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Helmut Schmidt (SPD) ist im Alter von 96 Jahren in Hamburg gestorben.
© dpa

Altkanzler: Helmut Schmidt - ein großer Deutscher ist gestorben

Er konnte Deutschland die Welt erklären und der Welt Deutschland. Helmut Schmidt war Kanzler und Krisenmanager. Wirklich beliebt wurde er aber erst spät.

Helmut Heinrich Waldemar Schmidt – so hieß er. Er war nicht nur ein Politiker, er war der beliebteste deutsche Politiker. Geachtet war er schon zu seiner aktiven Zeit, als Bundeskanzler von 1974 bis 1982. Da war Schmidt der beste Redner seiner Zunft, Typ Staatsmann, sehr hamburgisch, sehr angelsächsisch, sehr weltläufig in Gestus und Habitus. Aber auch schnoddrig und, wie seine Gegner – und er hatte viele – meinten, arrogant. Doch er war einer, dem man Führung, englisch „Leadership“ zutraute. Dem man sich anvertraute. Ab 1961 war Schmidt Senator der Polizeibehörde in Hamburg und die Sturmflut 1962 war sein Durchbruch: als Krisenmanager. Er zögerte nicht, sondern packte zu. Das machte ihn populär.

Seine Zeit als Kanzler war nicht die längste aber vielleicht die härteste

Von 1967 bis 1969 war er Chef der SPD-Bundestagsfraktion – und was für einer. Messerscharf, keiner, der sich oder den Gegner schonte. Es war die Zeit der ersten großen Koalition, und Schmidt war gefürchtet als „Chief Whip“. Ein Macher, der sich als Parlamentarier zeigte und als Meister der Debatte.

Seine Zeit als Bundesminister der Verteidigung ist Legende: Schmidt, Jahre im Krieg, Oberleutnant der Wehrmacht, beherrschte die Materie und die ersten demokratischen Streitkräfte mit ihren „Staatsbürgern in Uniform“. So sehr wie kein anderer nach ihm. Doppelminister, Superminister war er auch, 1972 für ein halbes Jahr: Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen. Dann Finanzminister, bis 1974. Als Willy Brandt ging, kam Helmut Schmidt. Es heißt, dass in diesem Moment, dem dann größten seiner Laufbahn, auf den er hingearbeitet hatte, dass also genau in diesem Moment Schmidt – zögerte. Aber wenn, dann nur kurz.

Seine Amtszeit als Bundeskanzler war nicht eine der längsten, aber gewiss eine der härtesten. Weltwirtschaftskrise, Ölkrise, Deutscher Herbst. Die RAF forderte den Staat heraus, erzwang Brutalität der führenden Politiker gegen sich selbst. Der Entführungsfall Schleyer brachte Schmidt an den Rand dessen, was er ertragen konnte. Und doch: Der Staat darf sich nicht erpressen lassen – nach diesem Grundsatz handelte er. Hanns Martin Schleyer starb, ermordet von der RAF. Dessen Familie machte erst spät ihren Frieden mit Schmidt.

Schmidt blieb Weltökonom und Welterklärer

Und dann die Nato-Nachrüstungsdebatte. Schmidt hatte eine Rüstungslücke entdeckt, trat für neue atomare Mittelstreckenraketen in Westdeutschland ein, sollten die Sowjets nicht verhandeln und ihre SS 20 abziehen wollen. Die SPD verließ ihn. Auf einem Parteitag stimmte nur eine Handvoll Delegierte mit ihm. Das „Wendepapier“ des Grafen Lambsdorff von der FDP brachte das Ende der sozialliberalen Koalition. 1980 war es Schmidt noch gelungen, mit den Liberalen gemeinsam Franz Josef Strauß als Kanzler zu verhindern. Das Duell Schmidt gegen Strauß gehört wegen der Schärfe der Rhetorik auf beiden Seiten zu den unvergessenen Wahlkämpfen der West-Republik.

1983, von Helmut Kohl und der FDP mit einem konstruktiven Misstrauensvotum aus dem Amt gezwungen, wurde Helmut Schmidt Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ – und in dieser Zeit der beliebteste deutsche Politiker. Er blieb „Weltökonom“ und Welterklärer, gerne „auf eine Zigarette“ mit Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, blieb geschätzter Gesprächspartner aller Großen, geachtet von US-Präsidenten, chinesischen Staatschefs, Machthabern in Moskau. Er ersparte ihnen manch hartes Wort nicht. Schmidt war auch Menschenrechtspolitiker, er redete nur nicht darüber. Weil er das Prinzip der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten im Prinzip für richtig hielt und sich weigerte, Staaten vorzuschreiben, dass sie sich wie der Westen zu organisieren hätten. 1997 aber gehörte er – darüber redet keiner – zu den Erstunterzeichnern der Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten.

An Gott glaubte er seit Ausschwitz nicht mehr so recht

Sein Verhältnis zur SPD, der er seit 1945 angehörte, deren Vizevorsitzender er von 1968 bis 1984 war, entkrampfte sich in den letzten Jahren. Schmidt kam wieder zu Parteitagen, war inmitten der Genossen an der einsamen Rauchsäule seiner Zigarette auszumachen. Er war evangelisch-lutherisch, aber nicht religiös und auch kein Atheist. Er mochte Bach, die Orgel und komponierte als 17-Jähriger vierstimmige Sätze zu Kirchenliedern. An Gott glaubte er seit Auschwitz nicht mehr so recht, er hielt es lieber mit den Philosophen, mit Marc Aurel, Immanuel Kant, Max Weber und Karl Popper. Schmidt war nach dem Tod seiner geliebten Frau Loki wieder liiert, mit Ruth Loah. Nach der letzten Operation wollte er nicht im Krankenhaus bleiben. Er starb daheim, in seinem Haus in Hamburg-Langenhorn, im Kreis seiner Familie. Mit ihr trauert ganz Deutschland.

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