Nach der Tat im Frankfurter Bahnhof: Hätte eine Grenzkontrolle den Jungen gerettet?
Innenminister Horst Seehofer will Polizeikontrollen an Grenzen verbessern. Aus der CDU kommt Zustimmung, die Grünen verlangen konkretere Aussagen.
Hätte eine Grenzkontrolle den Täter, der im Frankfurter Bahnhof einen Jungen und dessen Mutter vor einen einfahrenden Zug stieß, stoppen können? Wären bessere Sicherheitsvorkehrungen an Bahnhöfen und Bahnsteigen ein Mittel gegen solche Taten? Braucht es mehr Polizisten? Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat am Dienstag einiges angekündigt und angedeutet, um solche Fragen aufzufangen. Demnach gehören „intelligente Grenzkontrollen“ zu den Maßnahmen, die er nach dem Tod des achtjährigen Jungen prüfen will. Offenbar meint er damit, was er als Ministerpräsident in Bayern als Reaktion auf die Flüchtlingszuwanderung durchgesetzt hat: flexible Einsätze der Bundespolizei in den Grenzgebieten. Doch hätte das im Fall des Mannes aus der Schweiz geholfen?
Nur nationale Fahndung
Habte A., seit Januar in psychiatrischer Behandlung, war auf der Flucht, nachdem er gegen seine Frau und seine Kinder sowie gegen eine Nachbarin gewalttätig geworden war. Direkt danach, seit Donnerstag vor einer Woche, wurde er deswegen von der Schweizer Polizei gesucht. Da es sich um einen Fall von häuslicher Gewalt und Bedrohung handelte, war die Fahndung national begrenzt. „Es gab keine Hinweise auf eine besondere Gefährlichkeit“, teilten Schweizer Ermittler am Dienstag mit. Die psychiatrische Behandlung wurde offenbar erst durch Funde bei einer Wohnungsdurchsuchung am Montag, also nach der Tat, offenkundig.
Einen Anlass, den Eritreer international im Schengen-Raum zur Fahndung auszuschreiben, sah die Schweizer Polizei nicht. Für eine Flucht ins Ausland habe es keine Anhaltspunkte gegeben. Habte A. war als Flüchtling anerkannt, galt als integriert und wurde polizeilich zuvor offenbar nicht auffällig. Er hatte das Recht, im Schengen-Raum frei zu reisen – eine Kontrolle, bei der er nicht anderweitig aufgefallen wäre, hätte somit wohl keinen Grund ergeben, ihn an der Einreise zu hindern.
Schuster: Schleierfahndung ausweiten
Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster gesteht zu, dass es für die Bundespolizei schwer sei, eine Person bei der Einreise festzustellen, die nur in der Schweiz gesucht werde. Doch verweist der Bundestagsabgeordnete, der den Wahlkreis Lörrach mit Grenzen zur Schweiz und zu Frankreich vertritt, auf die Möglichkeit von Kontrollen „im Rahmen der Schleierfahndung“. Gemeinsame Streifen der Bundespolizei mit dem schweizerischen Grenzwachtkorps „sind reguläre Praxis“, sagte Schuster dem Tagesspiegel. Diese sei in den vergangenen Jahren und jetzt nochmals unter Seehofer verstärkt worden. Schuster plädiert dafür, sie noch weiter auszubauen.
Doch hätte das im Fall von Habte A. eine Wirkung gehabt? Der frühere Polizeidirektor Schuster sagt, solche von der Polizei gesuchten Personen verhielten sich nicht selten auffällig, wenn sie kontrolliert würden. „Da hilft dann die enge Zusammenarbeit in gemeinsamen Streifen und operativen Dienstgruppen, so dass schnell bei den Schweizern nachgefragt und die Person dann doch festgestellt werden kann.“ Seehofer habe daher Recht, wenn er die Bundespolizei für flexible Kontrollen und damit zur Ausweitung der Schleierfahndung personell noch besser aufstellen will.
Mihalic: Nicht klar, was Seehofer meint
Der Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic sind die Äußerungen des Innenministers dagegen zu uneindeutig. „Was Seehofer genau meint, ist überhaupt nicht klar geworden“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Sollte es dabei um die immer wiederkehrende Diskussion um Smart Borders gehen, muss man einfach feststellen, dass bei einer technischen Lösung dieser Größenordnung die realistische Umsetzbarkeit und die tatsächliche Wirkung sorgfältig geprüft werden müssen.“
Unter „Smart Border“ versteht man eine stärkere Automatisierung von Grenzkontrollen und Grenzüberwachung. Laut Mihalic wäre das „nicht nur wahnsinnig teuer bei zweifelhaftem Nutzen, auch müssen nicht beabsichtige Nebenfolgen für den Grundrechtsschutz dagegen abgewogen werden“. Ein solches Thema nur anzureißen, reiche daher nicht. „Mir jedenfalls fehlt in Seehofers Aussagen dazu eindeutig die Substanz“, sagte die frühere Polizistin.