Nach Übergriffen von Köln: Henriette Reker - eine Armlänge voraus
Für ihren Ratschlag an Frauen wird die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker unablässig verspottet und beschimpft. Das ist ein bisschen ungerecht. Ein Kommentar.
Was rät man nun seiner 19-jährigen Tochter, wenn sie vorhat, sich abends ins Getümmel auf dem Alex zu stürzen? Na klar: Halt mal lieber eine Armlänge Abstand!
Henriette Reker hat für diesen eher lebenspraktischen Ratschlag jetzt 24 Stunden lang öffentliche Prügel bezogen. Reker ist Kölns Oberbürgermeisterin. Nach den gewalttätigen Übergriffen in der Silvesternacht auf der Domplatte hatte sie bei einer Pressekonferenz am Dienstag lückenlose Aufklärung der Vorgänge versprochen.
Beinahe 100 Anzeigen waren bis dahin eingegangen, weil Frauen bedrängt, beraubt und zum Teil sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Weltweite Empörung. Reker hat am Dienstag keinen Zweifel daran gelassen, dass Köln die Vorfälle aufklären und die Bürger künftig besser schützen muss. So weit war das der Dimension des Geschehens angemessen und korrekt für eine Politikerin in ihrer Situation.
Trotzdem steht sie seither in der Öffentlichkeit wie jemand am Pranger, der Frauen eine Mitschuld an sexuellen Übergriffen gibt, weil etwa deren Rocklänge nicht stimmt und sie sich nicht fernhalten von Gruppen besoffener Gestalten. Eben: weil sie keine Armlänge Abstand halten. Naiv sei das, wurde Reker bei Twitter unter dem Hashtag „#einearmlaenge“ vorgeworfen und auch, sie verhöhne die Opfer von Gewalt.
Spott und Schimpftiraden
Bitterer Spott und Schimpftiraden anonymer und auch nicht anonymer Netznutzer ergießen sich seither über die 59 Jahre alte Reker. Aber auch beißende Kritik aus der Bundesregierung. Justizminister Heiko Maas (SPD) twitterte, er halte von Verhaltenstipps für Frauen „rein gar nichts“. Und auch Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) ließ wissen: „Die Zeiten, wo wir Frauen uns nicht frei bewegen dürfen, sind vorbei.“
Ist diese Kritik angemessen, hat Reker Opfer verhöhnt, Frauen zu Wollstrümpfen geraten oder gar ihr Recht auf freie Bewegung infrage gestellt? Wer ihr das unterstellt, sollte nicht vergessen: Die Frau ist erst im letzten Herbst selbst Opfer eines Gewalttäters geworden, musste ihren Wahlkampf abbrechen, lag wochenlang im Krankenhaus. Kaum vorzustellen, dass so jemand kein Gespür für Recht und Unrecht hat.
Am Mittwoch hat sich Henriette Reker zur Wehr gesetzt. Bei der Pressekonferenz habe sie – unter anderem – ein neues Sicherheitskonzept für Köln und überarbeitete Schutzhinweise in Aussicht gestellt und sei von einer Journalistin um ein praktisches Beispiel gebeten worden, wie man sich als Frau schützen könne. Verkürzt sei das aus dem Zusammenhang gerissen worden.