. In Mehrfachzellen werden die Gefangenen auch in Deutschlands größtem Knast, der Justizvollzuganstalt in Berlin-Tegel, nur auf Wunsch untergebracht. Vorteil: In diesen Zellen sind die Klos abgetrennt, in vielen Einzelräumen hingegen nicht. Da stehen die Toiletten 1,50 Meter neben dem Bett. Noch 2009 war die Anstalt mit 1600 Gefangenen überfüllt. Berliner Verfassungsrichter urteilten, dass die Haftbedingungen mitunter gegen die Menschenwürde verstießen: Das berüchtigte Haus I, in der Kaiserzeit 1896 mit seinen 5,3-Quadratmeter–Zellen eröffnet, ist nun weitgehend geschlossen. Heute sitzen rund 1200 Männer in der Anstalt ein, die einer Burganlage gleicht, einer Stadt in der Stadt. Hier sind eher die „harten Jungs“ untergebracht, die Langstrafer: Mörder, Räuber, Großdealer. Erst im Juni war in Tegel ein Mann, der wegen Kindesmissbrauchs einsitzt, von Mitgefangenen so schwer verletzt worden, dass er ins Haftkrankenhaus gefahren werden musste. Die Täter filmten den Angriff mit einem Handy.

Für genaue Kontrollen reicht das Personal oft nicht - und es wird weiter gespart

Wie Alkohol sind Mobiltelefone im Knast verboten. Doch wie Schnaps werden bei Razzien immer wieder Handys gefunden. „Das bekommt man nur in den Griff, wenn man jeden Dieb wie einen Terroristen bewacht“, sagt ein Beamter. Das sei aus sozialtherapeutischen Gründen nicht gewollt. Außerdem reiche die Mannschaft dazu nicht aus, zumal man nicht nur „Schließer“ sein soll, sondern Helfer. In vielen Schichten fehlten die Leute, um bei der Hitze die Zellen länger aufzulassen. Für die meisten Gefangenen in Tegel ist 19 Uhr 45 Nachteinschluss. Man gehe sich „unglaublich auf die Nerven“, berichtet ein Häftling. Zuletzt herrschten drinnen bis zu 38 Grad. In Tegel und Plötzensee gab es deshalb viel kalten Tee.

Die Anstalt in Berlin-Plötzensee. Anders als in anderen Gefängnissen werden rund 90 Prozent der Häftlinge beschäftigt.
Die Anstalt in Berlin-Plötzensee. Anders als in anderen Gefängnissen werden rund 90 Prozent der Häftlinge beschäftigt.
© Rückeis

Einheitliche Standards fehlen hierzulande. Wie lange Gefangene in den Zellen bleiben, wie oft Hofgang gewährt wird, legen die Leitungen je nach Klientel und Personalstärke fest. Und Personal ist nicht nur in Berlin knapp. Der öffentliche Dienst ist flächendeckend überaltert, viele gehen bald in Rente. In Berlin sollen dazu wegen der leeren Landeskasse 200 von 2900 Justizstellen wegfallen. Das Land will immerhin vor allem in der Verwaltung streichen, nicht unmittelbar bei den Gefangenen. Gerade aus Tegel klagen Häftlinge und Ex-Insassen auf Entschädigung. „Zellen ohne abgetrennte Toiletten, zu wenig Therapien, zu wenig Vorbereitung auf die Zeit nach der Haft“, fasst Sebastian Scharmer zusammen. Der Anwalt beschäftigt sich seit Jahren mit den Rechten von Gefangenen.

Wer entlassen wird, steht zuweilen vor dem Nichts

Fast 68000 Häftlinge, meist Männer, sind derzeit in Deutschland eingesperrt. Tendenz fallend, die Überalterung der Gesellschaft macht sich auch bei der Kriminalität bemerkbar. Doch obwohl die Häftlingszahlen abnehmen, dürfte das Personal absehbar kaum reichen, wenn man knastinterne Taten verhindern und Insassen auf ein Leben draußen vorbereiten will. Schon jetzt, klagen Beamte, fehlten Bewährungshelfer, die in der Haft ihre Klienten treffen – und draußen für sie Zeit haben. Für Fälle wie Jan Brahme (Name geändert), 45 Jahre, Junkie, vorbestraft. Derzeit sitzt er wegen Hehlerei, im Herbst wird er entlassen. Sozialarbeiter, die ihm eine Wohnung besorgen, fehlen. „Der wird wieder abrutschen“, sagt ein Beamter. Und dabei steht Berlin in der Sozialarbeit besser als die meisten Bundesländer da.

