Nach den Anschlägen von Brüssel: Henkel: Kein deutsches "Molenbeek"
Berliner Innensenator konstatiert aber wachsende Zahl der Extremisten. Die Sicherheitsmaßnahmen werden dennoch nicht zusätzlich verstärkt.
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) zufolge existieren in der Bundeshauptstadt keine von Islamisten geprägten Parallelgesellschaften wie etwa im Brüsseler Stadtteil Molenbeek. Es gebe zwar "bekannte Treffs und Moscheevereine, in denen die Szene zusammenkommt", sagte Henkel am Donnerstag der Zeitung "Die Welt". Doch "solche Islamistenhochburgen wie Molenbeek haben wir bei uns nicht".
"Dass es ganze Wohnviertel gibt, die von Islamisten dominiert werden und als Brutstätte für den Terror dienen, ist hier nicht der Fall", sagte der Innensenator weiter. Auch hätten die Berliner Sicherheitsbehörden bei ihren Ermittlungen gegen islamistische Netzwerke "keine Moscheen", sondern stets einzelne "Vereine und Personen" im Blick.
Allerdings sei es schon eine Herausforderung, "dass der relevante Personenkreis sehr dynamisch wächst". Schwerpunkte der Salafistenszene befinden sich nach den Worten Henkels allerdings beispielsweise in den Stadtteilen Neukölln oder Wedding. Derzeit würden dem salafistischen Bereich 710 Menschen zugeordnet, von denen rund die Hälfte als "gewaltorientiert" eingeschätzt werde. Henkel zufolge funktioniert die präventive "Terrorbekämpfung" in Deutschland bislang "recht gut", nimmt die Kapazitäten von Polizei und Geheimdiensten jedoch stark in Anspruch.
Größtes Problem der Berliner Sicherheitsbehörden seien aktuell rund 50 Rückkehrer aus den Kriegsgebieten im Irak und Syrien. Bei diesen handele es sich um "brutalisierte Menschen, die Erfahrung im Umgang mit Kriegswaffen haben", sagte Henkel. Laut dem Innensenator sei vielen gewaltbereiten jungen Muslimen ein Gefühl der "Entwurzelung", schwierige Familienverhältnisse und "mangelnde Bildung" gemein.
Keine konkrete Gefahr, heißt es
Diesen "wenig gefestigten" Menschen werde von radikalen Vordenkern ein "verzerrtes Islambild" vermittelt", sagte der Innensenator weiter. Er hob hervor, es gehe hier nicht um ein Problem des Islam an sich, sondern um "Menschen, die in einer falschen Interpretation ihrer Religion andere Leute zur Gewalt anstacheln". Ziel müsse es sein, einen solchen Missbrauch von Religion zu verhindern. Henkel verwies in diesem Zusammenhang auf bestehende Präventionsprogramme.
Vor wenigen Wochen war für Berlin die Zahl von 690 Salafisten genannt worden. Im Verfassungsschutzbericht 2013 wurden 500 Salafisten beobachtet, 2014 dann 570. Berlin ist wie Nordrhein-Westfalen und Hessen eine Hochburg der Szene, hier könne man sich gut verstecken, da es viele arabischstämmige Menschen gebe. „Dennoch ist Berlin kein Molenbeek“, hatte bereits der Berliner Verfassungsschutz am Mittwoch versichert. Molenbeek ist der Brüsseler Stadtteil, in dem nicht nur die Attentäter von Paris zu Hause waren.
Ein Grund für das Wachsen der salafistischen Szene soll die Flüchtlingswelle sein. Die Einschleusung von Dschihadisten als Flüchtlinge sei möglich, hieß es beim Verfassungsschutz. Kürzlich hatte Verfassungsschutzchef Bernd Palenda von einer „beunruhigenden Situation“ gesprochen, die „mit Besorgnis beobachtet“ werde. Aktuell soll es keine direkte Drohung gegen Berlin geben. Dies ist am Tag nach den Anschlägen auch auf den Straßen zu sehen. Am Checkpoint Charlie, im Februar nach der bundesweiten Razzia gegen Islamisten als Berliner Anschlagsziel konkret genannt, ist keinerlei Polizei zu sehen. Die Hütchenspieler können ungestört Touristen betrügen – heute ist das ein gutes Zeichen. Den Banden wird ein absolut sicheres Gespür für das Erkennen von Polizisten bereits aus der Ferne nachgesagt, auch in zivil.
Auch am Hauptbahnhof patrouillieren zur Mittagszeit keine Polizeistreifen mit Maschinenpistolen wie nach den Attentaten von London oder Paris. Eine Gruppe von Beamten der Bundespolizei steht ohne Weste hinter der Wache, raucht und ist guter Dinge. Im Bundespolizeipräsidium heißt es, dass am Hauptbahnhof und an den Flughäfen weiterhin Beamte in Schutzwesten und mit Maschinenpistolen bewaffnet Streife laufen, allerdings nicht ununterbrochen.
Offiziell gibt es diese Stellungnahme von der Bundespolizei, die für die Sicherheit auf Bahnhöfen und Flughäfen zuständig ist: „Wir haben keine Veranlassung, die nach den Anschlägen von Paris ohnehin hohen Standards noch einmal zu erhöhen.“ Neben den Doppelstreifen „laufen Maßnahmen, die nicht für jeden sichtbar sind“, hieß es weiter. Details werden nicht genannt, um Terroristen keine Hilfestellung zu geben. Dem Vernehmen nach ist die laufende Überwachung der Kamerabilder intensiviert worden, zudem wurden die eingesetzten Beamten sensibilisiert und geschult. In Tegel und Schönefeld werden bei einigen Flügen die Passagiere schon kurz nach Verlassen der Maschine kontrolliert.
Grundsätzlich steht Berlin natürlich auf der Liste möglicher Anschlagsziele. Berlins Verfassungsschutzchef Palenda hatte im Februar von Erkenntnissen gesprochen, nach denen der „Islamische Staat“ „eine europaweite Anschlagsagenda verfolgt, zielgerichtet auf alle europäischen Großstädte“. Seit Jahren gilt in Berlin eine „abstrakt hohe Gefährdung“. Daran hat sich nach den Anschlägen in Brüssel nichts geändert, es ist die höchste Warnstufe. Auf einer Veranstaltung mit Politikern hatte Palenda auf die Frage, wie denn eine „abstrakte Gefahr“ zu verstehen sei, sehr pointiert formuliert: „Höher geht es nicht. Alles, was danach kommt, ist Bumm.“
Eine „konkrete“ Gefahr gibt es derzeit nicht. Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte bereits Stunden nach den Brüsseler Anschlägen: „Wir haben es unverändert mit einer sehr ernst zu nehmenden Sicherheitslage zu tun. Das Sicherheitsniveau ist sehr hoch. Die Behörden haben ihre Maßnahmen bereits nach den Anschlägen von Paris angepasst, insbesondere auch bei Fußballspielen. Berlin steht als Hauptstadt wahrscheinlich ganz oben auf der Liste der möglichen Anschlagsziele, denn nirgendwo wäre das Medienecho für den „Islamischen Staat“ größer. (mit AFP)
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