Entscheid zum Doppelpass: Hier die CDU, da Angela Merkel
Nach dem Parteitag hadert die CDU mit dem Beschluss zur Doppel-Staatsbürgerschaft. Nur Horst Seehofer und der CSU kommt das Votum gerade recht.
Am Tag danach könnte Julia Klöckner eigentlich zur vorweihnachtlichen Tagesordnung übergehen. Aber das turbulente Ende des CDU-Parteitags lässt der stellvertretenden Parteivorsitzenden keine Ruhe. Das Votum der Delegierten zur Doppel-Staatsbürgerschaft sei weder gegen die Parteichefin Angela Merkel gerichtet noch gegen sonst irgendjemanden, versichert Klöckner am Donnerstag in Mainz. Das ist eine sehr eigenwillige Deutung des Vorgangs. Sie zeigt erst recht, wie sehr diese eine Abstimmung an der Statik der CDU rüttelte.
Eigenwillig ist die Deutung schon deshalb, weil zwei von Merkels engsten Helfern gegen den Antrag der Jungen Union für die Abschaffung des Doppelpasses für hier geborene Kinder von Ausländerfamilien angeredet hatten. Weder Innenminister Thomas de Maizière noch Generalsekretär Peter Tauber konnten verhindern, dass eine knappe Mehrheit von 319 gegen 300 Delegierte die Rückkehr zur Rechtslage vor 2014 forderte.
Kaum war der Parteitag vorbei, setzte Merkel selbst noch einen drauf: Sie finde den Antrag nicht nur in der Sache falsch, ließ die Kanzlerin die eigene Partei in diversen Fernsehinterviews wissen, sondern werde jedenfalls in dieser Wahlperiode auch nichts tun, um ihn umzusetzen.
Womit eine strittige Abstimmung endgültig zur Konfrontation wurde: hier die Partei, da die Chefin. Das ganze mühsame Zusammenraufen am Vortag schien vergebens, bei dem Merkel die eigene Partei um Hilfe im nächsten Wahlkampf gebeten und die Partei mit einem halbwegs akzeptablen Wahlergebnis mürrisches Einverständnis signalisiert hatte.
Klöckner, wie gesagt, will das so nicht gedeutet wissen. „Bei der CDU heißen wir entweder ,Kanzlerwahlverein’, oder wir schwächen jemanden“, klagt die Rheinland-Pfälzerin. „Ich finde, dazwischen gibt es auch noch ein bisschen was.“ Ein Parteitag stehe für „CDU pur“, was aber nicht bedeute, dass in Berlin am nächsten Tag der Koalitionsvertrag umgeschmissen werden müsse. Auch aus Hessen bekommt Merkel in der Sache Unterstützung. Der Ministerpräsident – und CDU-Vize – Volker Bouffier glaubt ebenfalls nicht, „dass dieser Beschluss in die Regierungsarbeit“ eingehen werde.
In Wahrheit hat auch niemand den Bruch der aktuellen Koalitionsvereinbarung gefordert. Der Antrag lässt offen, wann der Doppelpass abgeschafft und die Wahlpflicht für 18- bis 23-Jährige wieder eingeführt werden soll. Bei den Antragstellern wird auf diese feine Unterscheidung Wert gelegt. Denn da ist am Tag danach ebenfalls hier und da ein leichter Kater zu bemerken. Dass der Parteitag sich mal der Führung widersetzt, war gewollt und erwünscht. Präsidiumsmitglied Jens Spahn wusste natürlich auch, was er tat, als er den Parteitag zu Selbstbewusstsein statt Koalitionsräson aufrief und damit Merkels Helfer ausmanövrierte.
Nichts Gutes für Merkel
Aber aus alledem den Eindruck abzuleiten, dass ganz generell die Kanzlerkandidatin in eine Richtung marschiert und die Parteimehrheit in die andere zerrt – das ist den Widerständlern auch wieder nicht recht. Die Schuld geben sie freilich Merkel und ihrer harschen Reaktion. „So mit diesem Beschluss umzugehen, war die schlechteste Möglichkeit“, kritisiert einer aus dem Kreis der Antragsteller. „Sie hat dem Affen noch Zucker gegeben.“ Dass die CDU-Chefin nicht dem Parteitag die Meinung gesagt habe, sondern hinterher im Fernsehen, habe die Sache erst recht überhöht: Die Kanzlerin redet nicht mit ihrer Partei, sondern von ferne über sie hinweg – schlechtes Bild.
Ändern lässt sich das jetzt aber nicht mehr; auch nicht dadurch, dass sich Merkels Stellvertreter Klöckner und Bouffier zusätzlich inhaltlich hinter Merkel stellen. Es sei falsch, alle drei Jahre die Haltung zum Staatsbürgerrecht zu ändern, sagt selbst Bouffier. Das ist doppelt bemerkenswert, weil er die legendäre Unterschriftenkampagne der Hessen-CDU gegen den Doppelpass aktiv miterlebt hat, die Roland Koch zur Macht in Wiesbaden verhalf. Der Konservative, der heute geräuschlos mit Grünen zusammen regiert, hat vielleicht gerade aus dieser historischen Erfahrung heraus eine feine Nase für die Sehnsucht nach guten alten Zeiten, der diesen Parteitagsbeschluss umweht.
Nur einem kommt das Votum gerade recht. Horst Seehofer hat der großen Schwesterpartei aus München eine „positive Gesamtentwicklung“ bescheinigt. Die Formulierung entstammt wohl nicht zufällig der Zeugnis-Sprache, wo sie so viel bedeutet wie: Die Leistungen der Kandidatin sind nach wie vor ungenügend, sie bemüht sich aber immerhin. Wer das nicht versteht, dem hilft der CSU-Chef nach: „Wir sind noch längst nicht über den Berg.“
Für Merkel verheißt das nichts Gutes für die angestrebte Versöhnung, die am 6. Februar in München besiegelt werden soll. Obendrein erhebt nach Seehofer-Manier jetzt sogar ein an sich besonnener und zurückhaltender Mann wie Manfred Weber, CSU-Vize und Chef der Konservativen im EU-Parlament, die „Obergrenze“ zur Koalitionsbedingung. Merkel hat sich dieser letzten Maximalforderung aus München bisher strikt widersetzt. In ihrer Rede hat sie an die Bayern appelliert, unterschiedliche Meinungen einfach mal stehen zu lassen. Vor dem Essener Parteitag haben Wolfgang Schäuble und andere Christdemokraten ihr dafür ausdrücklich Rückendeckung gegeben.
Aber nach dem Parteitag, nach dem nicht berauschenden Wahlergebnis und der Niederlage beim Doppelpass wittern sie in München womöglich Morgenluft. Wer weiß, vielleicht geht da ja auch noch was?