Internet für Häftlinge?

Die Vorbereitung auf die Entlassung haben auch die Rechtsexperten in der Politik als wunden Punkt ausgemacht. Linke und Grüne fordern einen eingeschränkten Internetzugang für Häftlinge. Wer soll draußen klarkommen, wenn er drinnen nie im Netz war? Aus dem Haus von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) heißt es, das Internet sei schwer zu kontrollieren und berge unendliche Möglichkeiten des Missbrauchs – für Sexualstraftäter, Betrüger, Spielsüchtige. Man prüfe, inwiefern künftig mehr Gefangene dennoch ins Netz dürfen.

„Wer behauptet, Knäste sind drogenfrei, der lügt.“

Um weniger Drogen reinzulassen, werden monatlich Spürhunde durch Plötzensee geschickt, meist finden sie kleine Mengen Haschisch. In Tegel, sagen Gefangene, gebe es Heroin. Anwalt Scharmer hat Mandanten, die dort den Stoff seit Jahren nehmen.

Jemand, der sich mit den Süchten von Gefangenen auskennt, ist Marc Lehmann. Er ist Ärztlicher Direktor des Haftkrankenhauses in Plötzensee, alle 26 Berliner Gefängnismediziner unterstehen ihm. Lehmann schätzt, fast die Hälfte der Häftlinge habe ein Drogenproblem: „Wer behauptet, Knäste sind drogenfrei, der lügt.“ An den Drogen in den Anstalten kann man gar erkennen wo ein Knast wahrscheinlich liegt: In Berlin und Hamburg ist es leichter, an Heroin zu kommen als in Anstalten in Sachsen und Bayern. Dort gibt es eher Crystal, die Synthetikdroge aus tschechischen Laboren.

Mehrfachmörder treffen Schwarzfahrer

Lehmann wirft einen Blick in die psychiatrische Station. Hier könnten Mehrfachmörder aus Tegel auf Schwarzfahrer aus Plötzensee treffen. Man müsse wachsam sein, sagt ein Pfleger, die Hitze schlage den Leuten aufs Gemüt. Bei Lehmann landen besonders traurige Fälle. Einmal sei ein Trinker zum Haftantritt eingeliefert worden, der im Park gelegen habe, mit offener Haut an den Beinen, in denen Maden wimmelten. Weil das Haftkrankenhaus für einige die letzte Chance ist, bekommen ausgerechnet die Knastärzte Dankesbriefe. Auf ein Papier am Pinnbrett im Flur hat eine Frau gekritzelt: „Ihr habt mich gerettet!“

Ein Problem seien Hepatitis und HIV, die zumeist mit in die Haft gebracht werden. Auch im Knast selbst würden sich Männer – wenn auch selten – auf den üblichen Wegen anstecken: also durch Spritzen, Sex. Letzteres muss nicht Vergewaltigung bedeuten. „Ich kenne Männer, die sich für Drogen prostituieren“, sagt ein Beamter. „Heroin ist drinnen teuer.“

Es gibt sie noch: knastinterne, hierarchisierte Gruppen

Am besten kämen die knastinternen Netzwerke klar, heißt es. Auch wenn es weniger oft mafiöse Strukturen gebe, würden russische, vietnamesische und arabische Gefangene hierarchisierte Gruppen bilden. In einigen Anstalten seien Neonazis präsent, manchmal auch Rocker. Ob sich eine Gruppe durchsetzt, hat nicht nur mit der Militanz ihrer Mitglieder im Gefängnis zu tun, sondern mit ihrem Image draußen. Einem inhaftierten Rocker hilft sein Klub dadurch, dass er draußen Druck auf Angehörige anderer Gefangener ausüben könnte.

In Heidering stehen die Klos nicht mehr neben dem Bett

Wohin geht der Knastalltag? Gefangene hätten keine Lobby, sagen Anwälte. Keine Partei gewinnt Wahlkämpfe mit Forderungen nach moderneren Gefängnissen. Für 120 Millionen Euro hat Berlin eine neue Anstalt in Heidering bauen lassen. Baulich der richtige Ansatz, wird der Senat von allen Seiten gelobt. Dennoch, mahnen die Grünen, hätte man das Geld besser für Therapien ausgegeben. In Heidering wurde keine Mauer errichtet, sondern ein Zaun, man soll wenigstens weit sehen können. Und immerhin, das WC steht nicht mehr am Bett.

Zur Startseite