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Das geltende Sexualstrafrecht schützt die Frauen bisher umfassend nur, wenn ein Täter gegen sie Gewalt anwendet, ihnen droht oder sie ihm ausgeliefert sind.
© picture alliance / dpa

Gesetzentwurf des Justizministers: Heiko Maas will das Sexualstrafrecht verschärfen

Jede siebte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal im Leben schwere sexuelle Gewalt, schätzen Frauenrechtler. Fügen sie sich und halten still, kann die Tat nicht immer bestraft werden. Justizminister Heiko Maas will das ändern.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will das Sexualstrafrecht verschärfen. Künftig sollen Missbrauch und Vergewaltigung auch in Fällen ausdrücklich strafbar sein, in denen sich das Opfer nicht erkennbar wehrt oder dem Täter nicht ausgeliefert ist. Ein Gesetzentwurf dazu soll demnächst mit den Ländern und Verbänden abgestimmt werden.

Welche Verschärfungen sind geplant?

Der Referentenentwurf befindet sich noch in der ressortinternen Abstimmung. Wesentliches scheint aber festzustehen. Danach will Maas Paragraf 179 des Strafgesetzbuchs neu fassen, in dem bisher der sexuelle Missbrauch Widerstandsunfähiger erfasst wird. Zugleich sollen dann ähnlich lautende Regelungen in Paragraf 177 (Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung) sowie in Paragraf 240 (Nötigung) gestrichen werden. Der neue Paragraf 179 soll künftig "Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände" heißen. Sexuelle Handlungen an anderen Personen können danach mit Haft zwischen sechs Monaten und zehn Jahren bestraft werden, wenn der Täter bestimmte Situationen ausnutzt: Das Opfer muss entweder psychisch, physisch oder aufgrund eines Überraschungsmoments zur Gegenwehr unfähig sein – oder im Fall seines Widerstands ein "empfindliches Übel" befürchten.

Welches Ziel hat das Gesetz?

"Es gibt Situationen, in denen die Voraussetzungen von Paragraf 177 StGB nicht vorliegen, die aber dennoch in strafwürdiger Weise für sexuelle Handlungen ausgenutzt werden", heißt es in dem Entwurf. Gemeint sind Taten, bei denen die Betroffenen schweigen und verängstigt stillhalten, statt um Hilfe zu rufen oder sich zu wehren. Der bisherige Vergewaltigungstatbestand 177 habe sich als "zu eng" erwiesen. Die gegenwärtige Rechtslage sei unzureichend. Der Entwurf sei "ein erster, wichtiger Schritt, um kurzfristig Schutzlücken zu schließen, die wir ausgemacht haben", sagt eine Ministeriumssprecherin. So sollten insbesondere Frauen – aber, wie die Sprecherin betont, natürlich auch Männer – besser vor sexueller Gewalt geschützt werden.

Gibt es wirklich Schutzlücken?

Um diese Frage dreht sich schon länger eine kriminalpolitische Diskussion. Schlagzeilen machte ein Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) in dem ein Täter, der Ehemann, nicht wegen Vergewaltigung verurteilt wurde, weil seine Frau fürchtete, er könne ihr etwas antun und die schlafenden Kinder könnten durch laute Gegenwehr aufwachen. In Fachkreisen gilt das Urteil jedoch als Ausrutscher. Tatsache ist auch, dass die Gerichte in solchen Fällen auf andere Tatbestände zurückgreifen, etwa Nötigung, um Täter doch noch belangen zu können. Im September vergangenen Jahres hatte Maas die Bundesländer gebeten, Schutzlücken-Beispiele aufzulisten. Es wurden einige abstrakte Fallgruppen benannt. Konkret bezeichnet wurden jedoch nur fünf einzelne Fälle.

Warum reicht das bloße "Nein" des Opfers bisher nicht?

Das geltende Sexualstrafrecht schützt die Frauen bisher umfassend nur, wenn ein Täter gegen sie Gewalt anwendet, ihnen droht oder sie ihm ausgeliefert sind. Es schützt nicht ihr bloßes Recht auf ein "Nein"; das erklärte "Ich will nicht" einer Frau zu ignorieren, bedeutet, rechtlich betrachtet, noch keine sexuelle Nötigung. Hinzutreten müssen bestimmte äußere Umstände. Frauengruppen und Opferverbände sehen darin seit langem einen Skandal, auch aus der Strafrechtswissenschaft werden Korrekturen gefordert. Zudem hat die Bundesrepublik eine Europaratskonvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unterzeichnet. Danach verpflichtet sie sich, jede "nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlung" unter Strafe zu stellen.

Reicht das "Nein" also künftig?

Nein. Auch mit der neuen Rechtslage sind Konstellationen denkbar, die nicht direkt erfasst würden. Etwa, wenn eine Frau von der Situation überfordert ist und sich gegen ihren – zuvor erklärten – Willen fügt, ohne dass ihr ein "empfindliches Übel" droht – etwa Schläge – und der Angriff für sie auch nicht überraschend kommt. Auf solche Fälle weist das Deutsche Institut für Menschenrechte in einer aktuellen Stellungnahme zu dem Entwurf hin. Damit, so das Institut, stimme das Vorhaben nicht mit den Anforderungen der Europaratskonvention überein. Andererseits habe der Entwurf Defizite aufgegriffen: "Der nicht vorhergesehene Griff zwischen die Beine in einer überfüllten U-Bahn wäre damit im Gegensatz zu der aktuellen Rechtslage strafbar."

Warum will Maas dieser Kritik nicht folgen?

Das hat mehrere Gründe. Zunächst standen der Minister und seine Fachbeamten entsprechenden Reformen ohnehin skeptisch gegenüber. In der Justizpraxis herrscht die Auffassung, dass es keine echten Schutzlücken gibt. Zudem könnte es vermehrt Beweisprobleme geben, wenn es allein auf den entgegenstehenden Willen des Opfers ankommt. Strafverteidiger fürchten, aus der Vergewaltigung würde eine Art "Befindlichkeitsdelikt": Ein Opfer, das vielleicht gar kein Opfer war, fühlt sich später als Opfer und zeigt die Tat an. Es könnte dadurch künftig mehr Falschbeschuldigungen geben.

Sind die Befürchtungen berechtigt?

Das weiß niemand so genau. Festgestellte Falschbeschuldigungen sind bislang selten, es wird allerdings schon heute eine hohe Dunkelziffer vermutet. Beweisprobleme sind dagegen ein schlechtes Argument gegen einen verschärften Tatbestand. Immer, wenn es um innere Motive von Tätern und Opfern geht, stehen Gerichte vor solchen Beweisproblemen.

Bleibt es bei dieser Reform?

Der Gesetzentwurf lässt dies ausdrücklich offen, Maas sieht sein Projekt offenbar als Kompromiss der an ihn herangetragenen Forderungen. Bei der Strafbarkeit allein auf das Einverständnis der Betroffenen abzustellen, wäre ein "Paradigmenwechsel", der eine "grundlegende Überarbeitung" sämtlicher Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zur Folge hätte. Das Justizministerium hat eine Kommission eingesetzt, die im Februar ihre Arbeit aufgenommen hat und dazu entsprechende Empfehlungen geben soll. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD vorgenommen, "inakzeptable Schutzlücken" im Sexualstrafrecht zu schließen und Wertungswidersprüche zu beseitigen. Aus der Union kamen schon postive Signale für das Vorhaben.

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